25 Mai Der Maler
Traumkurzgeschichte Die Brücke inspiriert von Collage
Du hast es vermasselt, sagte der Richter. Eigentlich ist er nicht in der Lage zu beurteilen, ob die Person, die ihn gerade verhört, tatsächlich ein Richter ist und auf Grund seines Berufes befugt, so mit ihm zu sprechen. Trotzdem muss er es sich gefallen lassen. Er kann nichts dagegen tun: Deine Berechnungen waren falsch. Die Brücke, für deren Statik du verantwortlich bist, ist eingestürzt. Aber du hast Glück. Niemand hat Schaden genommen. Wir haben uns mit der Versicherung auf einen Vergleich geeinigt. Brücken aber wirst du nie wieder bauen.
Ich habe nie Brücken gebaut, will ich einwenden, da fällt mir wie Schuppen von den Augen, dass ich in einem erfundenen Gespräch mit einer Frau bin, die es mit geschlossenen Augen jetzt sehr zu genießen scheint, dass ich mit einem feinen Rosshaarpinsel ihre Lippen nachziehe und sie kirschrot anmale, obwohl es eine Bleistiftzeichnung ist.
Ich habe einen weißen Kittel an und sitze auf einem Hocker. Vor mir die Staffelei mit der Leinwand. Sie zeigt das lebensgroße Portrait einer Frau, die darauf zu warten scheint, dass ich sie küsse. Eine Fehlinterpretation, wie sich jetzt herausstellt. Ich nähere meinem Mund dem ihren, als sie plötzlich ihre Augen aufschlägt und in einem Ton, dass es mir alle Haare aufstellt, fragt: Wo ist die Brücke? Hast du mir nicht eine Brücke versprochen?
Was ihr nur alle habt mit euren Brücken, versuche ich meine Unsicherheit wegzulachen. Diese Frau mit den kieselharten Augen will Streit. Wie hatte ich mir nur einbilden können, dass sie geküsst werden will. So – zwei Mal zum Narren gehalten -, wachte er auf. Das Bett war ein Floß geworden. Mit ihm treibt er flussabwärts. Sich ganz der Strömung hingebend schließt er die Augen. Am Ufer eine einsame, windschiefe Gestalt in einer weißen Uniform. Sie winkt, aber es gilt nicht ihm. Dann wendet sie sich ab und geht den Damm entlang, bis die Stadt über ihr zusammenschlägt wie eine Wolke, die alles fortspült. Die Brücke. Sound and fury. Alles. Auch seinen Traum.
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