12 Jul Marillen, Wein und Burgruinen
Wenn es um Marillen geht, um sie für Marmelade einzumachen, müssen sie – da kennt meine Lebensgefährtin keinen Pardon – aus der Wachau sein. Leider sind auf einer der beiden Donauseiten die Ernten wegen Frost geringer ausgefallen als im Vorjahr. „3 strenge Frostnächte in der letzten Aprilwoche hatten den damals bereits ca. 10 mm kleinen Früchten arg zugesetzt“, ist auf der Website der Wachauer Marillenbauern zu lesen, auf der mit einer Webcam das Stadium der Reife überprüft werden kann. Wir fanden in Rohrendorf, ein paar Kilometer hinter Dürnstein, einen Stand, auf dem Steigen von Marillen feilgeboten wurden.
Kaum war ich eingeparkt, hielt auf der anderen Seite der Fahrbahn, die an dieser Stelle durch eine nicht unterbrochene Mittellinie begrenzt war, ein Streifenwagen.
Der in weißer Uniform gekleidete Beamte winkt mich zu sich: Wissen sie, was sie eben gemacht haben? Schuldbewusst und zerknirscht gestehe ich ein, die nicht unterbrochene Mittellinie überfahren zu haben, um zum Marillenstand auf der anderen Fahrbahnseite zu gelangen. Auch wenn ich weiß, dass das nicht Texas ist und die Beamten hierzulande keineswegs schießwütig, habe ich seit meinen traumatischen Erfahrungen dort eine Heidenangst vor jeder Begegnung mit Uniformträgern, die im staatlichen Auftrag ein Amt ausüben. Jetzt nur nicht argumentieren wollen, dass die Mittellinie wenige Meter später in eine unterbrochene übergeht, und es auf die paar Meter doch nicht ankomme. Im Gegenteil: Ihm den Wind aus den Segeln nehmend, sag ich: Das werden teure Marillen. Das Benzin hab ich ja eingerechnet, nicht aber ein Mandat. Der Beamte wechselt einen Blick mit seinem Kollegen; dann lässt er – mich warnend – Gnade vor Recht ergehen: Lassen sie sich die Marillen gut schmecken, aber noch einmal kommen sie so nicht davon.
Am Marillenstand bedient uns eine Frau, die uns wissen lässt, dass sie seit Jahren gegen diese nicht unterbrochene Mittellinie ankämpfe, weil ihr Nachbar alle Besucher des Standes, die, wie ich eben, die Begrenzung der Fahrbahn missachten, mit Handycamaufzeichnungen der Polizei melde. Letztes Jahr seien es über 100 Mandate gewesen. Sie nimmt die Verlängerung eines Sonnenschirmes in die Hand und zeigt, wie ihr Mann, der vor Jahren einen Herzinfarkt hatte, einmal mit einem Stecken auf den Nachbarn losgegangen ist, nicht um ihn damit zu verletzen, sondern ihm zu drohen. Das unterstrich sie glaubhaft – den Stock wie eine Kampfsportlerin als Hieb- und Stichwaffe mit Ausfallschritten gegen den imaginierten Feind richtend. Daraufhin seien sie von ihm angezeigt und von der Polizei regelrecht verhört worden. Das Verfahren aber sei niedergeschlagen worden, weil sowohl die Polizei als auch der Bürgermeister wüssten, dass der Nachbar überall Stress mache und im Oberstübchen nicht ganz in Ordnung sei. Bevor sie – ohne Punkt und Komma sprechend – zur nächsten Geschichte über die jahrelange Fehde mit ihrem Nachbarn ausholen konnte, unterbrach ich sie mit der Frage, was ein Kilo Marillen bei ihr koste. Schnell schlossen wir den Handel ab, weil wir ihr nicht noch einmal Gelegenheit geben wollten, auf die Geschichte mit dem Nachbarn zurück zu kommen.
Die Wachau hat ja nicht nur Marillen. Ein paar Kilometer weiter befindet
sich der Ort, wo – ich zitiere aus dem Wiener Tagblatt am 4.2.1910 – „an einem herrlichen Augustmorgen des Jahres 1908 die Venus von Willendorf nach vieltausendjährigem Schlaf
die sonnenhelle Wachau wiedersah. Sie wurde in einer Tiefe von etwa 25cm unter der ungestörten Aschenschichte in der Nachbarschaft eines großen Herdes entdeckt.“ Die 11cm große Frauenfigur zeigt eine beleibte, unbekleidete Frau mit starken Hüften, vorstehendem Bauch, der möglicherweise eine Schwangerschaft andeutet, und schweren Brüsten. Sie ist über 25 000 Jahre alt. Von diesen Frauenstatuetten finden sich Beispiele in ganz Europa. Ein Besuch im kleinen Museum führt uns vor Augen, zu welcher Meisterschaft in der Bearbeitung von Kalkstein und Elfenbein es unsere Vorfahren gebracht haben.
Sonne scheint, der Himmel blau; warum nicht in der Gegend bleiben? Die Wachau ist immer eine Reise wert und es gibt noch so viel zu erkunden. Zb. die sagenumwobene Burgruine Aggstein auf 300 m über dem rechten Donauufer weithin sichtbar. Eine Fähre bringt uns ans andere Ufer, wo einst Treppelwege angelegt und instandgehalten werden
mussten, um die Schiffe mühsam gegen die Strömung die Donau hinaufzuziehen. Die Burg wurde von Raubrittern bewohnt, welche mit einer Kette den Fluss absperrten und die Schiffe kaperten, dann von den Osmanen gestürmt und niedergebrannt; ein Holzgerüst sorgt heute dafür, dass Besucher gegen eine Gebühr von 7€ die Anlage beinahe umrunden können und für das Treppensteigen mit einer herrlichen Sicht auf die Donau und die sie umgebende Landschaft belohnt werden.
In einem der Kellergeschoße findet sich ein Nibelungenmuseum. Eher etwas für Kinder. Kriemhild erinnert an Barbie und Siegfried an Ken. Mich würde interessieren, welche Fragen sie an die Eltern stellen, wenn sie mit Szenen aus diesem Epos konfrontiert werden. Die wie Krippenspiele inszenierten Stationen haben mir diese todtraurige Heldengeschichte wieder in Erinnerung gerufen.
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Manfred Voita
Posted at 07:56h, 26 JuliDie Nibelungen? Als Puppenstuben- oder Märchenwaldversion? Da hat die Kunstfertigkeit seit der Venus von Willendorf vielleicht zugenommen, die Geschmackssicherheit aber eher nicht.
Helmut Hostnig
Posted at 11:41h, 26 JuliDas stimmt, lieber Manfred. Die Nibelungensage würde sich eher für einen gamifizierten Erzählansatz eignen.
Manfred Voita
Posted at 20:47h, 26 JuliJa. Schön dunkel, viel Blut, Schwerter, Leidenschaften, Treue, Verrat. Perfekt.
Anonymous
Posted at 18:56h, 13 JuliToll! Ist Marmelade gelungen??? L.G.an dich und deine LebensgefährtinWann sehen wir uns?Marija
MAXA
Posted at 08:16h, 13 JuliEs müssen ja nicht immer Marillen aus der Wachau sein. Wir haben auch oft die Marillen aus einem Garten nahe Rohrendorf bekommen, es gibt dort große Flächen mit Marillenbäumen… Ich bin dann ein Anwärter für ein Gläschen, bitte weiterleiten…