Letzte Botschaft

Als der Kosmonaut Kranochov mit einem Spaceshuttle zur Raumstation gebracht wurde, um dort Wartungsaufnahmen zu übernehmen und für ein paar Wochen einen Kollegen abzulösen, ist er vergessen worden. Auf der Erde nämlich hatten die, die ihn da hinauf geschickt hatten, andere Sorgen. Das System war zusammengebrochen. Ein Mann stand auf einem Panzer, mit gereckter Faust, Entschlossenheit zeigend. Das Bild ging um die Welt, und am nächsten Morgen war sie eine andere. Nicht sichtbar für Kranochov, der alle zehn Minuten von der Nacht in den Tag taumelte, auch nicht hörbar, da der Funk mit der Bodenstation abgerissen war. Nachdem das Bodenpersonal geflohen war, alles Leute, die im System aufgewachsen und in ihm groß werdend leitende Stellungen in der Militärhierarchie übernommen hatten, schien es niemanden mehr zu interessieren, was aus ihm oder der Raumstation würde, die ohnehin längst schon verschrottet hätte werden sollen. Wie aus seinen Tagebuch-aufzeichnungen hervorgeht, hatte er schon nach wenigen Tagen Funkstille begonnen seinen Proviant zu rationieren. Eine lebensrettende Maßnahme hätte es sein können. Doch es soll hier das Ende nicht schon vorweg genommen werden. Ein Ende, das in seiner Tragik alles in den Schatten stellt, was hier auf Erden als menschliche Tragödie verstanden wird. Bleiben wir bei seinen Tagebucheintragungen, die sie uns enthüllen, denn es liest sich mit seinen philosophischen Betrachtungen nicht, wie sich vermuten ließe, als das Tagebuch eines zu Tode Verurteilten. Im Gegenteil: wie eine stellenweise sogar lyrische Abhandlung. Weder weinerlich, noch tröstlich. Sie wurden ein bisschen gekürzt, aber bis zu dem Zeitpunkt, wo Kranochov die Kapsel verlassen hat, um schwerelos zwischen dem Sondermüll abgeschossener Satelliten seinen Tod im Orbit zu empfangen, wörtlich wieder gegeben. „Heute habe ich jede Hoffnung aufgegeben, jemals wieder auf die Erde zurück zu kehren. Ich weiß nicht, was da schief gelaufen ist. Ich kann es mir nicht erklären. Jedenfalls ist der Funkkontakt abgebrochen. Nachdem ich es zwei Wochen erfolglos nach verständlichen Signalen abgehört hatte, ist mir nur noch das Rauschen geblieben. Ab und zu stelle ich es auch jetzt ein, da mich die Stille schier verrückt macht. Wie sehr sehne ich mich nach einem Triebwerksgeräusch, nach dem Beben des Rumpfes, wenn es zum Donnern anschwillt, auf Touren gebracht die Nadeln des Armaturenbrettes im roten Bereich zittern, die Bremsen noch nicht gelöst: wie ein Vollblut, das gleich aus der Startmaschine schießt. Das war der Kick, den ich gesucht hatte. Auf den ich süchtig geworden bin. Als ich das erste Mal von der Startrampe abhob, um wenige Erdminuten später den Zustand der Schwerelosigkeit zu erfahren, wusste ich, dass ich alles unternehmen würde, um das zu wiederholen.

Jeder Astronaut, der sich auf die benannte Raumfahrt einlässt, weiß, dass er dabei sterben kann, keiner aber rechnet wirklich damit. Wir sind keine Kamikazeflieger, keine Selbstmörder. Der Tod aber war schon während unserer militärischen Ausbildung ein ständiger Begleiter. Viele meiner Kameraden sind von ihren Übungseinsätzen nicht mehr zurück gekehrt, oder hatten Brandwunden, die sie so entstellten, dass sie ein Leben wie Tote führten. Bei einem hatte das Kabinendach geklemmt und er konnte aus dem brennenden Flugzeug nicht mehr aussteigen, es aber noch so landen, dass niemand zu Schaden kam. Einem anderen ging der Treibstoff aus. Er wurde nie gefunden. Er hieß Nikolai Soundso und war erst 23 Jahre alt. Ich muss oft an ihn denken. Ich rede mit ihm. Ja, ich rede mit ihm. So wie der französische Pilot, der nach einem Absturz über der Wüste ein kleines Männlein erfunden hat, das ihn bittet ein Schaf zu zeichnen, um nicht allein zu sein. Längst schon habe ich mich ergeben. Ich nehme auch keine Nahrung mehr zu mir. Das trübt meinen Verstand, gleichzeitig macht der Entzug das Denken klarer. Morgen werde ich Abschied nehmen, die Luke öffnen, aus der Kapsel steigen und die Versorgungsleine kappen. Auch die im Anzug eingebaute Klimaanlage werde ich ausschalten. Die Raumstation wird weiterhin in der Umlaufbahn bleiben, ich aber werde mich von ihr abstoßen und eine eigene wählen. Die Briefe an meine Frau und meinen Sohn mögen, wenn meine Mission und Soljut 5 von meiner Regierung doch noch erinnert werden sollte, nur von ihnen selbst geöffnet werden.

Ein Königreich für eine Zigarette. Eine letzte Zigarette. Wenn möglich eine Marlboro, auch wenn sie von unserem Klassenfeind ist. Noch immer die beste Zigarette. Aber ich beginne Unsinn zu reden. Nikolai, alter Freund, gib mir eine. Ich weiß, du hast eine. Eine letzte. Lass sie uns zusammen rauchen. Du einen Zug und ich einen. Immer abwechselnd. Bis zum Filter. Bis …“

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3 Comments
  • Mika
    Posted at 18:19h, 09 November Antworten

    Gefaellt mir sehr der Blog. Gute Themenwahl.

  • grabner gerhard
    Posted at 21:54h, 04 November Antworten

    2 ORF-Teletextmeldungen von heute:
    Marsforscher nach 520 Tagen frei!
    China gelingt Andockmanöver.

    Kranachov: Die Zukunft hat erst begonnen!
    Gruß von
    Gerhard

  • Ingrid
    Posted at 20:52h, 03 November Antworten

    Lieber Helmut,

    ich hoffe, es ist nicht DEINE letzte Botschaft.
    Sehr literarisch und flüssig dein Text, hat viel Witz und Humor.

    LG Ingrid

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