10 Aug Erfundener Monolog einer gedachten Figur in Abwesenheit des Autors
Die Geschichte,
die du erzählen
willst ...
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Er stand in einer Schlange von Menschen, die alle müde vom langen Flug ungeduldig auf die Passkontrolle warteten. Bis auf seinen Rucksack hatte er kein Gepäck. Was ihm Sorge bereitete, war das Foto in seinem Pass. Auf diesem trug er einen dichten Bart, der unter dem Kinn in einem Zopf sein Ende fand, in den zwei rote Perlen eingeflochten waren. Von diesem Bart hatte er sich vor Antritt seiner Flucht getrennt…
Und was machst du? Du lässt mich aus dem Fenster auf einen Teppich aus Wolken schauen, über die sich ein ammoniakfarbiger Himmel wölbt; ich weiß nicht, welche Farbe Ammoniak hat und ob es überhaupt eine Farbe hat; ich weiß nur, dass Ammoniak stinkt. Zum Himmel stinkt, wenn du mir, herzensguter Autor, diese Assoziation erlaubst. 17 Seiten lang. Weiter bist du nicht gekommen. Hast du aufgehört, weil dir klar geworden ist, dass das kein Roman wird, ja nicht einmal für eine Erzählung taugt? Der erste Satz, den du mir in den Mund gelegt hast, und sich auf Seite 17, also der letzten Seite findet, kann nie und nimmer von mir sein: „Nichts bleibt, was es, und niemand, wer er war.“ So geschwollen redet doch kein normaler Mensch. Lass es mich wenigstens zitiert haben und mich darüber lustig machen. Außerdem hättest du das ruhig weiter ausführen können, statt mir das Wort abzuschneiden und Henrietta von einer Weltachse faseln zu lassen, die als Grammophonnadel im Universum kratzt. Henrietta. Was für bemühte Bilder. Die hat Henrietta nicht. Außerdem: So heißt doch heute niemand mehr. So ein Name ist doch eine Strafe für eine moderne Frau. Sie gehört nicht hinein. Sie ist fehl am Platz. Ich will sie nicht an meiner Seite. Ich hege keinerlei Gefühle für sie. Warum unterstellst du mir ein Begehren? Warum behauptest du, dass ich den Abend, den du mich mit ihr verbringen hast lassen, als gewinnbringende Investition in ein Morgen verbucht hätte. Erstens investiere ich nicht und zweitens verbuche ich nichts. Mit merkantilen Begriffen magst du deine Gefühle Menschen gegenüber beschreiben, mit denen du ein wie immer geartetes Verhältnis hast, aber bitte lass mich da aus dem Spiel. Aber was rege ich mich auf. Du bist ja nicht da, hast keinen Kopf jetzt fürs Schreiben. Hast Wichtigeres zu tun. Hast eben keine Disziplin. Wer einen Roman schreiben will, muss sich jeden Tag hinsetzen und mindestens 1000 Zeichen schreiben. Nicht hundertvierzig, 1000. Vielleicht hast du eine Schreibblockade? Wenigstens hast du mir einen Namen gegeben, bevor du zu schreiben aufgehört hast. Trotzdem: Da gibst du mir einen Namen, lässt mich einen grammatikalisch holprigen, dafür lyrischen und somit tiefgründigen Satz sprechen, und dann… Sendepause. Ja, hast du sie nicht alle? Das kannst du doch nicht machen mit mir. So lass ich mich nicht abspeisen.
Ich komm schon wieder runter. Gut. Ich werde jetzt sachlich bleiben. Warum hast du ihn nicht gleich eingeführt und vorgestellt, den ich jetzt Andreas nennen will, damit er einen Namen hat, der mir gefällt; einer, der zu mir gehört, einer, mit dem ich leben kann, weil ich ihn für mich ausgesucht habe. Nicht den, den du ihm gegeben hast, weil ich der Auffassung bin, dass Literatur und Wirklichkeit eine scharf gezogene Grenze haben muss und Autobiografisches in ihr nichts verloren hat. Es sei denn, es geschieht so verschlüsselt, dass es aufwendiger Recherchen bedarf, diese Spuren aufzudecken. Gerade bei einer Figur wie Andreas wäre es notwendig gewesen, mit ihr zu spielen, ihr wenigstens eine andere Heimat zu schenken, einen Ort wie das Paradies, das keiner gesehen hat, aber jeder zu kennen glaubt. Das hätte Andreas verdient, und das bist du ihm schuldig geblieben. Es hätte genügt, ihn mit wenigen Strichen zu skizzieren, wie es Aquarellmaler tun, bevor sie den Pinsel in die Farben tauchen. Kantiges, von grauem Stoppelbart gerahmtes Gesicht, schmale, listige Augen, der Schädel beinahe kahlgeschoren, das selbstsichere Auftreten gleich wieder mit unnötig selbstkritischen Demutsgesten zerstörend mit Sätzen wie zB.:
Ja, die Chumberlandsauce ist nicht ganz gelungen. Eigentlich gehört sie schärfer.
