Die Fahndung läuft

Die Fahndung läuft

I

Von diesem schon etwas fortgeschrittenen Morgen erwartet er sich genauso wenig, wie von dem, der ihm folgen sollte, falls er ihn überlebt. Siegfried Samsa leidet zwar nicht unter dem Asperger-Syndrom, aber er hat mit zunehmendem Alter ein immer größer werdendes Problem damit, soziale Empathie zu entwickeln.

Während sich die globale Berichterstattung mit der Pandemie beschäftigt, versucht er ein Gedächtnisprotokoll der Geschehnisse, wie Siegfried Samsa glaubt, sie erlebt zu haben. An manchen Stellen – zum Beispiel dort, wo er sich nicht ganz sicher ist, ob es sich so oder anders zugetragen hat, verlässt er sich auf seine Fabulierlust. Das Auf- und Niederschreiben hilft ihm, die Zeit zu vertreiben. Es ist keine Klosterzelle mit karger Einrichtung für einen Menschen, der im Glauben den Sinn für sein In- und Aufderweltsein gefunden hat; es scheint eine Zelle in einem Gefängnis zu sein, mit Insassen, die mehrheitlich ihren Glauben an den Sinn ihres Aufderweltseins verloren haben und ausnahmslos davon ausgehen, zu Unrecht in dieser Einrichtung festgehalten zu werden. Er kann für sie nicht die Hand ins Feuer legen. Er für sich weiß, dass er unschuldig ist, aber es will ihm nicht und nicht gelingen, den Beweis dafür zu erbringen. Fight-Flight-Freeze? Im Augenblick hat er aus schierer Notwendigkeit sich für die letzte Variante entschieden.

II

In Ermangelung eines menschlichen Wesens, mit dem er sich über Belanglosigkeiten austauschen könnte, hat er einen Androiden erfunden, ein Roboterkind, das als Platzhalter für das in ihm abgestorbene programmiert ist. Mit diesem will er gerade Erinnerungen austauschen, als ihn die Müdigkeit übermannt und er in ein traumähnliches Setting gerät. Die Zeit verrinnt im Loop. Tik Tok. Tik. Tok. Wahrscheinlich wegen der immer gleichen Abläufe: Zähneputzen, Fernsehen, Rauchen, Schlafen – unterbrochen von Versuchen, Zukunftspläne zu schmieden, die Siegfried Samsa von jetzt auf Morgen verschiebt. Wofür es übrigens ein Wort gibt, das ihm auf der Zunge liegt, aber nicht und nicht einfallen will. Doch. Jetzt ist es da: Prokrastination. Heute kein Tik Tok. Tik Tok. Soweit ich ihn kenne, würde er viel dafür geben, er hätte sein ereignisloses Leben wieder zurück, das mit dem Ruhestand begonnen hatte. Aber ich kann mich auch irren. Er hat die Ereignislosigkeit mit Kopfkino überwinden wollen, was ihm manchmal auch gelungen war. Jetzt aber wird es von einer Wirklichkeit eingeholt, die ihm keine Antwort auf die Frage geben will, ob er das alles vielleicht auch nur geträumt hat.

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2 Comments
  • Dietrich von Bern
    Posted at 19:12h, 20 Februar Antworten

    Sehr amüsant, besonders die Einsprengsel aus dem wirklichen Leben! Am Schluss ein bissl die Lesegeduld verloren, aber so ist es bei allen längeren Texten, die man am Bildschirm lesen muss – die Zeilenlänge ist einfach zu lang und die Augen mögen das Hin- und Herwandern nicht.
    Grüße
    GG

    • Helmut Hostnig
      Posted at 12:41h, 21 Februar Antworten

      Danke fürs Lesen und Kommentieren. Ja, kann ich gut verstehen, dass das Lesen auf dem Schirm anstrengend ist. Dass du es aber trotzdem versucht hast, freut mich ungemein.

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