23 Jun Mit 80 Mausklicks um die Welt (Teil 2)
Das virtuelle Reisen mit Mausklicks hat seine Tücken. Die Hyperlinks führen und verführen mich, da und dort zu verweilen, und in der Absicht, nur einen Schlenker zu machen, bin ich plötzlich in einem Irgend- oder Nirgendwo, und irre völlig plan- und orientierungslos durch das Netz, wie es Backpapers auch auf ihren Reisen tun. Es ist ja auch reizvoll, einmal ohne Führer eine Gegend zu erkunden, und für die Zeit, die man für diese Umwege zugebracht hat, wird man mannigfaltig entschädigt. Die Wette aber, die ich mit mir selbst abgeschlossen habe, es Phileas Fogg in Jules Verne’s Roman „Le tour du monde en quatre-vingts jours“ gleich zu tun, habe ich jetzt schon verloren. Kaum habe ich mit meiner Reise in Kambodscha begonnen, hatte ich im benachbarten Thailand schon sicher 30 Mal die Maus geklickt. Dabei warten noch 180 andere Länder darauf, auf diese Art und Weise bereist und erkundet zu werden.
Bluthilde, das progressivste Blog im Netz, wie sein Untertitel unterstellt, brachte mich auf die Spur des Genossen Daniel Ortega, der dem – wie schon einmal zitiert – demokratisch vom Volk gewählten ArbeiterInnenpremier Thaksin aus Thailand einen Diplomatenpass ausgestellt hat…
Wie wär’s also mit einem Schlenker in das Nicaragua Daniel Ortegas, der mittlerweile übrigens auch dem von allen Seiten bedrängten Gadaffi eine solidarische Grußbotschaft mit folgendem Inhalt zukommen ließ: „Nicaragua, meine Regierung, die Sandinistische Nationale Befreiungsfront und unser Volk begleiten Sie in diesen Schlachten und tragischen Momenten, in denen es um das Schicksal Afrikas, des Nahen Ostens und der Reichtümer der Menschheit geht.“ Ein Volk, ein Reich, ein Führer: So liest sich das. Zumindest für mich, der dort war, damals, als Ortega noch einer der Commandantes der sandinistischen Revolution war. Was ist aus diesem Nicaragua geworden?
..Go with the flow.. und schwupps bin ich auf dem Weg nach Nicaragua. Meine Reisebegleiterin ist eine junge Deutsche, die aus welchen Gründen immer, mir ihren Namen und ihre Herkunft nicht preisgeben will. Nenn mich Marianne, meinte sie trocken, als ich mich in einem Tica-Bus neben sie setzte, der uns nach Managuna bringen soll. Halt. Managuna? Wo will sie hin? In die Hauptstadt von Nicaragua? Vielleicht weiß sie nach ihrer Reise, dass ihr da ein „N“ zuviel zwischen die Vokale geraten ist. Aber ich will nicht kleinlich sein. Man kann und darf sich vertippen und auch versprechen, zumal es jetzt gefuehlte 5 Grad hat und es zudem eisig von der Decke tropft. Obwohl ich sie nur virtuell begleite, kann ich mir keinen Bus vorstellen, in dem es eisig von der Decke tropft. Aha, die Klimaanlage. Ich verstehe. Lesen wir, nein: Reisen wir weiter: Zum Glück hat mir Sarah ihre geklaute Flugzeugdecke überlassen, murmelt sie vor sich hin, indem sie sie wie einen Poncho um ihre Schultern hüllt. Wer Sarah ist, will sie mir allerdings auch nicht verraten. Bevor sie aber in ein ebenso eisiges Schweigen verfällt, wie die Tropfen, die von der Decke fallen, meint sie – jetzt schon ziemlich verkühlt: Ich kann dir sagen, Reisen ist anstrengend. Wem sagst du das, denke ich mir, der ich vor dem Monitor sitze und mich durch ihren Bericht zappe. Wir sind nämlich mittlerweile an der Grenze angekommen. Ein äußerst witziges System, stellt sie fest. Alle stehen mit ihrem kompletten Gepäck in einer Schlage und jeder hat einen Button zu drücken. Leuchtet die Ampel grün, darf man durchgehen, leuchtet sie rot, wird das Gepäck gefilzt. Bei mir leuchtete die Ampel rot, aber mit meinem brillanten Spanisch (hahaha) habe ich es geschafft, den Beamten davon zu überzeugen, dass das jetzt viel zu kompliziert ist, meinen Rucksack auszupacken, lacht sie schadenfroh, weil meiner natürlich auseinander genommen worden ist. Was sie aber so froh macht, leuchtet mir nicht ganz ein, da der Bus ohnehin erst weiter fahren konnte, nachdem alle durch waren.
