15 Sep Ghostown im Big Bend Nationalpark
Bin früher auf als die Leute hier. Nirgends eine Möglichkeit zu frühstücken hier in Ghostown, 20 miles von der Grenze zu Mexiko im äußersten Südwesten des Nationalparks. Ich fahre zur Hauptstraße. Dort an der Kreuzung habe ich gestern eine Tankstelle mit Restaurant gesehen. Es ist ganz in der Nähe, wo Tim Jean, der Geologe, den ich gestern kennen gelernt habe, seinen Trailer stehen hat. Bevor ich ihn wecken will, versuche ich hier bei einem Cafe, der übrigens ununterbrochen nachgefüllt wird, aber leider nicht verdient, Cafe genannt zu werden, ins Netz zu kommen, und es ist tatsächlich Wifi vorhanden. Tim hat seine Verabredung mit mir nicht vergessen. Er kommt – ausgerüstet mit Wasserkanister und GPS – mich abzuholen und nimmt mich mit seinem Chrysler zu einem Parkplatz in der Nähe mit, von wo aus wir zu Fuß in die Wüste gehen, um den Ort zu finden, wo vor über 60 Millionen Jahren ein Komet auf diese Region nieder gegangen sein soll: The day the dinosaurs died, eine Stehsatz, den er während seiner geologischen Ausführungen, die ich Mühe habe zu verstehen, ständig wiederholt. Er gehört zu den Wissenschaftlern, die es für absolut gesichert halten, dass es Katastrophen waren, die der Erdoberfläche den Stempel innerhalb eines Tages im Mesozoikum aufgedrückt haben, und nicht, wie die Unitarier behaupten, eine evolutionäre Entwicklung über Jahrmillionen.
Es ist eine Landschaft wie auf dem Mars. Ich wäre hier verloren und fände nicht mehr zur Straße zurück. Nicht wenig Touristen verdursten auf ihren Wanderungen. Sie kommen hierher, um mit Kanus den Rio Grande zu befahren, wie ich jetzt die geologischen Wunder zu bestaunen, hart an der Grenze zu Mexiko bei Wanderungen in die historische und prähistorische Zeit einzutauchen, auf den Pfaden der Apachen und Comanchen zu wandern, und in der Nacht unter der Milchstraße zu kampieren.
Es ist backofenheiß, nirgends ein Schatten. Das destillierte Wasser ist warm und kaum zu trinken, aber ich muss, um nicht zu dehydrieren. Tim versteht es mir diesenTag zu schildern, an dem die Dinos sterben mussten, als wäre er dabei gewesen. Immer wieder hebt er Steine auf oder limestones, ummantelt von Vulkangestein, was seines Erachtens nach beweist, dass hier wenige Stunden nach dem Impakt, von dem ganz Amerika betroffen war, ein Tsunami unvorstellbaren Ausmaßes gewütet und die eben geschmolzenen Felsen abgekühlt und maritimes Material angeschwemmt haben soll. Wäre die Hitze nicht, könnte ich seinen Ausführungen weniger angestrengt folgen. Er zeigt mir auch versteinerte Reste von baumstarken Gewächsen, die noch nicht verkohlt waren, als wenig später das Erdbeben die 500 Meter hohe Flutwelle ausgelöst hat, die vom Golf kommend das Land bis weit über den Big Bend hinaus überschwemmt hat. Das alles kann er aus den Gesteinen ablesen. Sie erzählen Geschichte die aus den Bohrkernen des Eisschildes nicht hervorgeht, da dieses Ereignis Millionen Jahre früher stattgefunden hat. Ein Geologe geht mit anderen Augen durch die Welt. Fraue, meint er, orientieren sich an Landmarken, Männer an der Himmelsrichtung. Das sei ontogenetisch verankert. Wieder was gelernt. Wer sich für die unterschiedlichen Theorien über das Aussterben der Dinos interessiert, sei auf diese Seite verwiesen.
Ich habe das Glück einen Coyoten zu sehen, die hier selten geworden sind. Die Sandalen, die ich trage, und die kurze Hose sind nicht unbedingt der richtige Dresscode für diese Art der Geländeerkundung. Ich muss nicht nur auf die Mesquitesträucher aufpassen, sondern vor allem auf die kleinwüchsigen Kakteen, welche die hinterhältige Eigenschaft haben, ihre Nadeln auszuwerfen. Auch Klapperschlangen sind hier daheim . Die Mesquite sind wie die Ocotillas der kargen Wüste angepasste Pflanzen, die kaum Wasser und wenig Erde brauchen. Farmer verwenden die Mesquite für ihre Zäune, da sie – selbst nachdem sie abgeschnitten sind – wieder treiben, und mit ihren messerscharfen Nadeln ungebetene Tiere fernhalten. Aus ihm kann Tee gewonnen werden, oder er wird als Fleischgewürz verwendet.
