08 Aug Bei den Svanen in Adishi
Nach kurzem Disput werden wir am Dorfplatz mit einem der Taxifahrer handelseinig und brechen nach Adishi auf; ein Weiler in der abgelegenen Bergregion des Hohen Kaukasus, der nur über einen Höllenritt auf nicht gefestigtem und von heftigen Regengüssen zum Teil überspültem Geröllweg erreichbar war. Hätten wir es gewusst, wären wir vermutlich besser beraten gewesen, gleich nach Ushguli aufzubrechen. Erst nach unserer Ankunft im gebuchten Elisabeth`s Guesthouse stellte sich nämlich heraus, dass dieser Ort nur von Trekkingtouristen aufgesucht wird, die von hier aus nach einer zwei- bis dreitägigen Wanderung über einen hohen Pass auch nach Ushguli gelangen wollen; es setzt zwar keinen Kletterschein voraus, dafür aber tritt- und wetterfestes Durchhaltevermögen über das ich vor allem mit Gepäck auf dem Rücken nicht mehr verfüge.
Auch wenn wir anfangs nicht wissen, wie wir von dort wieder auf die Straße nach Ushguli kommen, die Sorge würden wir uns Morgen machen. Außerdem ist alles hgier in Georgien „no preoblem“! Jetzt aber werden wir durch eine Landschaft entschädigt, die auf dem weiten Erdenrund ihresgleichen sucht, Auch die Begegnung mit den wenigen Menschen, die in dieser zerfallenden Siedlung ausharren und noch so leben wie unsere Vorfahren in den Alpen, lässt uns diesen Abstecher keinen Augenblick bereuen.
Das Leben hier – vor allem im Winter – war in dieser Gegend nie leicht. Die Svanen mussten sich durch die Jahrhunderte als Wächter der hohen Pässe im Kaukasus gegen unzählige Invasoren wehren: Perser, Römer, Byzantiner, Araber, Türken und Mongolen versuchten in die alpinen Täler und Hochebenen vorzudringen, um an das sagenhafte Gold zu gelangen, das seine Bewohner mit Tierhäuten aus den Gebirgsflüssen schöpften. Sie waren – in kleinen Stammesverbänden organisiert – gefürchtete Highlandkrieger, die ihre Heimat – abgeschottet vom Rest der Welt – lange zu verteidigen wussten. Schon Strabon, ein griechischer Geschichtsschreiber aus dem 1. Jhdt. vor Chr. rühmt ihren Stolz und Mut. Die Isoliertheit der Siedlungen ist auch der Grund, warum Svanen eine eigene Sprache, Folklore und Bräuche entwickelt haben. Über Brautraub, Blutrache und Banditentum, die das Zusammenleben der Clans über Jahrhunderte prägte, habe ich schon geschrieben. Noch bis 2003 war es nicht ratsam, sich in dieser Gegend als Tourist aufzuhalten. Jetzt aber muss sich niemand mehr fürchten. Touristen sichern den wenigen Einheimischen (hier sind es noch 14 Familien) ein Einkommen, das sie nicht wie andere zur Aufgabe ihrer Häuser, Türme und Höfe zwingt, um ein weniger anstrengendes Leben in den Städten zu suchen.
Durch das Dorf streunend sehen wir das erste Mal aus der Nähe diese aus Schieferstein aufgetürmten Trutzburgen. Seit dem Mittelalter dienen sie mit ihren drei bis fünf Stockwerken manchen Familien und ihren Tieren noch heute als Wohnraum, Stallung, Futter- und Lebensmittelspeicher, aber auch als Aufbewahrungsort für heilige Schriften, religiöse Ikonen und andere Relikte. Gleichzeitig waren sie Verteidigungs- und weithin sichtbare Signaltürme, die wie ein Schutzwall rund um die Siedlungen und mitten in ihnen angelegt sind.
Auf dem Weg durch das verfallende Dorf begegnen wir Schweinen und am Wegrand grasenden Kühen. Ein Hund döst im Schatten eines zur Ruine verkommenen Steinhauses, das mit seiner windschiefen hölzernen Veranda mit ornamentalem Fries von seiner ehemaligen Pracht zeugt. Plötzlich sprengt ein Pferd – angefeuert von einem kindlichen Reiter – im Galopp durch die engen Gassen. Steine spritzen auf. Er winkt uns zu. Das Echo seines Jauchzers, der uns ahnen lässt, wie unbändig dieser Junge sich freut, bricht sich an den mossbewachsenen Mauern. Dann ist es wieder still und die Siedlung liegt da, als wäre sie schon seit Jahrhunderten aufgegeben worden.
Bis heute rätseln Forscher und versuchen das Geheimnis der Wehrtürme zu entschlüsseln. Immerhin stehen sie seit über 1000 Jahren und hielten nicht nur Angriffen, sondern auch Lawinen und Erdbeben stand. Sie verjüngen sich zwar nach oben, die Höhe der Türme aber entspricht mit 30 m den Seitenlängen des Fundaments. Das auf den Turm aufgesetzte Dach wiederum ist in Länge und Breite so groß wie der Grundriss.
