Scheharazad’s letzte Rede

Der Überlieferer erzählt:
Und Sheherazade hielt in der verstatteten Rede inne:
Ich hab’s satt, dir jeden Abend Geschichten erzählen zu müssen, nur um zu verhindern, dass du mich morgen nicht um einen Kopf kürzer machst. Das ist jetzt die 366igste Nacht und 1000 und eine sollen es werden? Nicht mit mir. Schluss mit storytelling. Basta. Aus. Hast dich ja selbst angeboten, könntest du jetzt einwenden, wirst es aber nicht tun, weil du in Schockstarre verfallen bist. Nie noch hat dir eine Frau widersprochen. Eine jede hat gewusst, wo ihr Platz ist in der patriarchalen Ordnung, als deren Hüter du dich aufspielst. Ich weiß, dass ich mich um Kopf und Kragen rede, aber das tat und tue ich schon 366 Nächte, die heute eine Nacht länger als ein Jahr alt sein wird. Soll es also auf diese nicht ankommen. Es ist die letzte. Im Nichts der Nacht und all der Nächte, die ich jetzt mit dir verbracht habe, ist nie mehr keine lange Zeit. Ich weiß. Du bist hungrig nach Geschichten. Ich erzähle dir eine letzte. Sie wird dir nicht bekommen. Das weiß ich. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Jeden Morgen von Neuem bangen zu müssen, ob meine Story so gut erzählt war, dass du vielleicht noch den nächsten Abend abwarten willst, um ihr Ende zu erfahren; mir immer wieder neue ausdenken zu müssen, um nicht übermorgen doch noch von deinen dir ergebenen Bütteln gesteinigt oder mit Peitschenhieben ins Jenseits befördert zu werden, um deine vermeintliche Ehre mit Blutrache wiederherzustellen? Weißt du eigentlich, wie zermürbend das ist? Wie demütigend? Nein. Du hast keine Ahnung, was das heißt. Weil deine erste Frau dich betrogen hat, hast du sie abgeschlachtet wie eine räudige Hündin. Dann hast du dir Heerscharen von Frauen zuführen lassen, um sie ihrer Jungfräulichkeit zu berauben und anschließend deinem Scharfrichter zu übergeben. Femizid nenne ich das. Was für ein Hass muss schon vor diesem Treubruch in dir geschlummert, welche Angst vor allem Weiblichen dein Gehirn vernebelt haben, dass du zu solch sühnelosen Morden fähig wurdest, und ohne mit der Wimper zu zucken, auch mich zu deiner Sklavin und Hure machst, deren Aufgabe auch noch darin besteht, dich so gut unterhalten zu müssen, dass deine Mordlust besänftigt wird.
Naiv, wie ich war, habe ich meinen dir treu ergebenen Vater überredet, dass er mich dir zuführt, wie man das mit einem Lamm tut, das man an einem Tag einem Kind schenkt, um es an einem andern zu schächten. Natürlich war er dagegen. Er hat ja gewusst, was mir blüht. Mit einer Geschichte hat er mich davon abhalten wollen. Die kennst du nicht, und ich habe sie dir auch nicht erzählt, weil sie Wasser auf deine Mühlen ist. Trotzdem erzähle ich sie dir. Es ist die letzte.
In dieser Geschichte geht es um einen Kaufmann, der die Sprache der Tiere versteht und sich über deren Unterhaltungen köstlich amüsiert. Seine Frau will wissen, worüber er so viel lachen muss, aber er will es ihr nicht verraten, weil er sonst sterben muss. Die Frau aber besteht darauf. Er legt sich also zum Sterben hin, da hört er, wie Hahn und Hund miteinander sprechen und der Hahn, der gerade eine seiner 40 Hennen besteigt, zum Hund sagt: Was klagst du so? Ich wüsste ihm schon einen Rat. Was soll er denn tun?, fragt nun der Hund neugierig. Er hat nur eine Frau, sagt der Hahn mit geschwollenem Kamm und wird nicht mit ihr fertig? Schau mich an! Er müsste nur mit ihr in den Vorratsspeicher gehen und sie ordentlich prügeln. Das hat der Kaufmann, der sich zum Sterben hingelegt hat, gehört, ist aufgestanden, hat ein Stück Holz genommen und die Frau grün und blau geschlagen. Dann hat sie nicht mehr darauf bestanden, auch um den Preis seines Todes wissen zu wollen, worüber er gelacht hat.
