Don’t mess with Charly

Der Sonnenschirm drohte abzuheben, so stark war der Wind. Er pflanzte ihn tiefer in den Sand, schaufelte mit seinen Händen einen Haufen rund um seinen Stock. Dann legte er sich wieder in den von ihm gespendeten Schatten, der mit der Sonne zu wandern begann. Wenn er aufwacht, wird er wissen, dass er die kommende Nacht nicht würde schlafen können. Der Schirm tanzte kieloben draußen auf den Wellen. Die Sonne kippte gerade blutrot hinter den Horizont. Er will ins Wasser, obwohl er weiß, dass es ihm nur kurzfristige Kühlung versprechen kann und das Salz dann auf seiner verbrannten Haut trocknen würde. Den in den Farben des Regenbogens leuchtenden Schirm zu retten, kam ihm nicht in den Sinn. Er war zu müde. So müde, dass er sich noch im Schlaf die Augen rieb.

Der zu Asche verbrannte Teil einer Zigarette ragte glimmend noch über den Tischrand hinaus. Sie lag auf dem Sofa und nippte an einem im oberen Drittel rechtwinklig geknickten blauen Strohhalm, den sie – während sie telefonierte – grade zu biegen versuchte. Hey. Nein. Kommt gar nicht in Frage. Wo denkst du hin? Aber. Was willst du damit sagen? Die Glut der Zigarette fraß sich langsam in den Filter. Sie dämpfte sie nicht aus, beobachtete sie aber angestrengt, jederzeit bereit einzugreifen, falls sie über den Rand des Glastisches auf den Teppich kippen sollte.

 

Roland stapfte die Düne hinauf. Noch vor Einbruch der Dunkelheit wollte er auf der Straße sein, sich in sein Auto setzen und ein Motel suchen. Das Auto aber war weg. Es war ein schwarzer Mercedes der S-Klasse, den eine Werbung mit „Hier fährt Geld und Erfolg!“ verkauft hatte. Er hatte beides nicht. Der Wagen war gemietet für ein Wochenende. Du hast es also geschafft, wollte er seinen Vater sagen hören. Endlich. Wir haben uns ziemliche Sorgen um dich gemacht, weißt du? Die Mutter würde ihm entgegenkommen und sagen: Lass dich anschauen, Bub. Gut schaust du aus. Für sie musste er nicht mit einem Mercedes vorfahren, aber sie war schon tot. Auch sein Vater. Schon lang. Wo aber war das Auto? Er konnte sich nicht geirrt haben, da er den gleichen Weg zurück gegangen war. Ich kann mich genau erinnern. Da. Genau da habe ich ihn geparkt. Mir gefiel der einsame Strand unterhalb der Dünen, wollte er zu Protokoll geben, als er nach einem stundenlangen Fußmarsch endlich in ein totenstilles Dorf gekommen war, um wegen einer Diebstahlsmeldung eine Polizeidienststelle aufzusuchen. Den ganzen langen Weg hatte er sich gefragt, wer ein Interesse daran haben könnte, sein Auto zu klauen. Sie haben es nicht einmal aufbrechen müssen, hörte er sich sagen, weil der Dieb im Besitz des Autoschlüssels gewesen sein muss. Wie das? Ganz einfach, würde er sagen: Ich habe geschlafen. Ich bin unter meinem Schirm eingeschlafen. Auch sein Handy war wie alles andere, das er jetzt vermisste, im Auto.

Er musste schon länger in der Wohnung gewesen sein. Anders konnte Miranda es sich nicht erklären, dass just in dem Augenblick, als sie aufgelegt hatte, das Licht ausging und eine rattenscharfe Stimme aus Richtung der Türe, die zur Küche führte, ihr befahl die Vorhänge zuzuziehen. Sie aber war wie gelähmt, hielt das Cocktailglas in der linken und das Handy in der rechten Hand, bewegungslos. Erstarrt. Charly, rief er in leicht amüsiertem Ton, sie will die Vorhänge nicht zuziehen. Die müssen aber zu sein, Schätzchen, sagte der so Angesprochene, der hinter ihm aufgetaucht war und jetzt auf sie zuging. Für das, was wir vorhaben, sagte er sanft, sollten sie zu sein.

Es war ein Straßendorf, wie er es aus seiner Heimat kannte, mit geduckten Häusern, kaum voneinander zu unterscheiden. Keine Polizei weit und breit. Kein Gasthaus. Keine Telefonzelle. Nichts. Rein gar nichts. Nicht einmal ein Hund, der anschlägt, keine Katze, die vorbeihuscht. Seltsam, dachte er, als er Schritte hörte auf dem Asphalt, die nicht mehr seine waren. Er blieb stehen und drehte sich um. In der Mitte der Straße stand wie eine Silhouette gegen den Nachthimmel ein Mann. Er trug einen Mantel, keinen leichten, wie man ihn vielleicht im Herbst trägt, wenn es zwar noch warm aber windig ist. Einen schweren schwarzen Ledermantel trug er ohne zu schwitzen. Und das allein schon machte ihn unheimlich. Wohin des Wegs?, fragte er, als wären sie beide in einen Film geraten, dessen Dialoge einem Theaterstück entstammen. Gibt es hier eine Polizei oder könnten sie mich in die nächste Stadt mitnehmen? Seine Stimme versuchte entschlossen zu wirken. Habt ihr gehört?, sagte der Mann jetzt, als wäre er in Gesellschaft. Er will zur Polizei. Hinter ihm wurde gelacht. Er drehte sich um. Woher waren die Männer gekommen, die ihm nun die Straße versperrten? Sie versteckten ihre Augen hinter dunklen horngefassten Sonnen-brillen, obwohl Nacht war. Wenn sie ihm Angst machen wollten, war es ihnen gelungen.

