Gewas: Märchen für Tobias

Ich trage einen blauen Turban. Mit dem schütze ich mich gegen Sonne, Sand und Wind. Du siehst nur meine Augen. Sie sind so schwarz wie die Räume zwischen den Sternen am Himmel, wo ihr Licht nicht mehr hinkommt. Nein, du siehst mich nur im Profil. Du stehst ja hinter mir und schirmst deine Augen mit der Hand, um etwas auszuspähen. Noch aber siehst du nichts.

Ich habe eben das Kamel angehalten und schaue über gelbe Wellenberge und schwarzschattige Täler aus Sanddünen, so weit das Auge reicht. Noch kannst du ihn nicht sehen, aber auf meinem linken Handschuh sitzt ein Falke, den ich Keelru getauft habe. Keelru ist der Name für die Geister der Toten. Er trägt eine Haube. In großer Entfernung kannst du in der von Ofenhitze flimmernden Luft eine Gruppe von Zelten in einem Hain aus Palmen erkennen. Siehst du sie? Gut. Das ist Gewas. Der Ort unser aller Sehnsucht und unsres Trostes, wenn ein Unglück uns heimgesucht hat oder wir ans Sterben denken. Wir Lebenden können dort nicht hin, obwohl wir von dort herkommen. Auch du. Gewas wird bei Tag und Nacht bewacht. Wir befinden uns an seiner äußersten Grenze. Einen Schritt weiter und sie können uns sehen. Dann werden sie uns jagen. Schneller als Keelru fliegen kann, ist unsere Reise dann zu Ende. Drum bleib, wo du bist. Vertrau mir!

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1 Comment
  • Manfred Voita
    Posted at 15:29h, 23 Februar Antworten

    Eine Geschichte voller Geheimnisse, die uns an einen fernen Ort führt, um uns von einem noch ferneren, unerreichbaren Ort zu erzählen. Ich bin dir gern gefolgt.

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