Schweigen

Der begonnene und nicht zu Ende geführte Reigen von geordneten Buchstaben sucht den Satz, mit dem alles gesagt sein würde, was es zu sagen gibt oder gilt. Dieser, falls er je zustande kommt, wartet auf den Punkt. Auf diesen Punkt gebracht, könnte das Schweigen beginnen, das die noch bleibende Leere des Blattes ausfüllt. Vielleicht ist gerade diese Leere das, was der Flut und dem Lärm der Zeichen entgegengehalten werden soll; ein Damm aus Schweigen und vorsprachlicher Stille, die das Trommelfeuer aus schriftgewordenen Lauten ersticken und der Stimme Platz machen und Raum geben kann, die ich nicht hören will, solange ich Bedeutung suche und Sinn, weil es doch sonst nur – und nie frei von Notwendigkeiten – ein Leben wäre, das am Ende sich fragt: Das also war es. War’s das? Vielleicht aber ist es genau das, dass ich lernen muss, mehr nicht zu erwarten und mich daran zu erfreuen, dass ich heute und in diesem kaum angebrochenen Jahr wieder den Krähen zusehen darf, wie sie – mit Kah und Krah den Steingründen zufliegend – Runen in den winterblauen Himmel schreiben und so den Satz wie jeden Abend und wie jeden Tag in den Monaten mit R und um dieselbe Zeit zum immergleichen, aber vorläufigen Ende bringen, ohne den Anspruch zu haben, mit ihm alles gesagt haben zu wollen…

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4 Comments
  • GG
    Posted at 21:47h, 24 Januar Antworten

    Dein Text hat mich erinnert an das letzte Notenblatt von Mozart mit den letzten hingekritzelten Noten und den leeren Notenzeilen danach, das ich mal auf einer Ausstellung gesehen habe und das mich mehr berührt hat als jeden Grabstein oder anderes Beiwerk zum Tod.
    Und doch seine Musik bis heute.
    Lieben Gruß
    Gerhard

  • Manfred Voita
    Posted at 00:18h, 12 Januar Antworten

    Ja. Sehr gelungen, wie du vom Buchstaben über den Satz zum Punkt, auf den Punkt kommst und auf das Schweigen, das dem Satz folgen könnte, der wirklich alles gesagt hätte. Der Satz, nach dem wir ja immer suchen und den wir nie finden werden, der uns aber immer beschäftigt hält. Und darum geht es natürlich auch, um das Beschäftigt bleiben, damit sich nicht die Sinnfrage stellt, die, vielleicht mit zunehmendem Alter, in der Stille lauert. Schön, wenn es eine Antwort gibt, aber es sind wohl eher viele Antworten, Momente und Gedanken, Begegnungen, die Sinn hatten und die nicht immer weltbewegend waren. Und dazu gehören wohl auch die Krähen, die ihre rätselhaften Botschaften in den Wind schreiben.

    • Helmut Hostnig
      Posted at 19:30h, 12 Januar Antworten

      Lieber Manfred
      Danke herzlich für deinen Kommentar. Gleichzeitig wünsche ich dir alles Gute im Neuen Jahr. Vielleicht kommst du ja mal nach Wien. Liebe Grüße
      Helmut

  • kawaiiocc
    Posted at 20:03h, 11 Januar Antworten

    Das ist so schön geschrieben!

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