Valdivia. Ein Spaziergang mit Reni

Gestern Nacht in Valdivia angekommen. Das letzte Mal bin ich bei Freunden von Freunden untergebracht. Reni hat mich eingeladen. Zuerst skeptisch – konnte sie sich ueber meinen Blog davon ueberzeugen, dass ich lautere Absichten hege und nicht vorhabe, fuer Celco zu werben, der hier angesiedelten Zellstofffabrik, die  durch toxische Abwaesser die Fluesse und Feuchtgebiete kontaminiert. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft. Ein Durchhaus – wie mir scheint – von jungen, engagierten UmweltschuetzerInnen. ‚Wenn es regnet‘, meint sie beilaeufig, ’steht die Strasse und der Hauseingang meterhoch unter Wasser.“ Letzte Woche bebte die Erde. Alles nicht sehr beruhigend. Es ist ziemlich kalt und ich friere trotz Thermounterwaesche, einer Waermflasche in einem Schlafsack unter einem Berg von Decken. Reni hat – kaum angekommen – mit etlichen Telefonaten schon den naechsten Tag verplant. Ich bin muede, huelle mich in Schweigen und Decken und versinke – Gott ist gnaedig – schnell in tiefen Schlaf.

Am fruehen Morgen regnet es tatsaechlich und ich bin hellwach. Steht die Strasse schon unter Wasser. Ich finde kein Fragezeichen auf der Tastatur. Vielleicht besser so. Warum auch alles immer hinterfragen wollen. Vielleicht gibt es Boote, die mich zum Terminal bringen. Ich schaele mich aus den Decken. Nichts wie weg. Warum aber soll ich alarmiert sein, wenn es die nicht sind, die hier wohnen. Langsam erwacht die Wohngemeinschaft. Schlaftrunken – als waere dieser Morgen wie jeder andere auch – wird von den Mitbewohnern Wasser aufgekocht und Tee zubereitet.

Reni laedt mich auf einen Spaziergang in die Stadt ein. Es regnet zwar noch immer und es haben sich grosse Pfuetzen gebildet, aber die erwartete Ueberschwemmung ist ausgeblieben. Langsam klart der Himmel auf und ich halte tapfer Schritt. Auch hier erinnern vertraute Namen an die deutsche Kolonie.

Hier gleich am Flussufer haben sich die Deutschen ihre Haeuser in einem Stil gebaut, der mir mittlerweile schon seit Valparaiso vertraut ist. Zuerst nicht willkommen – und auf eine nahegelegene Insel verbannt – praegten sie zunehmend die Stadt. Unter ihnen viele Kuenstler und Intellektuelle.

Die Eisenbahn, die ehemals von Arika bis Puerto Montt den Strassenverkehr entlastet hatte, liegt still.

Japan hatte vor einiger Zeit angeboten, die Strecke bis nach Punta Arenas auszubauen und wieder in Betrieb zu nehmen. Als Gegengeschaeft sollte ihre Hochseeflotte in den Gewaessern Chiles fischen duerfen. Dieses Tauschgeschaeft wurde allerdings nach Protesten der Bevoelkerung abgelehnt.

Die Stadt liegt strategisch guenstig gelegen an der Muendung dreier Fluesse, die Ebbe und Flut kennen, und schon in den Zeiten der Konquista, aber auch im spanisch-lateinamerikanischen Krieg durch zusaetzliche Wehranlagen Schutz bot.

Hier leistete das spanische Mutterland den hartnaeckigsten Widerstand. Der Hafen von Valdivia war lange Zeit neben dem Valparaisos der letzte Warenumschlagplatz im Pazifik vor dem Kap Horn.

Wie wichtig es ist, dass Abwaesserkanaele zukuenftige Ueberschwemmungen verhindern, zeigt diese tiefe Pfuetze, die durch den Regen heute morgen entstanden ist.

In einem Holzlager vorbei an einstoeckigen Haeusern, die ihre Fenster mit allerlei Nippes aus laengst vergangenen Zeiten schmuecken, einem Hund, der ueber seine Huette wacht, und einer Katze, die hinter einer zerbrochenen Scheibe vor sich hindoest – ueberhaupt scheint hier alles einer anderen Uhr zu folgen – kommen wir zu einem Holzlager. Reni will wissen, was der Festmeter kostet. Mit Holz zu heizen ist noch immer billiger als mit Strom oder Oel.

Drum ist die Luft hier wie in allen groesseren Ansiedlungen geschwaengert vom Holzofengeruch. Fuer 17.000 Pesos = ungefaehr 35 $. wesentlich billiger als in Europa.
Nicht weit davon entfernt ein Franzikanerkloster aus der Kolonialzeit.

Vom Herumgehen muede laedt mich Reni in ein Cafe ein, das heute noch den Charme eines Lokals aus der Hippiezeit versprueht. Dort suchen wir Pepe Araya auf, den ich am Nachmittag interviewen will.

Ein Besuch auf dem Fischmarkt darf nicht fehlen. Dort ueberraschen mich Pelikane, Kormorane, Seeloewen und Seagulls, die alle schreiend und laermend auf Abfaelle warten.

Wir versorgen uns mit Fisch, Muscheln und Gemuese.  Auch radikale Systemaussteiger wie Reni und ihre Gefaehrten der Wohngemeinschaft leben nicht nur von hitzigen Debatten, Luft, Liebe und geplanten Aktionen. Sie haben eine Tauschboerse ins Leben gerufen, den sie Truecke nennen, wie ein Flohmarkt funktioniert, und eine Versorgung mit Lebensmitteln oder Gegenstaenden des taeglichen Gebrauchs ohne Geld erlaubt. Jetzt aber will ich fuer den Einkauf aufkommen. Immerhin erspare ich mir Uebernachtungskosten.

Neben dem Fischmarkt entsteht das groesste Kasino Suedchiles. „Hier werden sich die Valdivianer bald um Kopf und Kragen spielen koennen“, meint Reni etwas sueffisant. Waehrend sie kochen geht, erlaube ich mir noch einen Aufenthalt im Cafe de las cosas ricas. Hier werden sogar die Loeffel in ein Papier gehuellt serviert. Der Kaffee ist wirklich ausgezeichnet. Nicht wie in Bolivien, wo er nicht zu trinken war.

Mir gefaellt Valdivia. Die Leute sind freundlich, das Klima angenehm, obwohl ich mir alle Augenblicke die Jacke an und wieder ausziehen muss. Es ist das letzte Mal, dass mir eine Stadt von jemandem gezeigt wird, der in ihr lebt. Von nun an bin ich nur noch mir selbst ausgeliefert und muss ohne Fuehrer auskommen. Was hatte ich doch bis heute und seit Beginn meiner Reise fuer ein Glueck.

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