Gottesbeweis?

Wir sind gute Freunde. Jeden Tag wartet er an der Kreuzung, um mich mit seinem Fahrrad zur Schule zu begleiten. Auf dem Heimweg verlieren wir uns in Gesprächen über Gott und die Welt und trennen uns erst, wenn uns der Magen knurrt oder Schnee und Regen uns den Aufenthalt auf der Straße vermiesen.

Auf dem Weg zur Schule fahren wir täglich an einer Kapelle mit dem Standbild der Muttergottes vorbei, an dem wir auf dem Rückweg oft verweilen, weil uns ein kleines Vordach des grottenartigen Gehäuses vor dem Regen schützt oder wir auf den Fahrrädern sitzen bleiben können, ohne den Verkehr zu behindern. Genau dort ist es, wo mich Fritz fragt: “Glaubst du an Gott? Ich meine, glaubst du, dass es eine Möglichkeit gibt, herauszufinden, ob es ihn wirklich gibt?“ Die Frage hatte ich mir so noch nicht gestellt. Glauben hieß zwar nicht wissen, aber für mich gab es auch keine Zweifel. Und wenn es Zweifel gab, hatte sie unser Religionslehrer schon längst zerstreut: „Wer an der Existenz Gottes zweifelt, muss auch an seinem Verstand zweifeln“, hat er gesagt, „weil der ist auch nicht sichtbar.“ So einfach aber wollte sich Fritz nicht abspeisen lassen. Er will der Sache auf den Grund gehen. „Es muss doch so etwas wie einen untrüglichen Beweis geben. Man sieht ja die Luft auch nicht und trotzdem gibt es sie, oder?“

Es war, als hätte er eine Brandfackel in ein Strohlager geworfen. Wir waren Feuer und Flamme. Selbst einer seiner Jünger hatte ja seine Zweifel. Thomas hat es ja auch nicht glauben wollen, dass Jesus, der ja gerade ins Grab gelegt worden war, wieder auferstanden sein soll. Zuerst hat er mit seinen Händen die Wunden abgetastet, die ihm die römischen Soldaten zugefügt haben. Dann erst war er überzeugt, dass es leibhaftig Jesus war, der da vor ihm stand. Wir aber waren keine Zeitzeugen. Aus dem Alten Testament waren uns Stellen bekannt, wo gegen Gott gehadert und an seiner Existenz gezweifelt wird. Hiob zB.? Sein Aufbegehren gegen all die Schläge, die er empfing?

Ich weiß nicht mehr, ob uns diese Bibelstellen damals wirklich bekannt waren. Ich hatte zwar jahrelang ministriert und war durch die Priester, denen wir in der Messe dienten, näher bei Gott als andere, aber außer der Erkenntnis, dass auch diese Mittler zwischen Himmel und Erde nur Menschen und obendrein mit sehr menschlichen Schwächen behaftete Menschen waren, stellte es weder meinen Glauben in Zweifel noch hatte es ihn gestärkt. Aufgefallen war mir nur, dass der Hostienklau aus unbewachtem Tabernakel ohne Folgen geblieben war. Jedenfalls schien mir der Gedanke, nach einem Beweis zu verlangen, der die letzten Zweifel ausräumen konnte, sehr lohnenswert.

„Was könnte dich denn so beleidigen, dass du vor Wut auszuckst?“, frage ich Fritz, denn ich hatte eine Idee. „Wetten, dass ich dich bis aufs Blut reizen kann?“ Versuch’s mal, meint er lachend. Ich wette das ganze Taschengeld einer Woche, dass du es nicht schaffst. Ich versuche es nun mit allen mir bekannten Schimpfwörtern und bin erstaunt, was mir da alles über die Lippen kommt. Er bleibt ungerührt, lächelt nur: „Bemüh’ dich nicht! Du schaffst es ja doch nicht! Jetzt waren alle Pfeile im Köcher abgeschossen bis auf einen, den giftigsten, den, der treffen und etwas auslösen musste, wenn einer ein Mann sein will: „Deine Mutter ist eine Hure!“, platzt es aus mir heraus, weil mich seine Beherrschung so provoziert. Da wird er mit einem Mal kreidebleich, steigt vom Rad, ballt seine Hände zu Fäusten und stößt zwischen dünn gepressten Lippen hervor: „Nimm das zurück! Nimm das sofort zurück!“  „Jetzt habe ich ihn“, denke ich mir.

