Ja so mir Gott…

uhrenturnerWie können Sie, fragt der Moderator einer allwöchentlichen Musiksendung seinen Gast, aus dem ganzen Werk von Schönberg nur das Opus 23 als Aufführens wert bezeichnen? Um ihn noch weiter in die Enge zu treiben, setzt er nach: Das ist fast so, als würden sie hergehen und sagen, das letzte Kapitel von Finnegan’s Wake hätte der Autor weglassen können, sonst aber sei sein Roman gelungen, auch wenn ich wenige Menschen kenne, die ihn gelesen haben.  Wie das übrigens auch mit der 12-Ton-Musik von Schönberg der Fall ist, die sich ja auch nur wenigen (zu denen sich – wie herauszuhören nicht schwer ist, auch der Moderator zählt) erschließt.  Er möge sich eine Antwort überlegen. In der  Zwischenzeit werde er das Opus 23 auflegen, gespielt von Glenn Gould.
Ohne das Opus 23 und die Antwort des Gastes abzuwarten, schaltet Ulrich, der nicht so heißt, das Radio ab. Er war eben aufgestanden. Wie jeden Morgen hat ihn die erste selbst gedrehte Zigarette aus dem leider schon zu trockenen Tabak schier aus den Patschen gekippt. Eigentlich wollte er sich, nachdem er sich vom Schwindel erholt hatte, mit der Frage beschäftigen, wie er den Tag verbringen soll, eine Frage, die ihm auch ohne Zigarette ob der tausend Möglichkeiten immer Schwindel bereitet; aber das beckmesserische Besserwissen des Moderators und die dem Gast im harmlosen Gewand einer Frage erteilte Rüge, ließen ihm keine Ruhe. Ulrich, der nicht so heißt, dachte sich in den Gast hinein, und das gelang ihm so gut, als wäre er es gewesen, dem diese Frage mit großzügig eingeräumter Denkpause gestellt worden ist. Je länger er aber nachdachte, – das Opus 23 musste in der Zwischenzeit längst ausgeklungen sein -, umso verlegener wurde er um eine Antwort. Was sollte er sagen? Wie immer in Prüfungssituationen wurden seine Hände nass und es beruhigte ihn zwar zu wissen, dass er niemandem die Hand würde geben müssen, gleichzeitig aber wusste er, dass sein Schweigen noch viel peinlicher sein würde als der Schweiß , der sich jetzt nicht nur in seinen Händen, sondern auch auf der Stirn gebildet hatte.
Auch wenn es nur in seiner Einbildung geschah, hörte er sich jetzt sagen, ohne den Ärger in seiner Stimme unterdrücken zu können: Wissen Sie, eigentlich wollte ich mich mit der viel drängenderen Frage beschäftigen, wie ich den Tag verbringen soll, der mittlerweile leider schon beträchtlich fortgeschritten ist. Ich fürchte nämlich, dass, wenn das so weiter geht, ich am Abend noch immer dasitzen werde und mich dann vor Einbruch der Nacht wieder tadeln muss, dass ich den Tag wieder einmal vorüber ziehen hab lassen, ohne ein Werk zu schaffen oder an einem solchen zu arbeiten, worüber ein Moderator und sein Gast später einmal würden kontroversiell diskutieren können. Aber, – wissen Sie -, und in das Sie legte er alle seine Wut -, denn sein Tagwerk mit einer Auseinandersetzung über Aufführens wertes oder zu Streichendes in Kunstwerken beginnen zu müssen, statt sich der Frage hingeben zu dürfen, wie er den Tag verbringen will, ging ihm sehr gegen den Strich:
Aber wissen Sie, – hub er also noch einmal an und stellte sich leib- und lebhaft vor, dem Moderator gegenüber zu sitzen -, wenn ich so auf mein Leben zurückblicke, das ja auch in der Summe seiner Tage ein Opus war und für diejenigen ist, die ein Leben als Kunst zu leben deuten, dann habe auch ich – trotz einiger Kapitel, die ich getrost hätte streichen können -, etwas… (hier versucht ihn der Moderator zu unterbrechen, was Ulrich, der nicht so heißt, aber nicht zulässt, obwohl es ihm an dieser Stelle höchst gelegen käme, unterbrochen zu werden, weil er sich in einen Schlamassel hineinredet, wie er sehr wohl weiß, aber nichtsdestotrotz oder trotzig fort fährt:
Lassen wir das! Es ist gestrichen. Ich tue das sichtbar machend mit einem Querstrich über das Gesagte, der jetzt vom mithörenden Leser oder lesenden Mithörer nachvollzogen werden muss. Für uns – die Mehrheit, die nichts Reproduzierbares schafft; deren Leben sich, wenn es zu Ende ist, auf zwei Daten verdichtet, wie sie auf Grabsteinen zu finden sind, falls es diese noch in 50 Jahren geben sollte; für uns, die wir nichts hinterlassen, das einmal kontroversiell diskutiert werden könnte, außer unser Leben selbst, das wir geführt haben … Stellen wir uns doch nur für einen Augenblick vor… (wieder versucht ihn der Moderator zu unterbrechen, der in der Zwischenzeit seine Stimme möglicherweise aus dem off genommen und das Opus 23 in einer Endlosschleife aufgelegt hat) … Stellen wir uns doch nur für einen Augenblick vor,  – die Wirklichkeit kann ja sogar noch das Vorstellbare an Phantastischem übertreffen – es gibt einen Gott und dieser ist allmächtig und allwissend und fragt mich, den Erdengast, als Moderator aller Lebensläufe: Was aus dem Drehbuch, das ich dir auf den Leib geschrieben habe, hättest du gerne gestrichen? Und dieser Gott, den wir mit allen nur denk- und vorstellbaren exterrestrischen Eigenschaften ausgestattet haben, würde mich, dem ich den Namen Ulrich gegeben habe, jetzt auch noch herausfordernd fragen: Bist du mit meiner Schöpfung im Ganzen oder nur zu Teilen zufrieden? Und dieser göttliche Moderator würde mir jetzt – großzügig und barmherzig, wie er eben ist – auch noch eine Denkpause einräumen wollen, dann … Ja, dann würde ich, Ulrich, der nicht so heißt, sagen: Lieber Gott. So wahr du mir helfen willst. Ich brauch keine Denkpause. Wäre ich gläubig, würde ich wie Hiob mit dir hadern und dich fragen, ob du in der Hitze deiner umkämpften Unternehmungen nicht vielleicht selbst schon wahnsinnig geworden bist. Denn, wenn du es nicht bist, wie kannst du zulassen, dass nun sogar ein Anwärter auf das Bundespräsidentenamt dich wie der Herzog Jasomirgott der Zweite um Hilfe ruft, der sich als Raubritter in den Kreuzzügen verdient gemacht hat? Und ganz nebenbei: Ist es wirklich der von dir vorher gesehene Plan, dass wir als Instrumente deines göttlichen Willens, als ein Teil deiner Schöpfung, die Erde an die Wand fahren?
Das, so meint Ulrich, der nicht so heißt, würde er, wenn er an ihn glaubte, nicht sagen, sondern in sein Antlitz schleudern, das wir als Áuge in einem Dreieck zu sehen gelernt haben, aber niemand könnte es hören, da gedacht Gesagtes der menschgewordene Moderator der Sendung im Opus 23 von Schönberg untergehen ließe.
Immerhin wusste er jetzt, wie er den Tag hätte verbringen können, wenn nicht schon wieder Abend wäre.

