
21 Feb. Florian
Florian
Es wird ein Sonntag sein und ich werde mir selbst überlassen sein. Ich werde eine Schachtel Streichhölzer gefunden und sie auf die Tenne mitgenommen haben. Schon beim ersten Versuch wird das Zündhölzchen zerbrechen. Um mich nicht zu verbrennen, werd‘ ich es weit von mir werfen, ohne zu bedenken, dass trockenes Stroh sich schnell entzündet, wenn es mit einer Flamme in Berührung kommt. Sieben Jahre alt werde ich sein, wenn das geschieht.
Wie jeder Wirt in einem kleinen Dorf, ist mein Vater ein wichtiger Mann oder hält sich dafür. Seine ganze Leidenschaft gilt der Feuerwehr. Das ist und war schon seit Generationen so. Schon sein Vater war Landesfeuerwehrinspektor einer ganzen Region gewesen. Er hat es immerhin zum Hauptfeuerwehrmann der örtlichen Feuerwehr gebracht. Meines Vaters Ziel ist es, denselben Dienstgrad zu erreichen, den sein Vater gehabt hat, und dafür setzt er all seinen Ehrgeiz ein. Noch trennen ihn allerdings elf Ränge von diesem Dienstgrad. Um das schnell aufzuholen, verbringt er jede freie Stunde beim Fuhrpark, versucht die Zielzeit beim Ankleiden der Schutzausrüstung zu unterbieten oder prüft die Gerätschaften, die bei einem Brand zum Einsatz kommen. Kommen sollten. Denn es hat schon lange nicht mehr gebrannt.
Sie haben mich Florian getauft. Mein Vater wird sich gewünscht haben, selbst auf diesen Namen getauft worden zu sein. Nie werde ich wissen, woran ich mit ihm bin. Wochenlang kann er mich mit Nichtachtung strafen und dann wieder grundlos sich daran erinnern, dass er einen Sohn hat. So geht er auch mit meiner Mutter um: Erst sie wie Luft behandeln, sie keiner Antwort würdigen, aus dem Haus gehen und nach Tagen zurückkommen mit einem Strauß Blumen und einem Spielzeug für mich und immer in der Erwartung, mit großer Freude empfangen zu werden.
Zwischen Hass und Liebe zerreißt es mich. Als Kind gibt es nichts dazwischen. Ich hasse ihn, wenn er meine Mutter demütigt, und ich hasse ihn, wenn er mich zu Leistungen anspornen will, die ich nicht erbringen kann. Was immer ich unternehme, es ist zu wenig. Nie wird etwas gut genug sein. Seine Enttäuschung, so einen Sohn zu haben, zermürbt mich, der Entzug und die plötzliche Zuwendung tun ihr Übriges, mein labiles Gleichgewicht empfindlich zu stören. Ich werde ohne jedes Selbstvertrauen aufgewachsen und großgeworden sein und einer, der sich in sich selbst zurückgezogen hat.
Aber es wird auch Momente geben, in denen das alles vergessen ist und ich stolz auf meinen Vater bin. So stolz, wie ich hätte wollen, dass er es auf mich ist. Ich bin stolz auf ihn, wenn er mich in der Uniform der Feuerwehr auf den Schoß nimmt und meine Freude ist riesig, wenn ich die Hände auf das Lenkrad legen darf und er so tut, als würde ich das große rote Auto steuern.
Auch wenn es schon lange her ist, immer wieder erzählt er mir von dem Feuer, bei dem er einen Bauernhof samt Ställen gerettet und auch das Übergreifen des Feuers auf die Nachbarhäuser verhindert hat. Er allein, weil sein Kumpel die Schutzmaske nicht tragen hätte können, aus lauter Angst zu ersticken. Ich bin hineingegangen, mitten hinein in die Flammen, weil vermutet wurde, dass es die alte Resi nicht mehr geschafft hat hinaus. Wer will nicht, dass er so einen Vater hat.
Leider ist das – wie ich schnell herausgefunden haben werde – gelogenDie Buben im Dorf, deren Väter auch bei der Feuerwehr sind, lauern mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf, verspotten mich, indem sie einen Kreis um mich bilden: Der Florian, der Florian hat Schiss vorm roten Hahn. Alle im Dorf wissen, dass die Geschichte mit der Resi gelogen ist.
‚Nach der Scheidung ließ er sich kaum mehr blicken. Meine Mutter sagt, dass er sich eine Neue gefunden hat. Ich hasse ihn mit der gleichen Inbrunst, wie ich ihn vermisse. Vielleicht ist das der Grund. Vielleicht ist das der Grund. Einen Grund muss es geben. Es muss immer einen Grund geben. Einer Wirkung wird immer eine Ursache vorausgehen.
Denn es hat wieder gebrannt im Dorf und die Feuerwehr hat ausrücken müssen mit meinem Vater im roten Auto.
Ich stehe vor den Flammen, gelähmt, wie in einem Traum, in welchem einer fliehen will, aber die Beine ihm ihren Dienst versagen. Noch nie habe ich so ein Feuer gesehen haben, das mit solcher Wut brennt und immer neue Nahrung zu finden scheint. Ich schließe die Augen, nicht etwa wegen des Rauches, – nein, weil das Feuer wütet – rauchlos, weil es so gute Nahrung findet im trockenen Heu, das noch vom letzten Winter in der Scheune liegt. Ich schließe die Augen , weil mich meine Sinne zum Narren halten, mir mit geschlossenen Augen prasselnden Regen vorgaukeln, ein Element gegen das andere tauschend. Erst, als die ersten Balken krachend zu Boden fallen und die Funken in alle Richtungen stieben, das Dach des angrenzenden Stalles Feuer gefangen haben wird und ich die Kühe brüllen werde hören, wird der Bann gebrochen sein und mit ihm die Lähmung, die mich angesichts der Flammen erfasst hat.
Diesmal jedenfalls wird mein Vater zu spät kommen. Da wird nichts mehr zu retten sein. Überhaupt ist nichts zu retten, wenn ein Feuer um sich gegriffen hat und die Wirkung einer Ursache eintritt, selbst wenn diese weit zurückliegt.
Tage werde ich warten. Wochen. Das Warten wird schlimmer sein als jede Strafe, die ich mir ausgedacht habe. Das Warten wird mich krank machen. Wochen werde ich in meinem Zimmer liegen, auf die Decke starren und nicht mehr auf der Welt sein wollen, die Nahrungsaufnahme verweigern, weil ich das zugelassen habe.
In einem meiner Fieberträume aber sitzt mein Vater an der Bettkante und sagt: Ich weiß, warum du das getan hast, Bub. Dann strich er mir die klatschnassen Haare aus der Stirn und blieb, bis ich wieder eingeschlafen bin.
Am nächsten Morgen werde ich wieder gesund sein, weil ich mir das alles nur eingebildet habe, auch, dass ich noch nicht geboren bin und dieser Sonntag in einer fernen Zukunft spielt.
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