Die Zwetschkenwachthochzeit

retro (960 x 540)Es war zur Zeit der Zwetschkenwacht, als wir geheiratet haben. Ja, schreib es ruhig auf, aber es ist keine lustige, keine schöne, aber eine wahre Geschichte. Du weißt nicht, was eine Zwetschkenwacht ist? Hätt‘  ich mir denken können. Warst ja noch nicht auf der Welt und hast den Krieg nicht miterlebt, sonst würdest du mit Lebensmitteln ganz anders umgehen. Hast mir schon wieder meinen  Kühlschrank ausg‘räumt. Ich schau nicht aufs Ablaufdatum. Entweder es ist noch gut, oder es riecht schon. Oder man sieht es. Meine Augen sind noch gut, und riechen oder schmecken, ob etwas faul oder nicht mehr zum Essen ist, das kann ich noch. Nur hören tu ich halt schlecht. In meinem Alter muss ich nicht mehr alles mitkriegen. Ist doch so, oder? Wo waren wir stehen geblieben? Bei der Zwetschkenwacht. Richtig. Damals haben sich die Leute viel von dem ernährt, was ihr kleiner Garten hergegeben hat. Und wer keinen Garten gehabt hat, der hat’s eben kaufen oder stehlen müssen. Die Leute waren ja arm, viele ausgebombt, hatten nichts mehr. Weil es keine Zigaretten gegeben hat oder sie zu teuer waren, – man hat sie damals ja sogar einzeln kaufen können – hat man sich aus weggeworfenen Stummeln selber welche zusammengedreht,  oder man hat  – wie mein Vater – Tabak angebaut im Garten, und wenn’s zur Ernte gekommen ist, hat er die Tabakblätter auf die Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt. Das hat meiner Mutter gar nicht gefallen. Das kannst du mir glauben. Außerdem hat der Tabak fürchterlich gestunken. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen, sagt man doch so, oder? Aber ich wollte ja ganz was anderes erzählen. Was war das schnell? Ach ja, die Zwetschkenwacht.

Also das war so. Weil’s hier in vielen Gärten Obstbäume gegeben hat, ist das, was auf den Bäumen war – kaum, dass es reif war – manchmal sogar noch lang, bevor es reif war, in der Nacht, wenn alle geschlafen haben, gestohlen worden. Am nächsten Tag war nichts mehr drauf: Keine Birne mehr, kein Apfel und keine Zwetschke. Keine einzige. Geplündert, als wär’s ein Schwarm Vögel gewesen, die innerhalb von Minuten – so schnell kannst gar nicht schauen – einen Baum voller Kirschen leer fressen, sodass nur noch die Stiele am Baum hängen und die Kerne frei liegen, weil sie’s nur angepickt haben. Und das meistens einen Tag bevor man sie hat pflücken wollen.  Aus dem Grund haben sich die Nachbarn zusammen getan und beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Sie haben die Bäume bewachen lassen. Meistens waren es blutjunge Burschen, die das für ein paar Schilling gemacht haben.

Der Krieg war ja noch nicht lang her und mein Vater, für den es schon der Zweite gewesen ist, der war gegen die Heirat. Das war wie das Amen im Gebet zum Frühstück, zum Abendessen:  Wie wollt ihr heiraten? Wovon wollt ihr überhaupt  leben? Ihr habt ja nichts. Er hat ja Recht gehabt, aber mein Zukünftiger hat das Aufgebot schon bestellt gehabt, und so hab ich nicht mehr zurück können. Wie steh ich da vor meinen Arbeitskollegen? Das kannst nicht machen!, hat er gesagt, weil ich ihm gesagt hab, dass ich noch ein bisschen Zeit bräucht‘ und dass mir das alles zu schnell ging‘. Vor wenigen Wochen erst  war er zu mir an meinen Arbeitsplatz ‚kommen, hat sich vor mich hingekniet und um meine Hand angehalten. Das war mir sowas von peinlich, das kannst dir gar nicht vorstellen  wie… ,weil ich hab damals bei einer französischen Familie als Dienstmädchen g‘arbeitet, und Madame hätt‘ ja jederzeit hereinplatzen können in mein kleines Zimmer. Außerdem habe ich befürchtet, dass ich schwanger war. Das aber habe ich nur meiner Schwester verraten, und die hat g‘meint: Heirat so schnell‘st kannst, bevor er sich’s anders überlegt, oder willst du etwa ein lediges Kind auf die Welt bringen?

