Das schwarze Pferd

Ich war ein begeisterter Reiter und hatte ein eigenes Pferd in einem Stall draußen in Laxenburg. Mein ganzes Geld habe ich dafür ausgegeben, meiner Lipizzanerstute ein artgerechtes Leben zu ermöglichen. In jeder freien Minute war ich in den Stallungen, und wenn ich sie ritt, konnte ich weinen, weinen vor Freude bei einer Levade oder Piaffe, dem kadenzierten Reiten im Schritt, eins mit ihr, einem Tier mit adeliger Herkunft und einem Stammbaum weit zurück in die Zeit, als Kriege noch auf dem Rücken von Pferden ausgetragen wurden.
An einem strahlend schönen Tag im Herbst bin ich – wie immer – hinausgefahren zu meinem Pferd, habe es gesattelt und bin ausgeritten. Dann ist mir schwarz vor den Augen geworden und ich muss das Bewusstsein verloren haben. Ein Spaziergänger berichtet, dass er mich auf einer Bank sitzend gefunden habe. Mein Kopf sei mir auf die Brust gefallen gewesen und es hätte so ausgesehen, als hätte ich ein Nickerchen gemacht. Ich hätte zu atmen aufgehört. Er hätte das geprüft, indem er nach meinem Puls gefühlt habe. