07 Jan Das ist keine Geschichte
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Das ist keine Geschichte
Weißt du, wie du beginnen müsstest, um deine Zuhörer- oder Leserinnen schon mit dem ersten Satz für deine Geschichte einzunehmen?, …
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Weißt du, wie du beginnen müsstest, um deine Zuhörer- oder Leserinnen schon mit dem ersten Satz für sie einzunehmen, sodass sie von ihr nicht genug kriegen können und an deinen Lippen hängen oder gleich ganze Absätze beim Lesen überspringen, um an den Cliffhängern vorbei zur nächsten Episode zu gelangen, zum nächsten Showdown und weiter bis zu dem Punkt, wo deine Heldinnen, von denen du selbst keiner sein willst, keinen Ausweg mehr wissen, aber am Tiefpunkt angelangt, vielleicht doch noch eine letzte Prüfung bestehen, die ihren vermuteten Untergang wider alle Vernunft noch einmal aufschiebt? Das kann nur gelingen, wenn du ihnen, deinen Leserinnen, erstens keinen Augenblick der Ablenkung gönnst, und sie zweitens dazu bringst, dass sie Ihre Ängste, Sorgen und Nöte mit den in der Geschichte auftretenden Personen teilen, von denen jede etwas spiegelt, was sie aus ihrem eigenen Leben kennen. Vor allem aber musst du ans Ende denken. Während der Anfang Aufmerksamkeit erregen will, muss das Ende überraschen und dich mit der Enttäuschung zurücklassen, dass es tatsächlich zu Ende ist, obwohl du dir eine Fortsetzung wünschst und weil eine solche ausbleibt, du dir selbst die Geschichte fortschreibst, weil du schon als Kind wissen hast wollen, was aus den Helden viele Jahre später, was aus ihnen geworden ist, nachdem sie die Prüfungen bestanden und geheiratet haben.
Er muss nichts erfinden. Er bekommt die Geschichten frei Haus; beinahe druckreif; quasi aus erster Hand. Die Geschichte dieses Mannes zum Beispiel, der eben auf dem Rücksitz Platz genommen hat. Kaum hat er ihm das Fahrziel genannt, hat er mit sich selbst zu sprechen begonnen, unzusammenhängendes Zeug; es hat sich angehört, als würde er beten. Am Ziel angekommen, hat er ihm den Fahrpreis in zwei großen Scheinen ausgehändigt, ohne auf Rückgeld zu bestehen; dann ist er ausgestiegen. Gerade als er sich wieder auf den Weg machen will, klopft der Mann ans Fenster und sagt: „Ich hab’s mir anders überlegt. Bring mich wieder dorthin zurück, wo ich eingestiegen bin.“
Diesen Typen aber in seiner abgewetzten Lammfelljacke, dem gehetzten Blick und dem pockennarbigen Gesicht möchte er loswerden. Außerdem: Wie kommt er dazu, ihn zu duzen? Er sagt also: Da müssen Sie sich ein anderes Taxi suchen. Ich mach jetzt Feierabend. Der Pockennarbige, der schon ausgestiegen war, bückt sich, um mit dem Fahrer auf Augenhöhe zu kommen, krallt sich mit beiden Händen am halbgeöffneten Seitenfenster fest und wiederholt mit nasser Aussprache – jede Silbe betonend: Du – machst – jetzt, – was – ich – dir – sage!!! Verstanden?
Ich will jetzt nicht mehr von mir in der dritten Person erzählen. Warum soll ich so tun, als wäre das alles nicht mir, sondern einem anderen passiert. Einverstanden?
Also: Während der Pockennarbige versucht, die hintere Tür aufzumachen, um wieder Platz zu nehmen, lege ich den Gang ein und steige so auf’s Gas, dass es dem anderen beinahe die Hand ausgerissen hat.
Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Niemand. Mich interessiert seine Geschichte nicht und auch die nicht, in die ich da hineingeraten wäre. Dass mit ihm etwas nicht stimmt, war mir schon klar, als er Platz genommen und ohne Gruß und Bitteschön ein kehliges Rüdigergasse herausgewürgt hat, und auf meine Frage, ob es vielleicht etwas genauer ginge, meinte: Fahr! Fahr einfach! Und dann kein Wort mehr, obwohl er die Lippen bewegt hat, als würde er beten. Ich hab‘ schon viele kaputte Typen gefahren. Das kannst du mir glauben. Aber ich habe aufgehört, mir alles gefallen zu lassen. Da verzichte ich lieber auf die paar Lappen. Machen das Kraut auch nicht fett.
Gut, das ist noch keine Geschichte. Aber ich schwöre dir, hätte ich seinem seltsamen Verhalten auf den Grund gehen wollen, wäre es eine geworden.
War kaum um’s Eck, stürzt eine Frau auf die Fahrbahn, und mir – auf meine Fahrkunst vertrauend – direkt vor die Kühlerhaube. Sie ist so durch den Wind, dass sie nicht weiß, welche Adresse sie angeben soll. Sie weint. Jetzt sehe ich, dass sie eine Platzwunde hat. Die Haare sind blutverklebt. Ich rate ihr, ins Spital zu gehen, aber sie lehnt ab.
Darf ich zu dir kommen? fragt sie. Und: Bist du allein?... Das erzähle ich dir, wenn ich bei dir bin. Gut, wenn du es unbedingt jetzt schon wissen willst, ja, er ist tot. Mach den Mund auf und die Augen zu!, hab ich zu ihm gesagt! Er hat es für einen Witz gehalten. Er hat geglaubt, ich spiele. Er hat die Augen zugemacht und den Mund aufgerissen. Sperrangelweit. Dann hab ich abgedrückt, und das Blut ist auf die gerahmten Fotos unsrer Hochzeit gespritzt… Jetzt kann er mich nicht mehr schlagen. Nie wieder. Auf gleich, ja? Was? Du bist nicht allein. So eine Scheiße. Ich hab dich nie um etwas gebeten, aber … Schon gut. Hab verstanden. Mist. Mist. Mist, sagt sie jetzt, indem sie drei Mal mit der Faust auf die Rückseite des Vordersitzes trommelt. Sie steckt das Handy in ihre Handtasche und kramt nach einem Spiegel. Sie zupft ihre blutverschmierten Haare zurecht und gibt den Spiegel wieder in die Handtasche.
Die Frau schaut zum Fenster hinaus, an dem eine Landschaft vorbeizieht, die keine mehr ist. Das ist jetzt aber nicht wahr?, frage ich und schaue in den Rückspiegel. Natürlich nicht, sagt die Frau. Hab nur Spaß gemacht.
Spaß gemacht? Machen sie das öfter? Erzählen eine Horrorgeschichte? Einfach so? Um Spaß zu machen? Sie haben einen seltsamen Humor, muss ich sagen. Entschuldigen sie, wenn ich frage, aber ihre Platzwunde… Wie ist es dazu gekommen? War das auch Spaß?
Die Frau lächelt, schweigt aber. Er schätzt sie auf 40. Schwer zu schätzen mit der Maske. Ein bisschen durchgeknallt, aber sicher hübsch, wenn er sich den Rest zu den ausdrucksvollen Augen dazudenkt.
Was wollen Sie jetzt machen?, frage ich. Die Wunde muss behandelt werden. Schaut schlimm aus.
Schaut nur so aus. Bei mir rinnt das Blut, dass ich manchmal glaub, ich rinn aus. Haha. Das machen die Tabletten, die ich nehmen muss wegen dem Herz.
Draußen tobt ein Sturm. Niemand mehr auf der Straße. Ab und zu ein Einsatzfahrzeug. Sirenen. Ich schaue auf den Rückspiegel, um mich zu vergewissern, ob es mein Fahrgast noch schafft oder dabei ist zu kollabieren. Das Blut, das ihm über die Schläfe rinnt, wird mir die Rückbank versauen, schießt es mir durch den Kopf. Ihm? Ja, ihm. Fahrgast ist männlich. Generisches Maskulinum. Grammatikalisch richtig, auch wenn es sich komisch anhört. Aber Gästin kommt mir nicht über die Lippen. Wie kannst du in der Situation, in welcher du dich grad befindest, die Problematik des Genderns im Deutschen … Das ist jetzt aber nicht dein Ernst. Was solls? Du wolltest eine Geschichte. Jetzt hast du sie. Wenn du neugierig bist, wie sie ausgeht, dann frag sie, ob sie zu dir nachhause kommen will.
Ich führe oft Selbstgespräche. Das verkürzt mir die Zeit an den Standplätzen. Mit den Kollegen mag ich nicht plaudern. Für die bin und bleib ich ein Ausländer. Da kann ich schon in dritter Generation hier geboren sein und den Pass haben. Für die Einheimischen hier bleib ich und bin ich ein Ausländer.
Wohin soll ich Sie jetzt bringen? Ins Spital wollen Sie nicht. Zu ihrem Freund können Sie nicht.
Ist nicht mein Freund, faucht sie.
Ich übergehe ihren Einwand und stelle mich vor.
Und ich bin die Telma. Wo wohnen Sie?, fragt sie übergangslos.
Wie wär’s, wenn wir uns duzen, jetzt nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt haben? Ich wohne ungefähr eine Stunde von hier. Ich kann dich zu mir mitnehmen, wenn du das willst. Deine Wunde versorgen, dir eine Schlafgelegenheit anbieten. Es ist nicht sehr luxuriös bei mir, wenn dir das nichts ausmacht.
Gerade noch rechtzeitig kann ich einem großen Ast ausweichen, den der Sturm einem Baum ausgerissen und auf die Fahrbahn geschleudert hat.
Der Sturm war angekündigt. Ein Feuerwehrauto blockiert die Straße zum Hafenviertel. Ein Mann mit Helm und gelbem Schutzanzug kommt auf uns zu: Sie müssen umkehren!, sagt er. Sie kommen hier nicht rein.
Was heißt: Sie kommen hier nicht rein? Ich wohne da. Wir wohnen da, korrigiere ich mich. Es ist das erste Mal, dass ich nachweisen muss, im Hafenviertel zu wohnen, um nach Hause zu kommen, Telma. Was ist das für ein Name? Bist sicher nicht von da, oder? Es ist eine billige Unterkunft. Hat aber einen großartigen Blick. Vom Fenster aus kann ich die riesigen Tanker sehen, wie sie beladen oder entladen werden, ein- oder auslaufen. Immer großes Kino. Tag und Nacht hektisches Treiben inklusive Lärm. Aber an den hab ich mich gewöhnt. So habe ich immer die Illusion, am geschäftigen Leben der Menschen teilzunehmen. Zumindest indirekt, indem ich ihnen bei ihrem Tun zuschaue.
Du schaust gern zu, stimmt’s?, fragt mich eine Stimme, die keine physische Präsenz zu haben scheint; wollte schon nachfragen, ob ich wieder laut mit mir selbst gesprochen habe, weil sie so lange geschwiegen hat, nachdem ich zu reden aufgehört habe. Ich schaue in den Rückspiegel, aber da ist niemand. DA IST NIEMAND.
Jetzt sitze ich im Auto und schaue auf den Hafen, wo die Wellen gegen die Kaimauern anbranden und die Gischt über die Heck- und Frontscheibe spritzt. Den Ring von einem Finger rechts auf einen Finger links tauschend endet die Geschichte. Ist das eine?
Nein. Das ist keine Geschichte. Aber es könnte eine aus ihr werden, raunt die Stimme in meinem Kopf, die sich als Lektor eines Verlages ausgibt, der erst noch gegründet werden muss.
Er muss nichts erfinden. Er bekommt die Geschichten frei Haus; beinahe druckreif; quasi aus erster Hand. Die Geschichte dieses Mannes zum Beispiel, der eben auf dem Rücksitz Platz genommen hat. Kaum hat er ihm das Fahrziel genannt, hat er mit sich selbst zu sprechen begonnen, unzusammenhängendes Zeug; es hat sich angehört, als würde er beten. Am Ziel angekommen, hat er ihm den Fahrpreis in zwei großen Scheinen ausgehändigt, ohne auf Rückgeld zu bestehen; dann ist er ausgestiegen. Gerade als er sich wieder auf den Weg machen will, klopft der Mann ans Fenster und sagt: „Ich hab’s mir anders überlegt. Bring mich wieder dorthin zurück, wo ich eingestiegen bin.“
Diesen Typen aber in seiner abgewetzten Lammfelljacke, dem gehetzten Blick und dem pockennarbigen Gesicht möchte er loswerden. Außerdem: Wie kommt er dazu, ihn zu duzen? Er sagt also: Da müssen Sie sich ein anderes Taxi suchen. Ich mach jetzt Feierabend. Der Pockennarbige, der schon ausgestiegen war, bückt sich, um mit dem Fahrer auf Augenhöhe zu kommen, krallt sich mit beiden Händen am halbgeöffneten Seitenfenster fest und wiederholt mit nasser Aussprache – jede Silbe betonend: Du – machst – jetzt, – was – ich – dir – sage!!! Verstanden?
Ich will jetzt nicht mehr von mir in der dritten Person erzählen. Warum soll ich so tun, als wäre das alles nicht mir, sondern einem anderen passiert. Einverstanden?
Also: Während der Pockennarbige versucht, die hintere Tür aufzumachen, um wieder Platz zu nehmen, lege ich den Gang ein und steige so auf’s Gas, dass es dem anderen beinahe die Hand ausgerissen hat.
Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Niemand. Mich interessiert seine Geschichte nicht und auch die nicht, in die ich da hineingeraten wäre. Dass mit ihm etwas nicht stimmt, war mir schon klar, als er Platz genommen und ohne Gruß und Bitteschön ein kehliges Rüdigergasse herausgewürgt hat, und auf meine Frage, ob es vielleicht etwas genauer ginge, meinte: Fahr! Fahr einfach! Und dann kein Wort mehr, obwohl er die Lippen bewegt hat, als würde er beten. Ich hab‘ schon viele kaputte Typen gefahren. Das kannst du mir glauben. Aber ich habe aufgehört, mir alles gefallen zu lassen. Da verzichte ich lieber auf die paar Lappen. Machen das Kraut auch nicht fett.
Gut, das ist noch keine Geschichte. Aber ich schwöre dir, hätte ich seinem seltsamen Verhalten auf den Grund gehen wollen, wäre es eine geworden.
War kaum um’s Eck, stürzt eine Frau auf die Fahrbahn, und mir – auf meine Fahrkunst vertrauend – direkt vor die Kühlerhaube. Sie ist so durch den Wind, dass sie nicht weiß, welche Adresse sie angeben soll. Sie weint. Jetzt sehe ich, dass sie eine Platzwunde hat. Die Haare sind blutverklebt. Ich rate ihr, ins Spital zu gehen, aber sie lehnt ab.
Darf ich zu dir kommen? fragt sie. Und: Bist du allein?... Das erzähle ich dir, wenn ich bei dir bin. Gut, wenn du es unbedingt jetzt schon wissen willst, ja, er ist tot. Mach den Mund auf und die Augen zu!, hab ich zu ihm gesagt! Er hat es für einen Witz gehalten. Er hat geglaubt, ich spiele. Er hat die Augen zugemacht und den Mund aufgerissen. Sperrangelweit. Dann hab ich abgedrückt, und das Blut ist auf die gerahmten Fotos unsrer Hochzeit gespritzt… Jetzt kann er mich nicht mehr schlagen. Nie wieder. Auf gleich, ja? Was? Du bist nicht allein. So eine Scheiße. Ich hab dich nie um etwas gebeten, aber … Schon gut. Hab verstanden. Mist. Mist. Mist, sagt sie jetzt, indem sie drei Mal mit der Faust auf die Rückseite des Vordersitzes trommelt. Sie steckt das Handy in ihre Handtasche und kramt nach einem Spiegel. Sie zupft ihre blutverschmierten Haare zurecht und gibt den Spiegel wieder in die Handtasche.
Die Frau schaut zum Fenster hinaus, an dem eine Landschaft vorbeizieht, die keine mehr ist. Das ist jetzt aber nicht wahr?, frage ich und schaue in den Rückspiegel. Natürlich nicht, sagt die Frau. Hab nur Spaß gemacht.
Spaß gemacht? Machen sie das öfter? Erzählen eine Horrorgeschichte? Einfach so? Um Spaß zu machen? Sie haben einen seltsamen Humor, muss ich sagen. Entschuldigen sie, wenn ich frage, aber ihre Platzwunde… Wie ist es dazu gekommen? War das auch Spaß?
Die Frau lächelt, schweigt aber. Er schätzt sie auf 40. Schwer zu schätzen mit der Maske. Ein bisschen durchgeknallt, aber sicher hübsch, wenn er sich den Rest zu den ausdrucksvollen Augen dazudenkt.
Was wollen Sie jetzt machen?, frage ich. Die Wunde muss behandelt werden. Schaut schlimm aus.