In Rivas wollte sie noch schnell zur Bank. Sie kommt zurück und stellt resigniert fest: Wieder mal habe ich mich an einen Ort begeben, wo es solche Dinge nicht gibt. Anschließend geht’s auf die Fähre und sie bittet mich jetzt, mir ein völlig überladenes Bötchen vorzustellen, das über den größten See Mittelamerikas zur Isla de Ometepe tuckert. Eine Insel, wie sie mir dankenswerterweise erklärt, bestehend aus zwei Vulkanen, dem aktiven Conception, der allerdings zuletzt 1957 ausgebrochen ist, und dem inaktiven Madera. Über dem Festland geht die Sonne unter und vor uns fängt der Conception in einem herrlichen Licht zu rauchen an. Jetzt bin ich ganz bei ihr, obwohl es hier noch hell am Tag ist. Wow. Man fühlt sich so klein am Fuße eines rauchenden Vulkans! Auch ich ducke mich nun unwillkürlich, um mich mit ihr klein zu machen, dann folge ich ihr zu Ali, dessen Zimmer zwar nach Schimmel muffen, dafür gibt’s aber recht saubere Duschen und billiges Essen und endlich wieder frisch gepressten puren Saft! Auch ich stärke mich jetzt mit einem Schluck allerdings synthetischen Holundersafts und erhole mich von den Strapazen der Lesereise, während sie zur unverbindlichen Inselerkundigung aufbricht, bevor Morgen der Vulkan bestiegen wird. Wie das in diesem Klima sein wird, weiß ich zwar noch nicht, aber einfach so am Fuße sitzenbleiben, ist unmöglich, findet sie…Stillschweigend geht sie davon aus, dass ich sie begleite. Ich aber lasse sie jetzt zur „unverbindlichen Inselerkundung“ aufbrechen. Ich bin ja nicht verrückt. Allein die Vorstellung bei 50 Grad im Schatten auf einen Berg zu steigen, lässt mir vor dem Monitor die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Nein: Ich werde sie nicht begleiten. Das steht fest.
In Granada treffe ich sie wieder. Sie hat tatsächlich den Vulkan bezwungen. Wie mir die Stadt gefalle, fragt sie mich, um sofort und ohne meine Antwort abzuwarten, festzustellen: dass man hier auf der Central Plaza fast glauben könnte, sich in Spanien zu befinden, wären da nicht alle die „lateinamerikanischen Menschen. Die koloniale Architektur und die Sauberkeit dieser Ecke verbreiten europäisches Flair. Geht man jedoch einen Block weiter, landet man in den Straßen der Einheimischen. Das war mir neu. Man muss also nur ums Eck gehen und ist in Lateinamerika. Sie versteht meinen Sarkasmus nicht. Ohne Überleitung erzählt sie von einer anderen Stadt. Von Leon. Dort war es erstmal nur heiß. Aufgrund der Umgebung weht dort kaum ein Lüftchen. Die Stadt ist hektisch und dreckig. Aber, – und das schien alles wieder wettzumachen -. es gibt recht ordentliche Einkaufsgelegenheiten und ne Menge kolonialer Kirchen. Unter anderem steht hier die größte von Mittelamerika, die stand zwar auf dem kulturellen Programm, aber es kommt mir total unpassend vor, sich hier eine Kirche anzuschauen. Es passt nicht wirklich in das nicaraguanische Leben, das ich in den letzten Tagen kennen gelernt habe, aber es gehört nun mal zur Geschichte. Da bleibt mir jatzt aber die Spucke weg. Dass Geschichte zum Leben gehört, leuchtet mir ja noch ein, mit Einschränkungen auch noch, dass es zu einem Leben eine nicht dazupassende Geschichte geben kann, aber einen Kirchenbesuch mit der Begründung abzulehnen, dass er nicht in das nicaraguanische Leben passe, obwohl es zur Geschichte gehöre, war mir einfach zu hoch.
