Groschengrab

Ich bin ein Groschengrab, sagt sie. Das sagt man da so. Ich kenne diesen Ausdruck nicht, hab ihn noch nie gehört und bitte deshalb um Aufklärung. Was ist das, ein Groschengrab?, frag ich also. Hast es wirklich noch nie g’hört? Ja, wo lebst du denn?, fragt sie entrüstet. Heut würd’ man ja Cent sagen und nimmer Groschen. Centgrab müsst’s heut heißen. Aber nur weil wir jetzt den Euro hab’n, müss’n wir doch jetzt nicht alle Redewendungen, die mit Groschen z’ tun hab’n durch Cent ersetzen. Wie würd’ das denn klingen, wenn ich jetzt sag: Ist der Cent jetzt g’fallen bei dir? Ich hab verstanden, obwohl ich noch immer nicht weiß, was ein Groschengrab ist. Ein Groschengrab, klärt mich die Tante nun endlich auf, ist  ein Geldautomat, der Schilling oder Groschen schluckt, die heut Cent heißen. Er schluckt sie, aber spuckt sie nicht mehr aus, verstehst? Drum Groschengrab. Vom Grab stehst auch nicht mehr auf, außer du bist der Jesus. Gut, aber was hat das mit dir zu tun? Warum bist du ein Groschengrab? Wenn dich einer mit Geld füttert und du gibst es nimmer her, müsstest ja reich sein, versuche ich zu argumentieren. Jetzt hast es noch immer nicht kapiert? Das ist doch nur übertrag’n g’meint. Manchmal stellst dich wirklich blöder als bist oder willst mich ärgern? Weil mich alle mit ihren G’schicht’n füttern wie ein Automaten, hast es jetzt? Sie tippt mir auf die Stirn: Ist der Groschen jetzt g’fall’n? Drum.

Als hätte ich eine Münze eingeworfen, kullern jetzt ohne Ende die Geschichten heraus, mit denen sie gefüttert worden ist, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe: Du kennst doch die Schwester Seda vom Pflegedienst. Die hat unlängst ihren Vater bei mir abg’stellt. Ihr werdet euch sicher gut versteh’n, hat sie g’meint, und dann ist sie einkaufen g’fahr’n. Und danke noch, hat’s mir nachg’ruf’n: Ich wüsst sonst nicht, wohin damit. Dann ist er bei mir g’sess’n und hat mich eine Stund lang an’brüllt, weil er taub ist, obwohl er eine Brille hat mit einem Hörgerät drin um 5000 €. Fernfahrer war der und hat alles g’sehn, was es in Europa so gibt. Alle Raststätten hat er aufg’sagt, die Autobahnen rauf und runter. Ich hab mir das ang’hört und bin dann irgendwann nur noch dag’sess’n und hab mir dacht, hoffentli kumts bald, die Schwester und holt’n wieda. Er könnt mich doch einmal fragen, wo in Europa ich war und was ich g’sehn hab. Aber nichts da. Gar nichts hat er mich g’fragt. Nur herumbrüllt hat er und ist ganz aggressiv worden, wenn ihm der Name von einer Raststätten nicht eing’fallen ist, bis sein Tochter wieder kommen is und sich tausendmal bedankt hat, weil sie sonst ja nicht wüsst’, wohin damit. Er aber hätt lieber bleiben wollen, weil’s ihm so gut g’fallen hat bei mir, weil er so gut reden hätt’ können mit mir. Ich geh nur, wenn du mich wieder herbringst zu der Frau. Die kann gut zuhören, hat er g’sagt. Ich hab schon glaubt, die Schwester Seda bringt ihn gar nicht mehr weg, Die ist g’schlag’n mit dem Vater. Wenn er nur nicht so schreien tät.

Aber der Milka geht’s noch viel dreckiger. Die ist da g’sess’n, wo du jetzt sitzt, mei Putzfrau, die mir immer den Slivovitz bringt, den echten aus serbischen Zwetschken, und hat g’weint und g’weint, und weißt, warum? Weil sich die Schwiegereltern gegenseitig erschoss’n hab’n und das jetzt, wo bald Weihnachten ist. Das tut man doch nicht so kurz vor Weihnachten, oder? Was sagst dazu? Wir streiten zwar auch, aber erschießen tun wir uns noch nicht und scho gar nicht vor Weihnachten. Eine Tragödie ist das. Eine richtige Familientragödie. Wie soll man da trösten? Ich hab’s halt weinen lassen. Mehr kann man da nicht tun. Putzt hab ich dann selber. Die sind alle so fertig kurz vor Weihnachten. Der Mann, die Kinder, die Hausarbeit, der Beruf.

Jetzt ist sie in der Scheidung, die Danka. Wer ist die Danka? Das ist die Schwester, die immer am Dienstag kommt. Die aus der Slovakei. Die hat auch keinen Kopf mehr für das, was da eigentlich tun sollt. Jetzt hab ich ihr am Wochenend frei geb’n und zahl dafür, dass ich mein Ruh hab. Immer öfter ruft’s an und sagt, dass’ nicht kann, weil’s zur Beerdigung muss, weil ein Bruder g’storb’n ist. Das hat’s jetzt schon zwei Mal g’sagt, dass nicht kommen kann, weil ein Bruder g’storb’n ist. Da kann sie jetzt noch 4 Mal anrufen, weil sie hat 6 G’schwister, hat sie mir einmal g’sagt, und zählen kann ich noch. Aber die glaub’n jo alle, I bin scho verkalkt und merk mir nix mehr. Die kommt und setzt sich hin und hat einen furchtbaren Hass auf den Mann, der jetzt ein Hundsfott ist und einmal ihr Schatzi war, und hört nicht mehr auf, ihn alles schimpfen, weil er mit einer andern was hat, obwohl sie auch kein Heilige ist, aber, wo sie doch alles für ihn ´tan hat, und deswegen jetzt die Wohnung will, die ganze, wo sie z’sammen herg’richt hab’n. Dabei hat’s schon wieder einen, den hat’s übers Internet kennen g’lernt. Sagn’s nur das nicht keinem, hab ich ihr g’rat’n, weil, so lang’s noch nicht g’schied’n sind, so die Wohnung nie kriegt. Der nächste, hat’s g’sagt – und da werd ich selber noch rot – muss entweder ein dickes Portmonee oder einen dicken Schwanz haben. Am besten beides. Bei mir kann man alles abladen, weißt, weil ich kann schweigen wie ein Grab. Wie ein Groschengrab.

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1 Comment
  • chb
    Posted at 16:53h, 02 Juli Antworten

    gschichtn aus der altenbetreuung wäre wohl eine neue serie wert. du bist kein groschengrab – du spuckst die gschichten wieder aus. dafür sollte ein neuer ausdruck her – oder reicht schriftsteller? sicher nicht.

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