13 Okt Glücksmomente
Eigentlich hätte mich schon die Nachricht auf dem Infoscreen stutzig machen müssen: Milliarden Menschen im Siegestaumel; Alle 191 Nationen ratifizieren Abrüstungsvertrag! Das allein schon schien unglaubwürdig, ja schier denkun-möglich, aber es kam noch besser!
Kaum war ich in die Metro eingestiegen, hält ein Mann einen Vortrag über das Streben nach Glück. Außer mir scheint niemand zuzuhören. Er meint, dass es gerade unsere Jagd nach Glück sei, die es unmöglich mache. Es ist nicht die Botschaft, es ist die Art seines Vortrages, die mich in Bann schlägt; vor allem die Pausen; die Pausen sind es, die mich zwingen, ihm weiter zuhören zu wollen. Sein Kopf ist kahlgeschoren und sein Gesicht ist rund; kein Fältchen furcht seine Haut. Er erinnert mich an einen buddhistischen Mönch. Genau dann, wenn er den Bogen der Spannung schon fast überdehnt hat, spricht er weiter. Jetzt von Liebe als einzigem Ausweg. Noch nie in der Geschichte der Menschheit seien die Menschen so miteinander vernetzt gewesen, und damit die ganze Welt ein großes Dorf geworden. Es sei höchst an der Zeit, die Angst vor dem anderen zu verlieren und die Chance, die Vielfalt uns böte, wahrzunehmen.
In der nächsten Station stieg ein Mann zu, der den Mönch zum Schweigen brachte, weil er auf einer Ziehharmonika zu spielen begann. Ein Kind pustet jetzt buntschillernde Seifenblasen in den Raum. Während die Fahrgäste mit Ahhs und Ohhs das Aufblasen, Aufsteigen und Zerplatzen kommentieren, und der Mann sich mit geschlossenen Augen seinem Spiel mit der Ziehharmonika hingibt, ergreift ein älterer Herr die bandagierten Hände einer Frau, die ihm gegenübersitzt, zieht sie aus ihrem Sitz und beginnt mit ihr ein paar Schritte in das Abteil hineinzutanzen. Plötzlich steht ein Mann auf und sagt: Fahrschein-kontrolle! Ihre Fahrscheine bitte. Der Mann mit der Ziehharmonika hat zu spielen, die Frau und der Mann haben zu tanzen aufgehört. Die letzte Seifenblase war zerplatzt, die Stimmung gekippt. Kaum aber beginnen die Passagiere in ihren Taschen nach ihren Fahrkarten zu suchen, – auch die, die keine haben, täuschen eine solche Suche vor -, scheint es den Undercover-agenten des staatlichen Transportunternehmens nicht mehr zu interessieren. Er begibt sich auf Augenhöhe mit dem Kind und bittet es zum Erstaunen aller, es selbst einmal mit einer Seifenblase versuchen zu dürfen.
In diesem Augenblick geht das Licht aus und eine Durchsage erinnert an den Spalt zwischen U-Bahn und U-Bahnsteig. Als das Licht wieder anging, war ich allein. Endstation. Alles aussteigen! sagt eine Stimme. Schlafen können sie daheim.
Das tat ich dann auch und tue es noch immer. Oder bin ich etwa schon wieder wach?
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