15 Jul Mit dem Zug nach Vlora
Wir nehmen den Zug nach Vlora. Diesmal sind alle Abteile und auch die Gänge voll. Da es noch immer das billigste Fortbewegungsmittel ist, benutzen es Einheimische, um von den Sumpfgebieten und Schwemmlandschaften der Küste zwischen den beiden Städten an die Strände von Durres zu gelangen. Der Schaffner bemüht sich lautstark die Jugendlichen zu vertreiben, die sich vor unserem Abteil konzentriert haben und uns neugierig beobachten.
Es ist stickig und heiß und so fürchte ich mich vor längeren Aufenthalten in Stationen, die als solche kaum erkennbar sind. Dort steigen so viele zu, dass es nun sehr eng geworden ist. Bald ist das Eis gebrochen und es wird eine vergnügliche Fahrt. Alle wollen sie wissen, woher wir kommen, ob uns Albanien gefällt, wie lange wir schon hier sind. Es wird viel gelacht. Oft wissen wir nicht, warum. Aber es ist ein gutmütiges Lachen. Ich gehe in den Gang, um Fotos zu schießen und mich vom Fahrtwind kühlen zu lassen.
Ein Jugendlicher fragt mich ehrerbietig, wie ich es nur von ehemaligen Schülern kenne, die als ehemalige Hirtenkinder aus dem tiefsten Anatolien kamen, ob ich Lust hätte mich mit einem anderen zu unterhalten, der mir ein paar Fragen stellen wolle.
Er ist sehr schüchtern und spricht ein ausgezeichnetes Englisch. Er möchte Ingenieur werden. Bald vertraut er mir an, dass er mit seinem Vater in Vlore lebt, er seine Mutter gerne wieder sehen würde, die nach Italien gezogen ist und er auch gerne einmal Amerika besuchen wolle, wohin seine Onkel und Tanten ausgewandert sind.
Es stellt sich heraus, dass ich einen zwar auf sein Land stolzen, aber dennoch kritischen Gesprächspartner gefunden habe, Er erzählt mir von den blutigen Unruhen 1997, die nach dem Pyramidenskandal von Vlore aus das Land erfasst haben. Er sei noch ein Kind gewesen, könne sich aber noch gut an die Beerdigung eines jugendlichen Demonstranten erinnern, den die Polizei erschossen hat. Ja, es stimme schon, dass es eine Mafia gäbe, die über das nur 60 km entfernte Italien Schmuggel und Menschenhandel betreibt. Auch der wiedergewählte Berisha von der DP (demokratischen Partei) sei nicht sauber. Nie sei seine Verwicklung in die Geschäfte der Kredithaie aufgedeckt worden.
Als ich auf die Bunker und pilzartigen Unterstände zeige, mit denen Enver Hoxa das Land zugepflastert hat, heischt ein anderer Verständnis für die politische Lage, in der sich sein Land damals befunden habe: „Für Nichtalbaner mag es paranoid wirken, aber seit es eine albanische Geschichte gibt, war dieses Land von fremden Mächten besetzt. Übrigens wurde in Vlore 1912 das erste Mal die Unabhängigkeit ausgerufen.“
So gebrieft fahren wir in das müllverseuchte Einzugsgebiet von Vlora ein. Kommunales Land scheint Niemandsland zu sein. Man erkennt es an den wilden Deponien.
In Vlore ziehen wir unseren Albanienführer zu Rate, um günstige Übernachtungs-möglichkeiten zu finden. Es ist Abend und alles scheint unterwegs zu sein.
Das Hotel liegt direkt am Hafen. Der Besitzer gibt uns die Schlüssel fürs Zimmer. „30 € mit Frühstück anche una fiesta“, meint er freudestrahlend. Hätten wir den Höllenlärm auch nur geahnt, der bald losbrechen würde – die air-condition funktionierte auch nicht, wie sich nach dem Abendessen herausstellte – , wir hätten dieses Hotel fluchtartigst verlassen. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass bis 3 Uhr früh die Wände von den Subwoofer- bässen buchstäblich bebten: Wumm.Wumm.Wumm. Da half auch kein Oropax. Die Albaner lieben es laut. Natürlich gab es auch kein Frühstück, weil das Personal noch in den Kojen lag. Als wir auch noch erfuhren, dass es erst wieder am Nachmittag Busse geben würde, die uns über den Llogarapass weiter in den Süden nach Saranda bringen, leisteten wir uns den Luxus diese Strecke mit dem Taxi zurückzulegen. Bei eingeschaltetem Taxameter war mir aber bald klar, dass wir – dort angekommen – kein Geld mehr haben würden. Also warteten wir weitab von der Hauptstraße in einem kleinen Dorf auf eine Mitfahrgelegenheit. Ein Frühstück trug dazu bei die Stimmung zu heben, und als sich dann auch noch ein Fahrer bereit fand, uns über den Pass bis Saranda zu bringen, war der Tag gerettet.
Vlora hat es möglicheerweise nicht verdient, dass wir es so fluchtartig verlassen haben. In Erinnerung jedenfalls blieb uns das Abendessen in einem griechischen Lokal, das alles übertraf, was wir in Albanien auf den Speisekarten gefunden haben.
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