Es ist die einzige Vegetation hier. Wir folgen einem Flussbett. Mir rinnt der Schweiß von der Stirn. Ich habe vergessen, das Notebook im Auto zu lassen. So schleppe ich es mit meinem ganzen Equipement über die Steine, die alle einen Namen haben, die mir zu merken schon auf Deutsch Schwierigkeiten bereitet.Viele sind quecksilberhaltig. Ich hatte mich schon gefragt, was die mining companys hier abbauen. Das Wasser – so warnt mich Tim – sei hier auf keinen Fall Trinkwasser, da durch das Quecksilber kontaminiert. Mir ist schwindlig. Tim rutscht über einen Hang hinunter und kann den Sturz nur mit seinen Händen abfangen. Was hätte ich getan, wäre ihm – außer Abschürfungen – mehr passiert? Er hat zwar GPS, aber kein Satellitentelefon. Wie also Hilfe holen. Mein Prepaid_Handy funktioniert hier ohnehin nicht. Eine unermessliche Weite, wie ich sie nur vom Altiplano in den Anden Perus kenne oder in der Atacama. Der Himmel ist vergissmeinnichtblau, die Wolken werfen den einzigen Schatten auf die Landschaft, auf die Ebene und auf die Flanken der Gebirge, die je nach Ferne in allen Farbschattierungen den Horizont säumen. Kein Foto kann das Panorama wieder geben. Auch das 16 : 9 Format, das meine Kamera anbietet, kann der Landschaft nicht gerecht werden. Hier ist ein 360 degrree Winkel möglich. Das hat viele Filmmacher angelockt.
Tim ist besessen davon, mir seine Entdeckung zu zeigen, scheint aber nicht mehr wirklich zu wissen, wo der Fundort ist. Selbst mit GPS, mit dessen Hilfe er die Fundstelle markiert hat, finden wir sie nicht. Endlich. Eigentlich wollte ich schon vorschlagen umzukehren. Ein riesiger versteinerte Knochen. Möglicherweise Teil des Ober- oder Unterschenkels eines Dinos the day day the dionsaurs died. Die Sonne steht im Zenit. Würde mir die Hitze – es hat 45 Grad – nicht so zu schaffen machen, könnte ich seinen Enthusiasmus nachempfunden. Aber ich sehne mich nach Air-Condition und ein eisgekühltes Cola. Wenigstens habe ich einen Hut auf, sonst wäre ich wohl schon zusammen gebrochen. Im Cisnos Gebirge sei es um 20 Grad kühler als hier, meint Tim. Aber was nützt mich dieses Wissen jetzt? Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren, aber ich habe mich selten so gefreut, als ich sein Auto wieder sah.
Ich will unbedingt zum Rio Grande. Tim erfüllt mir jeden Wunsch, bringt mich nach Lajitas, einem kleinen Nest direkt an der Grenze mit einer Kulisse wie aus einem Western. Und tatsächlich: Hier enstand die Mini TV Serie „Streets of Laredo, starring James Garner“. Eine Idylle aus der Postkutschenzeit. Der letzte Außenposten. Bergbausiedlung.
Nach Eistee und Gesprächen über die Geschichte Amerikas und seiner Sicht auf die Situation heute in einem gepflegten Resort, nehmen wir eine off -road, die ich mit meinem Mietwagen weder befahren dürfte, und der tiefen Rinnen wegen auch gar nicht könnte. Tim ist ein bisschen besorgt. Es ist wegen des schmalen Pfades, der direkt am Rio Grande entlang führt und als Schmugglerroute dient. Entweder wir fallen den border controlls in die Hände oder den Schmugglern, was beides ein böses Ende nehmen könnte, weil weder die einen noch die anderen lange fackeln und die Colts sehr locker tragen. Wer hier einen Autostopper mitnimmt, der sich nicht ausweisen kann, läuft selbst Gefahr ins nächste Gefängnis gebracht zu werden. Auf beiden Seiten des Ufers, Binsen, die einem beinahe die Sicht auf den Fluss verwehren, der von Pionieren in Planwagen, Viehherden, Banditen und Rebellen, aber viele Jahrhunderte vorher von Indianern mit dem Messer zwischen den Zähnen überquert worden ist. Heute bildet der Fluss die mit keiner Technologie zu bewachende Grenze nach Mexiko. Wer von der Chihuahuan Wüste kommend den Rio Grande durchschwimmt, hat den Weg in das Land der Verheißung auf Glück, the persuit of happiness, das sogar in der Verfassung festgeschrieben ist, geschafft. Ob er es findet, muss für die Mehrheit bezweifelt werden. Aber Amerika übt noch immer magnetische Anziehung aus.
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Ingrid
Posted at 14:07h, 16 SeptemberHallo Helmut,
schön, dich noch so lebendig zu sehen – richtige Schuhe wären angebracht, mein Lieber.
Ein Steinchen für meine Sammlung würde mich freuen.
Take care und schreib bitte, in welche Gefahren du dich noch begibst, du Abenteurer.
LG Ingrid
Helmut Hostnig
Posted at 14:30h, 16 SeptemberLiebe Ingrid
Werde dir ein Steinchen mitbringen. Habs schon in der Tasche. Schaut aus wie eine Zitronenscheibe. Thanks for folowing me. Werde auch deine Ratschläge bezüglich dresscode in der Wüstein Zukunft beherzigen. Von Wüsten allerdings habe ichder Hitze wegen derzeit genug.
Ein Howdy aus TX
Helmut
gabi
Posted at 14:33h, 15 Septemberhallo reisender
schön, zu lesen deine beschreibungen. da hab ich das gefühl, ich bin auch auf reisen – das ist für mich stubenhockerin sehr angenehm. könntest du mir wohl ein(en) stein(chen) mitbringen? vielleicht klemmt eines im profil deiner sandalen? wünsch dir weiterhin eine gute reise und mir, dass du weiterhin darüber berichtest.
lg gabi