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2 Comments
  • Manfred Voita
    Posted at 13:38h, 24 Oktober Antworten

    Gelernt: Hofer hat sich in einer Plakataktion an Gott gewandt. Es hat wirklich einen Herzog Jasomirgott gegeben, auch wenn das nicht sein Geburtsname war. Schönberg… hm, Opus 23… kenne ich nicht. Schönberg schon. Also mehr dem Namen nach. Das gedachte Streitgespräch, dass zwischen Ulrich und dem Moderator stattfindet und der Wechsel in die nächsthöhere Etage mit einem Moderator, der eine universale Zuständigkeit beansprucht, das gefällt mir alles gut, einschließlich der ersten Zigarette, die bei mir Anfang der nächsten Woche vermutlich auch wieder so reinhaut, wenn mein Arbeitsalltag wieder beginnt und damit auch mein Gesellschaftsrauchen.
    Und was wir hinterlassen, als Gattung, ist eh nur ein Trümmerfeld, geschmückt mit ein paar Kunstwerken und etwas Musik, von der noch keiner weiß, welche das sein wird, ich fürchte aber, es wird Jürgen Drews sein.

    • Helmut Hostnig
      Posted at 15:34h, 24 Oktober Antworten

      Lieber Manfred
      Gelernt: Jürgen Drews (Das ist der Moment, wenn der Himmel brennt)
      Ich wünsche dir angenehme letzte Tage, bevor du dich wieder in das Hamsterrad beginnst. Danke fürs Kommentieren.

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