Mit dieser Geschichte und der Androhung, dass er mit mir genauso verfahren werde, hat er mich davon abhalten wollen. Er hat das genaue Gegenteil damit erreicht. Was denkst du dir eigentlich?, habe ich zu meinem Vater gesagt. Du bist nicht viel besser als der Herr, dem du dienst, auch wenn du Klage führst und dir die Frauen angeblich leidtun, die du in seinem Namen hinrichten lässt. Statt aufzubegehren und ihm vorzuhalten, dass es bald keine Jungfrauen mehr gibt, an denen er sich rächen kann, wenn er so weitermacht, hast du weiterhin seine Befehle ausgeführt. Weißt du eigentlich, dass es eine Zeit gab, in der wir Frauen die Macht hatten und jeden Mann auf dem Flohmarkt verkaufen konnten, der nicht in der Lage war, uns gute Geschichten zu erzählen? Und unter gut verstehe ich Geschichten, in denen nicht ein Geschlecht gegen das andere ausgespielt und ein Rollenbild verewigt wird, das schon längst der Vergangenheit angehören müsste. Oder bist du vielleicht einer von den Männern, die insgeheim denken, das ist ganz gut, was die Boko Haram, der IS oder die Taliban in einem anderen Kalifat machen, sich dabei – wie du und der Sultan – auf Allah berufend?
Allah akbar! Ja, Gott ist groß und männlich. Natürlich. Wie sollte es auch anders sein. Ich weiß, Züchtigung der (Ehe)Frau ist eine göttliche Anweisung von ewiger Gültigkeit. Ohne Scharia und Fatwa könntet ihr eure Herrschaft über uns Frauen nicht aufrechterhalten, stimmt’s? Das ist Blasphemie!, hat er getobt. Pass auf, dass nicht die Fatwa über dich gesprochen wird. Mensch, Papa, hab ich ihm geantwortet, wie gefestigt muss dein Glaube sein, wenn dich und deine Glaubensbrüder schon diese kleine Anmerkung oder eine Karikatur so in Rage bringen, dass du sogar Morde an Zeichnern gerechtfertigt findest? Entweder du machst, was ich sage, oder ich werde dem Sultan ausrichten lassen, dass du, sein Wesir, dich geweigert hättest, mich, deine Tochter, ihm zuführen zu wollen. Du weißt, was das zur Folge hat, habe ich ihm nun meinerseits gedroht. Und übrigens: Je suis Bagdad, Charlie Hebdo, Paris, Nizza, Qandeel Balochist, die kürzlich von ihrem Bruder erwürgt wurde, nur damit du’s weißt. Je suis … stinksauer, kann ich dir nur sagen, habe ich ihm gesagt. Und so kam es, dass ich nun bei dir bin und das mit dieser Nacht die dreihundertsechsundsechzigste in Folge. Aber jetzt ist Schluss.
Ich habe es getan, weil ich nicht mehr mitansehen wollte, wie du mit meinen Geschlechtsgenossinnen umgehst, aber auch im dummen Glauben, dass es mir schon gelingen würde, dich umzustimmen, dich mit Gleichnissen, Geschichten und Märchen aus dem Dunkel der Zeiten von deinem Hass auf alles Weibliche zu heilen oder wenigstens abzulenken. Nichts hat es bewirkt. Gar nichts. Ich gebe auf! Verstehst du? Mach, was du willst. Erinnerst du dich an Dunja und Tadsch el Muluk, die Geschichte, die ich dir vor ichweißnichtmehrwieviel Nächten erzählt habe? Du hast sie noch immer nicht kapiert. Du erinnerst dich nicht? Hast sie vergessen. Sieht dir ähnlich. Ich habe sie aufgeschrieben. Du kannst sie nachlesen. In dieser Geschichte wird die Frage gestellt, warum Frauen wie ich und Dunja den Männern misstrauen. Willst du wissen warum? Weil du der Falke bist, der – noch nicht sichtbar – auf die Wand des Pavillions gemalt werden wird. Dunja sah in der Bildfolge noch nicht, dass der Falke das Taubenmännchen jagen und töten wird. Warum? Nicht, weil es feig geflohen ist und sein Weibchen im Stich ließ, wie sie angenommen hatte, Nein. Im Gegenteil: Weil es den Falken von ihm ablenken und es so retten wollte. Du bist ein Falke. Männer wie du sind die Falken.
Daraufhin machte sie in der ihr nicht verstatteten Rede eine dramaturgische Pause und harrte mit nicht gespielter Gleichgültigkeit der Dinge, die bald darauf stattfinden würden.
Der Überlieferer erzählt:
Als am nächsten Morgen der Wesir des Kalifates den Auftrag erhielt, sie steinigen zu lassen, weil dies dem Sultan die verdiente Strafe für ihre frevelhafte Rede schien, … hätte niemand, und vor allem der Sultan nicht erwartet, was daraufhin geschah.
Aber das ist eine andere Geschichte.

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