Bei Punjabis in Heyes

Als ich das letzte Mal in London war, sah ich die Beatles, schwarz auf weiß gepixelt auf den screens am Piccadilly Circus. Das muss um 197o herum gewesen sein kurz bevor sie sich auflösten. Ich war mit dem living theatre La MaMa unterwegs und wir probten mit Vietnamdeserteuren den Lear von Shakespeare auf der Bühne des Royal Theatre. Da wir aber mit dem „Armen Theater“ von Artaud experimentierten, sollten weder Kulisse, noch Kostüme, nicht einmal Sprache vom Eigentlichen ablenken und alles über den KÖRPER ausgedrückt werden. Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie ich jedesmal mitgelitten habe, wenn Patrick als Lear seiner Gemahlin bei jeder Aufführung das heiße Wachs einer Kerze über die Hände goss und wie Marlies so tun musste, als würde ihr das gar nichts ausmachen, um sie als eine Frau zu charakterisieren, die kein Mann brechen konnte. Dann weiß ich noch, dass sie eines Tages verschwunden war, aber einen Zettel hinterlassen hatte, auf dem stand: FUCK YOU ALL. Das war das Ende, da sich kein Ersatz hat finden lassen. Da war ich gerade mal 22 und wieder einmal verliebt und die Sehenswürdigkeiten, deretwegen man ja vor allem nach London kommt, waren mir ziemlich egal und interessierten mich die Bohne.

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Ja, ich kann nicht behaupten, dass ich eben dabei bin London wieder zu entdecken. Es ist fast so, als wäre ich nie da gewesen. Außerdem hat sich auch hier viel verändert und viele, die sich damals wirklich umgesehen haben, würden heute Einiges nicht mehr wieder erkennen. Möglicherweise aber konnte man damals die Westminster Abbey betreten, ohne 16 Pfund zahlen zu müssen, was einem Äquivalent von 21 € entspricht, wenn ich richtig umgerechnet habe. Eine stattliche Summe jedenfalls für einen Kirchenbesuch. Wenn damit Kerzen gekauft würden, könnten drei BesucherInnen sie wohl eine Nacht lang taghell beleuchten. Pensionisten zahlen 3 Pfund weniger. Noch immer zu viel, um mich ins Innere zu locken. Überhaupt ist alles um Einiges teurer als in Wien. Verstehe nicht, wie Leute sich hier noch Zigaretten leisten und ihnen die Tschick noch schmecken können, wenn eine Packung im Schnitt zwischen 7 und 9€ kostet, und nicht einmal in den Parks, auf keinem öffentlichen Platz geraucht werden darf.
Jedenfalls rauche ich nichts mehr seit ich in Heathrow ausgestiegen bin, und das ist immerhin drei Tage her. Da hilft mir aber auch, dass ich im Haushalt von J. nicht rauchen darf. J. ist eine ehemalige Schülerin, die es vor vielen Jahren nach London verschlagen und hier einen Punjabi geheiratet hat. Punjabis sind mehrheitlich Sikhs und Sikhs nämlich essen kein Fleisch, sind also Vegetarier, trinken keinen Alkohol und rauchen nicht, schauen aber ganztägig Bollywoodfilme, wenn sie gerade keiner Arbeit nachgehen, was aber nur Unfälle verhindern können. Sie sind sehr weltoffen und gegen das Kastensystem in Indien. Eigentlich mehr eine Sprache und Ethnie als eine Religion. Übrigens mit über 150 Millionen Menschen, die diese Sprache und ihre Dialekte sprechen, die zehntwichtigste, wie ich eben gelesen haben.

Auch leben sie noch in Großfamilien, halten zusammen und vermehren ihren Reichtum, was von ihrem Religionsgründer auch so gewollt ist. Sie heißen alle Singh und tragen einen Armreifen. Man erkennt sie an ihrem Turban, unter dem die Strenggläubigen ihre Haare verstecken, die sie ebenso wenig schneiden lassen dürfen wie in die gottgewollten Naturgesetze eingreifen. Die Frauen sind gleichberechtigt, wenn nicht sogar diejenigen, die das Geld verwalten und das Regiment führen. Ja, Jupi kann von vielen Frauen in Österreich nur beneidet werden. Sie kann tun und lassen, was sie will. Wenn sie Lust und Laune hat, fährt sie in die Stadt und besucht ihre Freundinnnen. Es findet sich immer wer, der auf ihre fünfjährige Tochter aufpasst.  So wie ich es hier erlebe, haben die Frauen die Hosen an. Ich jedenfalls fühle mich wohl hier.
Aber ich will hier ja keine Abhandlung über Sikhs oder Punjubis schreiben. So viel aber noch: In Heyes – unweit von Heathrow also, wo ich das Glück habe untergebracht zu sein – und in Southhall – auch nicht weit von hier –  ist Punjabitown. Überhaupt scheinen die Nationalitäten alle unter sich bleiben zu wollen und in ihren Ghettos ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Integration also scheint auch hier nicht das Ziel politischer Bemühungen. Divide et impera: Wie immer. Wie überall.

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