Luftgitarrensolo

Dieses Foto zB.“, sagte er, „wurde an einem besonderen Tag aufgenommen.
Du, hat unser Vater gesagt, leg deine Hände auf die Schulter von Rosi und steh gerade. Nicht so steif. Und die Sträußchen, die ihr gepflückt habt, ich weiß nicht, ob die ins Bild passen. Für wen eigentlich habt ihr sie gepflückt? Sind schon ziemlich welk. Ja, so ist es gut. Und du, ja dich meine ich. Stehst da, als würdest nicht dazugehören.
Solche Anweisungen wird er uns gegeben haben. Schnappschüsse gab es nicht. Jedes Foto war eine Inszenierung. Ich höre ihn noch, als wäre es gestern gewesen. Dabei ist das Jahrzehnte her. Jahrzehnte. Aber ich weiß noch, dass es ein Sonntag war. Der Boden noch ziemlich aufgeweicht vom Regen. Das sieht man. Drum die Stiefel. Seit Mutter tot war, hat Vater nicht mehr in die Spur gefunden. Mein Bruder konnte es ihm nie recht machen. Dauernd nörgelte er an ihm herum. Dabei hatte er es schon auf Grund seines Aussehens schwer genug. Vielleicht hat er ihn für den frühen Tod unsrer Mutter verantwortlich gemacht. Mein Bruder war ein Außenseiter. Immer schon. Er hatte keine Haare und ein mehlweißes Gesicht, so weiß, als würde er eine Maske tragen. Kein Albino. Nein, damit hätten die Eltern ja leben können. Eine Melaninstörung. Darf halt nicht sich viel der Sonne aussetzen. Es war aber nicht Albinismus. Er hatte keine weißen Haare. Er hatte gar keine. Weder Augenbrauen noch Wimpern. Und seine Augen waren nicht blass- blau-grau und nicht rosa. Sie waren rot wie die Glut eines heruntergebrannten Feuers. Das war aber noch nicht alles. Auf dem Rücken hatte er Muttermale, die aussahen, als wären es Koordinaten. Für die Eltern war es ein Schock. Sie hofften, dass sich das auswachsen und ihm Haare nachwachsen würden, aber dem war nicht so. Ich glaube, dass sie sich für ihn schämten.
Nicht so ich. Ich habe zu ihm aufgeschaut. Er war mein großer Bruder. Er war alles für mich. Vor allem nachdem Mutter tot und Vater kaum mehr anwesend war. Für alle anderen war er – schau ihn dir an und sag’s du mir. Ein Alien? Genau. Du sagst es. Ein Alien. Nicht von dieser Welt. Er war allein mit seinem Anderssein. Oft hat mich seine Einsamkeit traurig gemacht. Es tat mir weh, ihm dabei zuschauen zu müssen, wie er sich immer mehr eingekapselt hat. Aber sie ließen ihn in Ruhe. Warum? Es hat sich herumgesprochen, dass mit ihm nicht zu spaßen sei. Seit der Geschichte mit Charly machten sie einen großen Bogen um ihn. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Ich wollte es zuerst nicht glauben. Es war ein Wunder. Mein Bruder schien über eine sonderbare Gabe zu verfügen. Sie zeigte sich das erste Mal an diesem Sonntag.

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2 Comments
  • Rainer Hostnig
    Posted at 05:35h, 15 Februar Antworten

    Toll Deine Kurzgeschichten. Du solltest sie zusammenfassend als Antologie veröffentlichen.

    • Helmut Hostnig
      Posted at 11:38h, 15 Februar Antworten

      Danke Rainer. Hab einen ganzen Ordner voll. Weiß nicht, wohin damit.

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