Die Gebirgskette des Hohen Kaukasus schützt zwar gegen die aus dem Norden kommende Kälte und beschert den Hochtälern ein Klima wie wir es aus unseren Alpen kennen. Trotzdem können wir uns die Bedingungen im Winter kaum vorstellen, wenn 2 m hoher Schnee die Dörfer unter sich begräbt. Wir haben Glück. Der Himmel ist wolkenfrei, obwohl Regen angekündigt war.
Auf unserer kleinen Wanderung über blumenbunte und saftig grüne Wiesen, einem Bach mit glasklarem Wasser folgend, kommt uns ein Reiter entgegen. Wie sich herausstellt, ist er der Bruder der Gastgeberin in Elisanbeth`s Guesthouse. Er spricht ein bisschen Englisch. Wir fragen ihn, wie das Leben hier oben in den Bergen sei. Er habe versucht in der Stadt zu leben, sagt er, indem er gedankenverloren die Kuppe seines Pferdes streichelt, das er Tornado getauft hat. Das sei nicht gut gegangen. Die Sehnsucht nach den Bergen hätte ihn wieder zurückgebracht in sein Dorf. Vor allem im Winter sei es hart. Den könne man hier oben nur mit viel Chacha (Chacha ist ein vergorener Traubentrester oft mit 65% ‚Alkoholgehalt) überleben. Er lacht und gibt Tornado die Sporen. Welcome to Adishi, ruft er uns nach.
Die Unterkunft ist – wie zu erwarten war – mehr als bescheiden. Leider müssen wir die angrenzenden Zimmer mit einer Reisegruppe junger Polen teilen. Immer mehr Trekkingtouristen treffen ein, die ihre durchnässten Schlafsäcke und Kleider auf die Leine hängen. Im Hof sind die Frauen mit dem Abendessen beschäftigt. Überhaupt gewinnen wir den Eindruck, dass hier nur die Frauen arbeiten. „Wir Männer vermieten unsere Pferde, führen die Touristen über die Pässe, sehen nach dem Vieh und arbeiten auch auf den Feldern“, entrüstet sich Georgi, dem ich diese Vermutung mitteile.
Zum Entsetzen meiner Lebensgefährtin wird im Hof gerade ein Sauschädel in einem Kessel gekocht, der über einem Feuer hängt. Sie ist Vegetarierin. Weil wir so einen Hunger haben, bekommen wir eine Zwischenmahlzeit, die wir auf der Terrasse einnehmen. Herrliche Chachapuri und selbstgemachtes Joghurt. Endlich – die Sonne ist schon untergegangen – werden wir zum Abendessen in die gute Stube gerufen.
Unser Guide hat nicht übertrieben. Der Tisch biegt sich unter Schüsseln mit den Köstlichkeiten der georgischen Küche; alles home made: saftige Tomaten aus dem hauseigenen Garten. Käse von der Ziege aus dem Stall. Warme Milch von der Kuh. Mich wundert, wie groß die Kartoffeln in dieser Höhe gedeihen. Wir befinden uns immerhin auf 2.200 m. Die Runde ist unterhaltsam und lustig, die Nacht weniger. Die Betten klamm. Wenn wir aufs Klo müssen, steigen wir aus dem Fenster, um die jungen Polen nicht zu wecken, die neben uns ihr Quartier bezogen haben. Dafür aber gibt es wieder ein tolles Frühstück. Während sich die anderen auf ihre Wanderung vorbereiten, fragen wir uns noch immer, wie wir nach Ushguli kommen. „Schuhmacher will drive you“, erklärt uns Grorgi, den wir gestern mit seinem Pferd Tornado kennengelernt hatten.
Er meint seinen Vater. Der will 250 Lari für die 30km. Das ist viel. Sehr viel sogar. Ein Handeln nicht möglich. Wir steigen in seinen Toyota. Auf der Fahrt wird uns klar, was es mit „Schuhmacher“ auf sich hat. Er fährt nicht, er jagt sein Auto wie ein Pferd, das erst zugeritten sein will, über die Piste, dass uns Hören und Sehen vergeht. Wenn es einer wagt, seine Fahrt zu bremsen, droht er hupend ihn zu rammen, wenn er nicht sofort und zwar pronto Platz macht. Dann überholt er, selbst wenn wir keine zweite Fahrspur erkennen können. Im wahrsten Sinne des Wortes gerädert, kommen wir in Ushguli an. Wir sagen madloba/danke. Er brummt was, wendet das Auto und braust davon.
Wir blicken uns um. Türme über Türme wie aus einem Fantasiespiel eingebettet in eine beinahe unwirklich schöne Landschaft. Ein Fake aus Photoshop. Das kann nicht wahr sein. Das gibt`s nicht. Träumen wir? Davon und darüber im nächsten Beitrag. Danke fürs Lesen und mit uns Reisen.
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