Oder: Deine Beobachtung würde Jürgen gefallen, der auch der Meinung ist, dass die Einrichtung etwas von Dekor hat.
Ohne jetzt noch mehr ins Detail zu gehen, ist es genau das, was ich vermisse. Sätze, wie man sie im wirklichen Leben hören kann. Die solltest du mich sprechen lassen. Außerdem bin ich mit dem Charakter, den du mir unterstellst, noch viel weniger zufrieden. Was aber soll ich machen? Bin dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wirst schon sehen, was du davon hast. Ich werde mich jetzt nämlich hinsetzen und das Ganze überarbeiten.
Henrietta werde ich auch umtaufen. Wie wär’s mit Klara? Wo, ja wo, bei welcher Gelegenheit habe ich sie kennen gelernt? Und warum bin ich auf der Flucht? Und wovor?
Ich werde die Geschichte für dich zu Ende schreiben, mir eine Lebensgeschichte für Andreas und Klara ausdenken und sie knallharte Dialoge führen lassen. Magst dich noch so lange als Autor ausgeben, erfunden habe ich mich selbst. Auch der Rahmen, in welchem das Ganze eingebettet ist, übrigens eine Zeitreise, muss passen. Die Zeitumstände, – spielt die Geschichte vor oder nach 9/11, vor oder nach der Wiederwahl Trumps oder vor der Pandemie oder schon in der neuen Normalität? Alles das muss gründlich überlegt sein. Alles muss von mir ausgedacht und dann nur noch zu Papier gebracht werden. Verblendet wie er ist, wird er glauben, dass er das geschrieben hat. Ihm wird nicht zu helfen sein.
Aber da kommt er ja. Unser Autor. Neugierig, ob seine Schreibblockade heute ein Ende finden wird. Er setzt die Brille auf, fährt den Computer hoch und weckt die Datei aus ihrem neuro-digitalen Schlummer, liest das Ganze noch einmal, um wieder hineinzufinden in die Geschichte, die er schon seit Monaten zu schreiben beabsichtigt und ist eben über den Satz auf Seite 17 gestolpert, den er seinem männlichen Protagonisten in den Mund gelegt hat: „Nichts bleibt, was es, und nichts, wer er war.“ Er denkt: So geschwollen redet doch kein normaler Mensch. Wie wäre es, wenn ich ihn das zitieren lasse? Aber von wem ist dieses Zitat? Soll sich Andreas über den Satz lustig machen? Außerdem hätte ich das ruhig weiter ausführen können, statt ihm das Wort abzuschneiden und Henrietta von einer Weltachse faseln zu lassen, die als Grammophonnadel im Universum kratzt. Henrietta. Was für bemühte Bilder. Die hat Henrietta nicht. Außerdem: So heißt doch heute niemand mehr. So ein Name ist doch eine Strafe für eine moderne Frau. Sie gehört nicht hinein. Sie ist fehl am Platz…
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Manfred Voita
Posted at 16:10h, 11 AugustAutoren reden ja manchmal darüber, dass eine Figur ein Eigenleben entwickelt und ich habe mich auch schon mal gefragt, was Romanfiguren eigentlich tun, wenn sie gerade keiner liest. Es gibt sie wohl, die Figuren, die aus der Geschichte heraus entstehen und nicht geplant waren und wenn sie auch kein Eigenleben führen, dannn führt da etwas in uns ein Eigenleben und lässt uns Sätze schreiben, die wir uns so nicht zurechtgelegt haben. Manchmal muss man sowas dann löschen und manchmal bringt es einen Text weiter. Ich jedenfalls mag es sehr, wenn das passiert, wenn ein Text eine Eigendynamik bekommt und das gefällt mir auch sehr gut an deinem Text: Das Spiel mit der Autorschaft.
Helmut Hostnig
Posted at 20:48h, 11 AugustLieber Manfred. Danke für deinen Kommentar. Freut mich immer von dir zu lesen, sei es hier auf meinem Blog, den ich nicht mehr so eifrig bespiele, wie ich es früher getan habe, oder auf story one, wo du, wie es scheint, einen Platz für deine kürzeren Geschichten gefunden hast. Liebe Grüße nach Deutschland und noch einen schönen Restsommer.