SMS des Jahres

grafitti

Fotoquelle: www.stadterkundung.wordpress.com

„Mann, sagst du mir, wie soll das gehen? Hast du das geld oder nicht? Wenn du hast das nicht du bist im arsch mann.“ So lautete die SMS, die er heute empfangen hatte. Am liebsten hätte er, da ihm viel an Sprache, Grammatik und Orthografie lag, die zwei Sätze korrigiert zurückgeschickt: Lieber Freund. So geht das nicht. Entweder du hast das Geld und es kommt heute noch zwecks Übernahme zu einem Treffen oder ich muss tun, was mir mein Auftraggeber zu tun geraten hat. Als ehemaliger Lehrer konnte er es einfach nicht lassen, schlechtes Deutsch, wo immer er es antraf, in die Sprache umzuschreiben, derer sich ein Kleist oder Goethe bedient hat, um sich verständlich zu machen. Die Botschaft aber war trotz fehlerhafter Syntax und Orthografie unmissverständlich. Also ließ er es. Außerdem hätte es den Empfänger wohl noch mehr aufgebracht, als er schon war. Erich hatte ihn nicht persönlich kennen gelernt. Es hatte nur geheißen, dass er von ihm hören werde, wenn es so weit sei. Nun also war es so weit: Er war im Arsch. Es war das erste Mal, dass er dieses Idiom in seinen Sprach- und Wortschatz aufnahm und er musste zugeben, dass kein anderes seine Lage besser beschreiben hätte können. Ich bin im Arsch. Zuerst murmelte er die Botschaft vor sich hin, wie um sie für ihn dadurch glaubhafter zu machen, indem sie für ihn selbst hörbar wurde. Wie einen Squashball schlug er den Satz auf die Stirnwand  seiner Hirnschale, bis er entsetzt feststellen musste, dass Leute auf der Straße stehen geblieben waren und ihm nachstarrten wie einem, der unter dem Tourette Syndrom leidet. Kaum hatte er sich von diesem Schreck erholt, machte ihn sein Handy auf das Eintreffen einer neuen Nachricht aufmerksam: „Wie lange soll ich warten deine antwort mann?“ Und wieder ertappte er sich dabei, den Satz in korrektes Deutsch umzuschreiben. Das Fehlen jeglicher Vorwörter und die Tatsache, dass der Sender ohne verbale Klammer beim Einsatz von Modalverben auskommt, ließ darauf schließen, dass er migrantischen Hintergrund hatte. Außerdem musste er männlichen Geschlechtes sein, da zu der angedrohten Handlung, falls es zur Geldübergabe nicht kommen sollte, wohl nur ein Mann imstande ist. Dabei war völlig im Unklaren geblieben, worin diese angedrohte Handlung bestehen würde. Das blieb seiner blühenden Phantasie überlassen. Erich hatte eine blühende Phantasie und konnte mit ihrer Hilfe zukünftiges Geschehen in einer Anschaulichkeit  vorwegnehmen, wie es von der dann eintretenden Wirklichkeit selbst nicht übertroffen werden konnte. Nie. Schauplatz dieser von ihm noch eingebildeten oder vorgestellten Wirklichkeit ist ein Park & Ride draußen vor der Stadt, ein ziemlich heruntergekommenes und weitläufiges Gelände. Es ist Jänner und der Nebel hängt wie ein gebleichtes Leintuch über dem an manchen Stellen schon brüchig gewordenen Asphalt. Zwei mit Fernlicht aufgedrehten  Autoscheinwerfern  gelingt es, einen Lichtkegel in die Milchsuppe zu schneiden. Stille. Zuerst geschieht nichts. Gar nichts. Eine verirrte Krähe vielleicht, die etwas angeschlagen, dem Zug nicht mehr folgen konnte, und nun im kahlen Geäst eines der letzten Bäume sitzt, die dem Kahlschlag entronnen sind. Auch sie im Arsch, denkt er, was ihn erheitert, obwohl ihm danach nicht wirklich zumute ist. Auf einer Mauer mit abgeschlagenem Putz ist zu lesen: „Und wenn es auch niemand sieht, ich war doch hier, habe nach nichts gesucht und es auch nicht gefunden…“ Ein Fenster wird herunter gekurbelt und eine Stimme befiehlt: Tasche auf Boden und dann du machst zehn Schritte weg von Tasche. Ihm als ehemaligen Lehrer machen die fehlenden  Artikel jetzt wirklich nicht mehr zu schaffen und sein zügelloser Drang, schlechtes Deutsch korrigieren zu wollen, ist ihm vergangen. Wenn das schief geht, bin ich im Arsch. Das denkt er und das weiß er. Gewissenhaft – er ist kein Held und will auch gar keinen spielen – führt er den Befehl aus, stellt die Tasche auf den Boden, und macht – ohne sich umzudrehen zehn laut gezählte Schritte zurück. Gleichzeitig fragt er sich, wie es so weit hat kommen können, dass er an einem nebeligen Tag im Jänner des kaum angebrochenen neuen Jahres hier auf diesem Park & Ride steht und sich in einem von ihm gedachten, aber noch ungeschriebenen Krimi befindet…

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