Ja, so kann man auch reisen, dachte ich mir. Warum sich mit der Geschichte eines Landes und seiner aktuellen Tagespolitik auseinander setzen. Ist doch eigentlich nur mühsam und hilft nicht wirklich die Kultur eines Landes zu verstehen, oder? Dass hier ein Somoza gewütet, dass ein Erdbeben die Stadt verwüstet, dass hier eine Revolution mit 50.000 Toten statt gefunden hat usw. verdirbt einem doch nur die Sicht auf die reizvolle Landschaft. Ist doch wahr, oder? Nichts wie weg. Ich mag sie nicht, diese ahnungslosen Backpapertouristen, die wie Japaner in wenigen Tagen durch einen Kontinent reisen, alles nieder knipsen, was ihnen vor die Linse kommt, und ihre „Eindrücke“ mit rudimentärem Wortschatz und frei von Grammatikregeln verschriften und der Welt mitteilen müssen.
Halt. Halt Halt, Sei nicht so arrogant, so furchtbar elitär, höre ich jetzt eine Stimme. Lass Marianne reisen, wie sie will, und die Japaner, wie sie es tun. Jeder hat seine Art zu reisen und über Erlebtes zu berichten. Wenn du dein ehrgeiziges Projekt weiter führen willst, musst du dich dran halten. Marianne hat’s immerhin geschafft, in drei Wochen ganz Mittelamerika zu bereisen, Japaner schaffen Europa in einer Woche. Hast du schon herausgefunden, warum Japaner immer nur in Herden auftreten? Wie wär’s mit einem Besuch in Japan? Ich suche nach einem Witz, der das touristische Herdenverhalten der Japaner aufs Korn nimmt und stoße auf einen Spiegelbericht aus dem Jahr 1982, als man jedes Mal noch zusammen schreiben durfte: …
„…In fast allen Charterflugzeugen mit Pauschalreisenden aus Nippon werden Filme vorgeführt, die Tischsitten, Höflichkeitsformen und auch gesellschaftliche Tabus der Zielländer illustrieren.
Brüllt und singt nicht im Restaurant, werden Nippons Männer da ermahnt; lauft nicht in Unterwäsche durchs Hotel; bewahrt euer Geld nicht wie gewohnt in einer Bauchbinde auf, damit ihr nicht jedesmal beim Bezahlen die Hose runterlassen müßt; uriniert nicht auf der Straße; schlürft Suppe nicht vom Teller.
Auch die Dame wird belehrt: Iß nicht vom Gabelrücken; lauf nicht mit Lockenwicklern im Haar herum; sprich nicht fremde Männer an; puder dir nicht im Restaurant die Nase, der ausländische Tischnachbar könnte dich für ein leichtes Mädchen halten.
Etliche der Ge- und Verbote sind sicherlich übertrieben. Doch gerade darin zeigt sich, mit welch tiefsitzender Unsicherheit viele Japaner die ihnen S.133 fremde Welt angehen, die sie erfahren möchten und vor der sie gleichzeitig zurückschrecken. Da suchen sie zwangsläufig Schutz in der Gruppe, wie daheim, die den einzelnen führt, die dieselbe Sprache spricht.
Ohne diesen fürsorglichen Schutz, sagt Tsuneo Nagasa, Chef des JTB, fühlt sich der Japaner „in der Fremde verloren“.
Wie also wär’s mit einer nicht virtuellen Reise nach Japan? Du liebst es ja, dich in der Fremde verloren zu fühlen, um dir selbst wieder näher zu sein, oder?
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