It’s a Feh

Ich stehe mit blutender Nase und einem Taschentuch vor dem Spiegel. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwimmt mein Klon und macht einem Ich vor 40 Jahren Platz. Es zeigt ihn am Eingang einer Disko im Dreiländereck, wo er aufgewachsen ist. Ein heruntergekommener Heustadl mit Stallungen eines aufgegebenen Bauernhofes mitten im Niemandsland saurer Wiesen, weit weg von Bundesstraßen; nur über Schleichwege erreichbar. Seit wenigen Wochen ist dort jeden Samstag die Hölle los. Hier treffen sich  berüchtigte Motorrad-gangs, Rocker, Heavy Metal-Fans. Einer davon Bandmitglied von Horny Sabbath, Schlagzeuger. Mike. Mike Makeup. Weißgepudert, lange schwarze, fette Haare, die bei seinen Schlagzeugsoli ihm wie ein schweißnasser Duschvorhang vor dem Gesicht hängen. Legende. Freund eines Schulfreundes. Zwei bullige Türsteher in den Kutten einer Gang mit kryptischen Abzeichen. Viel Leder. Viel Metall. Zum Fürchten. Mike? Kenn ich nicht. Mike Makeup. Hat uns eingeladen. Wartet! Hämmerndes Wummern von drinnen wie von einem käfiggehaltenen Tier, das raus will. Ich, der ER war, 17, Pomade im Haar, Schlaghosen, spitze Schuhe. Der vorletzte Schrei. Eine Nacht im Herbst kurz vor dem ersten Schnee; die letzte große Party vor dem langen Winter. Auf Brautschau? Unglücklich verliebt? Nein: Sie ist schon drinnen und wartet auf ihn. Der Türsteher verschränkt seine 10 Finger und drückt jedes einzelne in einer Kapsel eingebettete Gelenk so durch, dass die in der Gelenkschmiere gelösten Gase freigesetzt werden und dabei ein knackendes Geräusch erzeugen, das ihm durch Haut und Knochen fährt. Das macht er mit Absicht. Nicht umsonst ein Türsteher. Sein Kollege kommt zurück. Ein sparsamer Wink mit dem Kopf. Eintritt gewährt.

Jetzt steht er mitten unter einer wuchtigen Glocke aus Gitarrenriffs und gutturalem Gebrüll des Leadsängers der Horny Sabbath-Band und versucht sich zu orientieren. Mike Makeup sitzt selbstvergessen hinter seiner Schlagzeugbatterie mit 8 Toms und bearbeitet diese mit seinen Drumsticks. Ein Lichtzerhacker bemüht sich neben Sprays, die mit dem Schweißgeruch der Tanzenden und dem von ihnen frei gesetzten Testosteron eine neue Verbindung eingehen, die Wahrnehmungsfähigkeit seiner 5 Sinne bis an ihre Grenzen zu führen. Sein Blick sucht K. Er findet sie. Nicht aber eine K., die ihn sehnsüchtig erwartet, sondern eine K., die sich einen anderen gefunden hat.

Das kann doch nicht sein? denkt er. Heute Mittag noch hat sie sich mit einem Zungenkuss von ihm verabschiedet, der zwei Zigarettenlängen gedauert hat. Und jetzt? Jetzt hängt sie Wange an Wange willenlos in den Armen eines halbstarken Benzinbruders mit tätowierten Schweineohren groß wie Rückspiegel. Beide tun so, als würden sie tanzen. Ein Paarungsritual. Von einem Tanz weit entfernt. Geht ja auch nicht mit diesen Klingonenstiefeln, mit denen er über den Tanzboden schlurft. Die Kutte voll mit Colours und Patches mit Aufschriften wie: Wer später bremst, hat mehr vom Gas. Oder: Wer Gewalt sät, kann die Ernte gleich mitnehmen! Er hat seine Pratzen noch immer auf dem Hinterteil von K. ruhen, die ihn jetzt anschaut, als wäre er der sprichwörtliche Frosch, mit dem Essen und Bett zu teilen ihr Vater befohlen hat. Er tippt dem Benzinbruder auf die Schulter. Dieser schnellt herum, taxiert ihn mit einem Blick: Was willst? Mit K. tanzen. Mit K. tanzen, äfft er ihn nach. Die gehört mir. Verstehst? Und jetzt verschwinde! Der so Angesprochene schippt auf und geht dabei bis in den roten Bereich: Hast’es kauft? Ich meine K. Hast du sie ‚kauft? Dann geht alles sehr schnell und trotzdem geschieht es in Zeitlupe. Ein Faustschlag streckt ihn zu Boden. Alles stiebt auseinander. Die Bilder frieren ein, bewegen sich wieder, frieren ein. Auf der Timeline eine Stille, die selbst mein Ich von heute jetzt noch hören kann. Mike Makeup steht vor seiner Batterie. Die Drumsticks holen zwar aus, sausen aber nicht mehr nieder auf die Felle seiner 8 Toms. K.‘s von Entsetzen geweitete Rehaugen ruhen auf meinem alter Ego von vor 40 Jahren. Die Spitze eines Klingonenstiefels mit ziselierten Schnallen trifft das Nasenbein. Dann schwarz.

Er schlägt die Augen auf. Sein Kopf ist in den Schoß von K. gebettet. Seine Nase eine klaffende Wunde, aus der Blut rinnt. Die Sirene einer Ambulanz. K. nimmt ein Taschentuch nach dem anderen aus der Packung und tränkt es mit seinem Blut.

Sein Ich von damals ist dabei sich im Spiegel zu verabschieden. Die Brücke, das Wurmloch in die Parallelwelt, ist weg. Ich winke ihm nach. Meine Nase blutet noch immer. Ich stille das Blut mit einem Taschentuch. It’s a Feh.

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3 Comments
  • Simone Hammer
    Posted at 08:43h, 21 Februar Antworten

    Horny Sabbath-Band. Seriously? 😂
    Hope she was worth it. In any case, you got a very good story out of it! Love it. So brave.

  • Manfred Voita
    Posted at 21:24h, 20 Februar Antworten

    Wieder ein Beispiel dafür, dass Erinnerungen oft schmerzhaft sind, obwohl ich nicht so recht weiß, ob du in diesem Fall zwar mit einer blutigen Nase, aber doch als Sieger von der Tanzfläche gegangen bist. Aber mal ganz abgesehen von der Ereignissen, mir gefällt, wie du die Atmosphäre dieser Zeit einfängst, wir Leser stehen mit dir im Lärm und schauen zu.

    • Helmut Hostnig
      Posted at 22:55h, 20 Februar Antworten

      Lieber Manfred. herzlichen Dank für deinen Kommentar. Der Faustschlag hat mir zu einer Himmelfahrtsnase verholfen und zur Einsicht, dass Tapferkeit ihren Lohn und ihren Preis hat.

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