Wir hatten wirklich nichts, aber ich wollt unbedingt in Weiß und in der Kirche heiraten, weil alles andere wäre eine Schande g‘wesen. Meine Schwester hat ‚s dann den Eltern g‘sagt, um Druck auf meinen Vater zu machen, der mir jeden Tag damit in den Ohren gelegen ist, dass er nicht der Richtige für mich sei, mein Zukünftiger. Für ihn war er ein Halodri, weil er Schauspieler war. Wie stellst du dir das vor, das Leben an seiner Seite? Er wird immer unterwegs, und du wirst allein sein. Er wird dir Kinder machen, die du dann allein groß ziehen musst. Er ist sehr besorgt g’wesen und hat ihm das auch g‘sagt, aber vielleicht sind das die Väter alle, wenn’s ihr Mädel hergeben müssen… Ja, der Vati. Ein seelenguter Mensch ist das g’wesen.  Hätt‘ ich nur auf ihn g’hört. Ach ja. Aber lassen wir das.  Vergangen, vergessen und  vergeben…

Irgendwann hat er klein bei‘geben und g‘meint: Ihr macht ja doch, was ihr wollt. Und dann war es soweit: Die Miete für das weiße Kleid, das ich mir für die Hochzeit aus‘borgt hab, hat der  Vati mit den Eiern von seinen  Hendln zahlt. Meine Freundinnen haben mir eine Krone aus Myrten g’flochten,  und ich hab meine Turnschuh weiß eing‘färbt. Die Freunde von meinem Zukünftigen wollten sich auch nicht lumpen lassen und haben beim Bestattungs-unternehmen eine Kutsche g‘mietet, die innen weiß ausgeschlagen war mit Krepp und außen mit Blumen geschmückt.  Mit der sind wir dann zur Kirche und von dort wieder heim gebracht worden. So eine Hochzeit hat man lange nicht gesehen damals.

Am Abend dann – wir waren ja nur eine kleine Gesellschaft, für mehr hat das Geld einfach nicht g‘reicht – ist es ziemlich laut und lustig worden, weil mein Vater hat selber einen Schnaps aus Zwetschken ‚brannt – ein richtiges Feuerwasser, aber wir waren froh, weil Wein hat’s nicht geben. Wir haben ja noch Lebensmittelkarten g’habt damals. Das können die Jungen heut gar nicht glauben, wie’s war damals. Wer keinen Garten g’habt hat oder Hendln oder Hasen wie der Vati, dem ist es noch viel schlechter ‚gangen. Aber das hab ich schon g’sagt, oder? Was wollt ich jetzt sagen? Ach ja. Am Abend oder vielleicht war’s schon Nacht, und wir waren schon allein, mein Mann jetzt und ich nach der Hochzeit, haben wir plötzlich einen fürchterlichen Schrei g’hört.
Und weiter…

Ja weiter nichts. Da ist der von der Zwetschenwacht vom Baum g’fallen, weil er sich zu weit rausg’hängt hat. Sie haben ja kurz ang’stoßen g’habt auf uns. Da dürft‘ der eine von den beiden zu viel erwischt haben vom Schnaps. Wollt wahrscheinlich wissen, was wir machen, wenn’s Fest vorbei ist… War halt jung. Die Krone vom Baum war ja direkt vor unserm Fenster.
Und weiter…?

Was weiter. Das war’s. Er war dann im Rollstuhl. Hat nicht mehr gehen können.
Nie wieder. Dann hast mich ang’rufen und g’fragt, warum ich g’heiratet hab.

Mama, das kann nicht sein, weil da war ich noch gar nicht auf der Welt, und Telefon haben wir keins g’habt. Viel später erst.

Aber Bub? Was hast du für ein Gedächtnis. Woher willst du das wissen, wenn’st gar nicht auf der Welt g’wesen sein willst, wie’st mich an’grufen hast?

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