Der Traum vom Hausboot

Es ist ja nicht so, dass…
Was ist nicht so?
So war’s einfach nicht. Es war anders. Glaubst du etwa, dass das wirklich ich war?

Er hat sich eben eine Zigarette angezündet. Es ist seine erste an diesem Morgen, und wie jeden Morgen nach der ersten Zigarette schwindelt ihm so, dass er sich setzen muss. Das kommt davon, sagt sie schnippisch, ja fast schadenfroh, denn sie hatte vor wenigen Wochen aufgehört. …

Wer sonst soll es gewesen sein?, nimmt sie den Faden wieder auf. Sie kannte ihn eben in- und auswendig. Immerhin waren sie jetzt schon über 20 Jahre ein Paar. Lassen wir es dabei!, bietet sie ihm an.

Was lassen? Dieses Bild, das du von mir hast, so stehen lassen? Das könnte dir so passen, sagt er jetzt, obwohl er das eigentlich gar nicht sagen hat wollen. Aber er hat es gesagt. Und schon ist er da, der Streit, den er unbedingt vermeiden hat wollen.

Dabei hatte dieser Morgen eigentlich ganz friedlich begonnen. Sie war wie immer vor ihm aufgestanden, hatte den Kaffee zubereitet und einen üppigen Tisch gedeckt. Ihre Haare waren noch nass von der Dusche und kringelten sich um ihre Stirn, was ihr ein keckes, beinahe jugendliches Aussehen schenkte. Beim Frühstücken hatte sie ihm ihren Traum erzählt und ihn gefragt, ob er für diese Bilder eine Deutung wüsste.

Ihr Traum handelte von dem Haus, in welchem sie aufgewachsen war.

Stell dir vor, es hat sich plötzlich losgerissen von seinem Grund und trieb wie ein Hausboot auf Stromschnellen dahin. Immer schneller. Immer weiter weg vom Ufer. Ich habe aus dem Fenster geschaut, der Boden hat unter meinen Füßen geschaukelt, und du bist am Ufer gestanden und hast gewinkt.

Was habe ich? Gewinkt?

Wie man jemandem zum Abschied eben winkt, hat sie gesagt. Ja, da gab es eigentlich nicht viel zu deuten. Ich stehe am Ufer und schaue zu, wie sie hilflos den Stromschnellen ausgeliefert ist. Was tue ich? Ich stürze mich nicht in die Fluten, um das ruderlose Haus aufzuhalten und meine Liebste zu retten. Ich stehe da und mache Winkewinke. Überlasse sie ihrem Schicksam. Lass sie im Stich.

Ich hatte sie im Stich gelassen. Wieder einmal. Ihr droht Gefahr. Wahrscheinlich ist sie auf einen Wasserfall zugerast mit ihrem Haus und mir ist nichts Besseres eingefallen als zu winken. Sieht ihm ähnlich, wird sie gedacht haben.

Wie hab ich denn drein g‘schaut?, wage ich einen letzten Versuch. Es hätte ja sein können, dass sie auf meinem Gesicht so etwas wie Schrecken oder gar Entsetzen hat ablesen können. Das hätte das Bild von einem wie zum Abschied winkenden Mann etwas entschärft.

Vielleicht hast du das falsch in Erinnerung. Vielleicht hab‘ ich wild gestikuliert, weil ich in deinem Traum geahnt hab‘, worauf das Haus auf den Stromschnellen ruderlos zusteuert, versuche ich es noch einmal. Nein! Ich habe sicher nicht teilnahmslos gewinkt.

Doch das hast du, sagt sie kauend. Du warst absolut teilnahmslos.

Der Traum hatte Spuren hinterlassen, das stand fest. Der Tag war schon am Morgen nicht mehr zu retten. Das stand auch fest.

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