Sie hatte verstanden. Zwar nicht, was genau sie vorhatten, aber es würde mit ihr zu tun haben. So viel stand fest. Als sie den Strick und dann die Leukoplastrolle in Charly’s Händen sah, wusste sie, dass jede Angst, die sie in ihrem Leben kennen gelernt hatte, nichts sein würde gegen die, von der sie jetzt gepackt und in den Würgegriff genommen wurde. In Miranda’s eyes wide shut sahen sich die zwei Männer gespiegelt, die alle Hände voll zu tun hatten, die außer Kontrolle geratene Frau zu fesseln und zu knebeln. Sie verschnürten sie in fötaler Haltung, damit sie in den Kofferraum passte. Es war ein schwarzer Mercedes. Das war das letzte, was sie sah. Sie hörte noch, wie die Heckklappe, dann die Seitentüren satt ins Schloss fielen und hätte sich im Augenblick nichts sehnlicher gewünscht als durch einen Schlag betäubt worden zu sein.

Er behauptet also diese Frau nicht zu kennen, obwohl der letzte Anruf, der mit seinem Handy zur Tatzeit unternommen worden ist, an eine Miranda S. gerichtet war, die leblos in seinem Kofferraum lag. Er behauptet weiterhin, hörte er eine von ihm angewiderte, zynische Stimme in einer ihm fremden Sprache sagen, dass er sein Auto nicht wieder gefunden und er sich zu Fuß auf den Weg zur Polizei gemacht hätte, um Anzeige zu erstatten. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Wo aber hatte er sie das letzte Mal gehört? Ich halte fest, diktierte er weiter, obwohl niemand zu sehen war, der ein Protokoll anfertigte. Auch kein Aufnahmegerät. Er weiß keine Erklärung dafür, warum er sich mit eben dem Auto, einem schwarzen Mercedes der S-Klasse, der seit einem Monat als gestohlen gemeldet ist, aus dem Staub machen wollte. Erst nach einer wilden Verfolgungsjagd durch die kurvenreichen Passstraßen konnte er von der Polizei endlich gestellt werden. Genauso war es. Er wird das bestreiten wollen, aber niemand ihm glauben. Er behauptet weiterhin, diktierte der schnauzbärtige Kommissar, der – wäre er um Einiges weniger beleibt gewesen – ihn an seinen Vater erinnern wollte, dass ihn Männer aufgehalten und ihn mit Messern bedroht hätten. Jetzt war die Stimme in seinem Rücken. Die nackte Deckenbeleuchtung sorgte für ein bedrohliches Schattenspiel, dessen Sinn er zu enträtseln suchte, während die Stimme nun in seine Muttersprache wechselnd und mit einem erstickten Lachen fortfuhr: Übrigens eben die Männer, die uns den entscheidenden Hinweis gegeben hatten. Bürger – und ich füge hinzu – unbescholtene Bürger unserer kleinen Stadt, von denen einer ihn am Strand liegen sah, während aus dem am Straßenrand abgestellten Mercedes ein erschöpftes Klopfen zu hören gewesen war.

Nach einer Pause, die er von den Augen des Angeklagten verfolgt dazu benutzte, ihn mit auf dem Rücken verschränkten Armen zu umkreisen, blieb er, sich vor ihm aufbauend, abrupt stehen. Er betrachtete ihn aufmerksam und plötzlich schnellte seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu: Sie wissen, von wem ich spreche, Herr Roland S. Nicht wahr?

Roland S. schaute in die nackte Birne und schloss die Augen. Er fragte sich, für wen diese seltsame Posse inszeniert wurde, da er ja mit ihm allein im Raum war, das unschwer als Verhörzimmer gedeutet werden konnte, obwohl die von innen abgeschirmte Sichtwand fehlte. Oder war es einfach nur ein Keller? Auch fragte er sich, wem eigentlich der Kommissar diese sich lediglich auf Indizien stützende Anklage diktierte. Und noch befremdlicher war, dass er ohne erkenntlichen Grund zwischen den Sprachen hin und her switchte. Aber er musste zugeben, dass es nicht gut aussah für ihn. Ganz und gar nicht. Er saß in der Falle. Schlimmer noch, denn der Mann, den er für einen Kommissar hatte halten wollen, wurde plötzlich von einem hereinplatzenden Untergebenen mit Charly angesprochen. Auf dem Kleiderhaken an der Wand hing ein schwarzer Mantel.

Als er seine Augen aufschlug und in die blutrote Sonne blinzelte, die eben dabei war über den Horizont zu kippen, sah er den Sonnenschirm, wie er kieloben auf dem Wasser tanzte. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Jetzt war er hellwach. Seine Haut war krebsrot. Sein Schädel brummte. Jetzt den Schirm retten zu wollen, kam ihm nicht in den Sinn. Dazu war er zu erschöpft. Er stapfte die Düne hinauf. Noch vor Einbruch der Dunkelheit wollte er auf der Straße sein, sich in das Auto setzen und ein Motel suchen. Als er mit den Fingern in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel suchte, fand er ihn nicht. Auch das Auto war nicht mehr da.

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