Mountains und Prärie: Von Lajitas nach El Presidio

Nach einem Frühstück mit Wifi verlasse ich den Big Bend Richtung Lajitas, einen Umweg über die den Rio Grande säumende Straße, den Camino del Rio, den River Road nach El Presidio nehmend. Und ich habe es nicht bereut. Nach soviel Wüste endlich üppiges Grün, Oasen aus Schilf und Ocotillo entlang des braun mäandernden Flusses, der sich hier 120 km lang sein Bett gegraben hat. Noch einmal lässt Lajitas grüßen, was soviel wie „flache Steine“ bedeutet, eine Postkutschenidylle heute mit Golfplatzresort, aber auch ein Ort, der wegen des niederen Wasserstandes noch bis heute illegale Grenzübertritte begünstigt. Aus diesem Grunde wurde hier wie an anderen crossing points ein Fort errichtet, in welchem die berüchtigten Texas Rangers stationiert waren, um die Silbertransporte zu sichern und in der Prohibitionszeit den Alkoholschmuggel zu unterbinden.

Das einfallende Sonnenlicht ist so grell, dass ich auch beim Fahren meine Augen mit Sonnenbrille schützen muss. Eben blockiert herabfallendes Geröll die Straße. Trotz Demage Weaver, einer Haftpflichtversicherung, hätte ich für Steinschlagschaden selbst aufkommen müssen. Ich darf mich auf den einsamen Highways, deren Asphaltbänder wie mit einem Lineal gezogen geradeaus bis zum Horizont führen, nicht zu Speedtests hinreißen lassen. „Don’t mess with Texas“, kann man da und dort lesen. Die Strafen für zu schnelles Fahren oder gar ein Fahren unter Alkoholeinfluss, kostet dich hier den Führerschein, eine saftige Geldstrafe obendrein und vielleicht eine Übernachtung in der Zelle einer Border control station. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich manchmal verlockt bin mehr als die erlaubten 70 miles zu fahren. It’s a free country, isn’t it, and we are all mavericks, aren’t we? Light another cigarette, singt Jim Morrisson eben, lets forget. Ein versteckter Aufruf zum Drogenkonsum. Apropos Drogen. Ich überquere gerade den smuggler creek. Es ist die einsamste und malerischste Gegend, die man sich vorstellen kann, und gilt als Geheimtipp. Seit Stunden kaum Gegenverkehr. Die Straße gehört mir. Manchmal ein Biker, in dessen Lederhaut ich bei dieser Hitze nicht stecken will, viel öfter ein meterlanger, chromblitzender Truck, ein roter oder blauer Tupfer in der Landschaft, der auf mich zukommt, immer größer wird und dann im Seitenspiegel verschwindet. PS-starke Pickups mit angehängten Trailern. Ja, die Amrikaner sind ein ziemlich mobiles Volk. Nur noch wenige Meilen nach El Presidio, Welthauptstadt der Zwiebeln am Zusammenfluss von Rio Grande und Rio Conchos, einer nach dem mexikanischen Krieg mittlerweile zweigeteilten Stadt, Ojinaga mit Namen. Auch hier Umweltprobleme. Wasserknappheit. Grundwasserkontaminierung durch leichtfertig entsorgten radioaktiven Abfall.

Weiter mit Tom Waits. Was für eine Stimme. Classic Vinyl: Musik der 68iger ohne Unterbrechung. Wie viel kulturelle Prägung haben wir in Europa als Jugendliche damals allein durch die Musik erfahren. Es war Musik mit einer Botschaft. Woodstock. Der kalte Krieg. Die Kubakrise. Der Wettlauf um den Mond. Die Ermordung Kennedys. Vietnam. Der Fänger im Rocken. Faulkner, Mark Twain, Edgar Allen Poe. Tim hat sich gestern gewundert, was Europäer alles über Amerika wissen und wie wenig Amerikaner über Europa. Er meint, dass seine Mitbürger nur ein rudimentär entwickeltes Geschichtsbewusstsein und obendrein kaum Kenntnisse fremder Sprachen hätten, und dass dies für ihn der auffallendste Unterschied zwischen dem sogenannten alten und dem neuen Kontinent sei. Und heute? Ungebrochen. Der Rap, der über den Atlantik zu uns kam, prägt in Bezug auf Musik die Jugend von heute. Das Neue und Innovative kommt immer noch aus Amerika, Eine neue Generation von Schriftstellern geht in Romanen und Kurzgeschichten mit dem Land ins Gericht und zeichnet das Bild einer extrem widersprüchlichen, aber an den Gegensätzen bis heute nicht zerbrechenden Gesellschaft, die ihren Pioniergeist mit allen ihren positiven wie negativen Folgen nicht verloren hat: Foster Wallace, James Ellroy, Pynchon, T.C.Boyle, um nur einige zu nennen. Personalisiert fand ich diese extremen Gegensätze in Horst Jung, jenem republikanischen Rechtsaußen, dem ich in Lubbock begegnet bin, und gestern in Tim Dean, einem kritischen Geist, den die derzeitige Entwicklung mit großer Sorge erfüllt und geradezu anekelt.Aber ich schweife ab.

Wenn man stundenlang auf den Highways unterwegs und der Weg das Ziel ist, hat man Zeit zum Nachdenken. Es ist aber auch die mit der Prärie beginnende Eintönigkeit der Landschaft, die zu abschweifende Gedankenreisen ermutigt. Dabei sollte ich besser auf die Straße achten. Vor mir ein Tierkadaver und etliche Geier, die nicht von ihm ablassen, obwohl ich jetzt im Schritttempo auf sie zufahre. Wenig später der überdimensional große und zerfetzte Reifen eines Trucks. Ich halte auf Marfa zu, wo ich tanken und mir die Rauminstallationen von Donald Judd ansehen will.

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1 Comment
  • Ingrid
    Posted at 16:21h, 16 September Antworten

    ich reise weiterhin mit dir.
    gibt es eine karte mit deiner reiseroute? hätte ich gerne.

    lg ingrid

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