Schaut nur so aus. Bei mir rinnt das Blut, dass ich manchmal glaub, ich rinn aus. Haha. Das machen die Tabletten, die ich nehmen muss wegen dem Herz.
Draußen tobt ein Sturm. Niemand mehr auf der Straße. Ab und zu ein Einsatzfahrzeug. Sirenen. Ich schaue auf den Rückspiegel, um mich zu vergewissern, ob es mein Fahrgast noch schafft oder dabei ist zu kollabieren. Das Blut, das ihm über die Schläfe rinnt, wird mir die Rückbank versauen, schießt es mir durch den Kopf. Ihm? Ja, ihm. Fahrgast ist männlich. Generisches Maskulinum. Grammatikalisch richtig, auch wenn es sich komisch anhört. Aber Gästin kommt mir nicht über die Lippen. Wie kannst du in der Situation, in welcher du dich grad befindest, die Problematik des Genderns im Deutschen … Das ist jetzt aber nicht dein Ernst. Was solls? Du wolltest eine Geschichte. Jetzt hast du sie. Wenn du neugierig bist, wie sie ausgeht, dann frag sie, ob sie zu dir nachhause kommen will.
Ich führe oft Selbstgespräche. Das verkürzt mir die Zeit an den Standplätzen. Mit den Kollegen mag ich nicht plaudern. Für die bin und bleib ich ein Ausländer. Da kann ich schon in dritter Generation hier geboren sein und den Pass haben. Für die Einheimischen hier bleib ich und bin ich ein Ausländer.
Wohin soll ich Sie jetzt bringen? Ins Spital wollen Sie nicht. Zu ihrem Freund können Sie nicht.
Ist nicht mein Freund, faucht sie.
Ich übergehe ihren Einwand und stelle mich vor.
Und ich bin die Telma. Wo wohnen Sie?, fragt sie übergangslos.
Wie wär’s, wenn wir uns duzen, jetzt nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt haben? Ich wohne ungefähr eine Stunde von hier. Ich kann dich zu mir mitnehmen, wenn du das willst. Deine Wunde versorgen, dir eine Schlafgelegenheit anbieten. Es ist nicht sehr luxuriös bei mir, wenn dir das nichts ausmacht.
Gerade noch rechtzeitig kann ich einem großen Ast ausweichen, den der Sturm einem Baum ausgerissen und auf die Fahrbahn geschleudert hat.
Der Sturm war angekündigt. Ein Feuerwehrauto blockiert die Straße zum Hafenviertel. Ein Mann mit Helm und gelbem Schutzanzug kommt auf uns zu: Sie müssen umkehren!, sagt er. Sie kommen hier nicht rein.
Was heißt: Sie kommen hier nicht rein? Ich wohne da. Wir wohnen da, korrigiere ich mich. Es ist das erste Mal, dass ich nachweisen muss, im Hafenviertel zu wohnen, um nach Hause zu kommen, Telma. Was ist das für ein Name? Bist sicher nicht von da, oder? Es ist eine billige Unterkunft. Hat aber einen großartigen Blick. Vom Fenster aus kann ich die riesigen Tanker sehen, wie sie beladen oder entladen werden, ein- oder auslaufen. Immer großes Kino. Tag und Nacht hektisches Treiben inklusive Lärm. Aber an den hab ich mich gewöhnt. So habe ich immer die Illusion, am geschäftigen Leben der Menschen teilzunehmen. Zumindest indirekt, indem ich ihnen bei ihrem Tun zuschaue.
Du schaust gern zu, stimmt’s?, fragt mich eine Stimme, die keine physische Präsenz zu haben scheint; wollte schon nachfragen, ob ich wieder laut mit mir selbst gesprochen habe, weil sie so lange geschwiegen hat, nachdem ich zu reden aufgehört habe. Ich schaue in den Rückspiegel, aber da ist niemand. DA IST NIEMAND.
Jetzt sitze ich im Auto und schaue auf den Hafen, wo die Wellen gegen die Kaimauern anbranden und die Gischt über die Heck- und Frontscheibe spritzt. Den Ring von einem Finger rechts auf einen Finger links tauschend endet die Geschichte. Ist das eine?
Nein. Das ist keine Geschichte. Aber es könnte eine aus ihr werden, raunt die Stimme in meinem Kopf, die sich als Lektor eines Verlages ausgibt, der erst noch gegründet werden muss.
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