Erfundener Monolog einer Romanfigur

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Erfundener Monolog einer gedachten Romanfigur in Abwesenheit des Autors

Die Geschichte, die du erzählen willst, hat den Fehler, dass sie mit einer für den Leser ermüdenden Landschaftsbeschreibung beginnt. Vielleicht – so wendet er sich an den abwesenden Autor – wolltest du eine Stimmung vorgeben, in welcher sich ein Geschehen anbahnt, das nie stattfinden würde. Eine Liebesgeschichte, die ein trauriges Ende nimmt? Ein Spiegel für die Gemütslage, in der sich alle deine Protagonistinnen in diesem angedachten Roman befinden? Viel zu lang. Viel zu lang. So schreibt heute niemand mehr. Eine Zumutung für den Leser ist das. Die reinste Zumutung. Du hättest mich schon im zweiten Absatz einführen müssen. Ja, mich in einer Handlung hättest du beschreiben müssen; einer Handlung, die den Leser geradezu zwingt, die nächste Seite aufzuschlagen, um atemlos bis an das Ende vorzudringen. Was machst du? Du beschreibst eine dystopische Landschaft, beschreibst den ammoniakfarbenen Himmel, unter dem ich mir nichts vorstellen kann, außer dass Ammoniak stinkt. Zum Himmel stinkt, wenn du mir, herzensguter Autor diese Assoziation erlaubst. 17 Seiten lang. Der erste Satz, den du mir in den Mund gelegt hast, und sich auf Seite 17 findet, kann nie und nimmer von mir sein: „Nichts bleibt, was es, und niemand, wer er war.“ So geschwollen redet doch kein normal sterblicher Mensch. Lass es mich wenigstens zitiert haben und mich darüber lustig machen. Außerdem hättest du das ruhig weiter ausführen können, statt mir das Wort abzuschneiden und Henrietta von einer Weltachse faseln zu lassen, die als Grammophonnadel im Universum kratzt. Henrietta. Was für bemühte Bilder. Die hat Henrietta nicht. Außerdem: So heißt doch heute niemand mehr. So ein Name ist doch eine Strafe für eine moderne Frau. Sie gehört nicht hinein. Sie ist fehl am Platz. Ich will sie nicht an meiner Seite. Ich hege keinerlei Gefühle für sie. Warum unterstellst du mir ein Begehren? Warum behauptest du, dass ich den Abend, den du mich mit ihr verbringen hast lassen, als gewinnbringende Investition in das Morgen verbucht hätte. Aber was rege ich mich auf. Du bist ja nicht da, hast keinen Kopf jetzt fürs Schreiben. Hast Wichtigeres zu tun. Hast eben keine Disziplin. Wer einen Roman schreiben will, muss sich jeden Tag hinsetzen und mindestens 1000 Zeichen schreiben. Nicht hundertvierzig, 1000. Da gibst du mir einen Namen, lässt mich einen grammatikalisch holprigen, dafür lyrischen und somit tiefgründigen Satz sprechen, und dann… Sendepause. Ja, hast du sie nicht alle? Das kannst du doch nicht machen mit mir. So lass ich mich nicht abspeisen.

Ich komm schon wieder runter. Gut. Ich werde jetzt sachlich bleiben. Warum hast du ihn nicht gleich eingeführt und vorgestellt, den ich jetzt Andreas nennen will, damit er einen Namen hat, der mir gefällt; einer, der zu mir gehört, einer, mit dem ich leben kann, weil ich ihn für mich ausgesucht habe. Nicht den, den du ihm gegeben hast, weil ich der Auffassung bin, dass Literatur und Wirklichkeit eine scharf gezogene Grenze haben muss und Autobiografisches in ihr nichts verloren hat. Es sei denn, es geschieht so verschlüsselt, dass es aufwendiger Recherchen bedarf, diese Spuren aufzudecken. Gerade bei einer Figur wie Andreas wäre es notwendig gewesen, mit ihr zu spielen, ihr wenigstens eine andere Heimat zu schenken, einen Ort wie das Paradies, das keiner gesehen hat, aber jeder zu kennen glaubt.  Das hätte Andreas  verdient, und das bist du ihm schuldig geblieben. Es hätte genügt, ihn mit wenigen Strichen zu skizzieren, wie es Aquarellmaler tun, bevor sie den Pinsel in die Farben tauchen. Kantiges, von grauem Stoppelbart gerahmtes Gesicht, schmale, listige Augen, der Schädel beinahe kahlgeschoren, das selbstsichere Auftreten gleich wieder mit unnötig selbstkritischen Demutsgesten zerstörend mit Sätzen wie zB.: Ja, die Chumberlandsauce ist nicht ganz gelungen. Eigentlich gehört sie schärfer. Oder: Deine Beobachtung würde Jürgen gefallen, der auch der Meinung ist, dass die Einrichtung etwas von Dekor hat. Ohne jetzt noch mehr ins Detail zu gehen, ist es genau das, was ich vermisse. Sätze, wie man sie im wirklichen Leben hören kann. Die solltest du mich sprechen lassen. Außerdem bin ich mit dem Charakter, den du mir unterstellst, noch viel weniger zufrieden. Was aber soll ich machen? Bin dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wirst schon sehen, was du davon hast. Ich werde mich jetzt nämlich hinsetzen und das Ganze überarbeiten.

Henrietta werde ich auch umtaufen. Wie wär’s mit Klara? Wo, ja wo, bei welcher Gelegenheit habe ich sie kennen gelernt?

Ich werde die Geschichte für dich zu Ende schreiben. Ich sehe schon die Schlagzeile: Figuren eines angedachten Roman‘s erfanden sich nicht nur ihre Lebensgeschichte, sondern schrieben sich ihre Dialoge selbst. Das wäre ein Präzedenzfall für geistigen Diebstahl; magst dich noch so lange als Autor ausgeben, erfunden habe ich mich selbst und Henrietta dazu. Auch die Zeitumstände; das framework, in welchem das Ganze eingebettet ist: Die Kapitalisierung der Gefühle, die Kommerzialisierung der Kommunikation. Die Selbstvermarktung, die Selbstüberwachung et cetera et cetera.

Aber da kommt er ja. Er setzt die Brille auf, schlürft aus einer Tasse Cafe, während die Datei aus ihrem neuro-digitalen Schlummer geweckt wird, liest das Ganze noch einmal, um wieder hineinzufinden in die Geschichte, die er schon seit Monaten zu schreiben beabsichtigt und ist eben über den schon von mir zitierten Satz auf Seite 17 gestoßen: „Nichts bleibt, was es, und nichts, wer er war.“ Dieser Satz ist ein Killer. Was soll ihm nach so einem Satz noch einfallen. Ich höre die Grammophonnadel kratzen. Gute Nacht. Ich spiele da nicht mehr mit. Soll er sich doch selbst mit mir und Henrietta alias Klara herumplagen. Verblendet wie er ist, glaubt er noch immer, dass er das geschrieben hat. Dem ist nicht zu helfen.

 

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