Ich sehe mich noch heute vor ihm stehen mit verschränkten Händen über der Brust, stolz, ihn aus der Reserve gelockt zu haben, ein bisschen verschreckt, weil mich sein aufflammender Zorn so überrascht hatte: „Beruhig’ dich wieder! Du hast die Wette verloren. Wenn man einen Menschen beleidigen kann, kann man auch Gott beleidigen und wenn man jemanden beleidigt, dann rächt er sich, klar?“

„Du meinst, wir sollen Gott schimpfen, um uns seine Existenz zu beweisen? Hab ich dich da richtig verstanden?“ fragt Fritz stirnrunzelnd. „Es muss ja nicht gleich Gott oder Jesus sein“, räumte ich ein, „wir treffen ihn aber sicher am ehesten, wenn wir seine Mutter beleidigen. Bist du dabei?“ „Natürlich bin ich dabei. Ich habe das Problem ja auch aufgeworfen“, sagt Fritz.  Mit dem aber, was ich vorschlage, ist er doch nicht gleich einverstanden. Das bedurfte doch längerer Überzeugungsarbeit. Das war wirklich eine Beleidigung. Die konnte sich niemand gefallen lassen. Dann war es soweit. Ich wollte nicht nur einen Mitwisser, sondern einen Mittäter. Allein hätte ich es nicht gewagt. Wir schauen, ob niemand des Weges kommt, öffnen unsere Hosentüren und pinkeln solange durch das Gitter, bis das ewige Licht am Fuß der Muttergottes gelöscht ist. Dann knöpfen wir seelenruhig unsere Hosentüren wieder zu, sehen uns an, tun so, als wäre nichts geschehen und können doch nicht voreinander verbergen, dass wir eine Höllenangst haben. Jetzt muss ein Blitz einschlagen und uns treffen.

Doch der Himmel blieb ruhig. Vielleicht würden wir auf dem Heimweg von einem von Gott gesandten Todesboten – für die anderen lediglich sturzbetrunkenen Lastwagenchauffeur – über den Haufen gefahren. Vielleicht aber will sich Gott noch ein bisschen Zeit lassen. Strafe muss nicht auf den Fuß folgen. Wir sind bestürzt. Was haben wir angerichtet? Wortlos schieben wir die Räder neben uns her. Irgendetwas würde geschehen. Davon sind wir überzeugt. Das kann sich kein Gott gefallen lassen, wenn es einen gibt..

Nach Wochen des Bangens und Harrens – alle unsere kleineren und größeren Missgeschicke sind wir versucht, als angemessene Bestrafung zu deuten – erlösen wir uns, indem wir zu Bedenken gaben, dass uns Gott vielleicht gerade durch seine unendliche Güte und Barmherzigkeit seine Existenz beweisen hat wollen.

Erst viel später begriff ich, dass die Angst vor der Strafe gerade unsere Strafe war und allein schon unsere irreale Furcht der gelungenste Beweis seiner möglichen Existenz. Was ist schon irreal? „Wenn ich in der Nacht schweißgebadet aufwache, weil ich eben meinen Vater zur Rede gestellt habe, der seit Jahren tot ist, ist das auch irreal. Und trotzdem kann es einem Angst machen!“, träume ich nun meinen Dialog mit Fritz weiter, den ich nach der Schule aus den Augen verloren habe.

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3 Comments
  • chaoskatze
    Posted at 14:46h, 13 März Antworten

    *g* Ich kenne den Beweis von Pascal. Aus heutiger Forschungssicht natürlich auch Blödsinn, aber die Grundidee find ich schon toll!
    Wobei ich sagen muss, ich glaube so oder so nicht an Götter und wenn sie persönlich auftreten würden, würde ich mir eher Sorge um meinen geistigen Zustand machen 😉

    Bin über Dashbord zufällig drüber gestolpert und dachte, ich guck mal vorbei ^^

  • helmut hostnig
    Posted at 13:09h, 13 März Antworten

    Liebe Chaoskatze!
    Danke für deinen Kommentar. Zu allen von dir aufgezählten Punkten kann ich nur sagen, dass ich versucht habe, mich in den Knaben von damals hineinzudenken. Du hast natürlich vollkommen recht: Gottesbeweise führen zu wollen, ist unsinnig, doch sind es unsere Zweifel, die manchmal zum Glauben führen. Einer, dem die Beweisführung gelungen ist, war Blaise Pascal. Schau einmal in seine Pensees.
    Übrigens: Wie bist du auf meinen Blog gestoßen?
    Ein schönes Wochenende

  • chaoskatze
    Posted at 11:27h, 13 März Antworten

    Hm… interessant geschrieben, aber dennoch unlogisch.
    1. wenn er so barmherzig und gütig ist, warum gibt es so viel Grausamkeit?
    2. warum sollten irgendwelche Götter überhaupt beleidigt sein?
    und 3. würde ein Anhänger von Religion XY genau dasselbe schlechte Gewissen haben. Das kommt nur von einem selbst – die Existenz irgendwelcher Götter lässt sich grundsätzlich weder beweisen noch widerlegen.

    Bin übrigens nur zufällig über dein Blog gestolpert 🙂

    LG katze

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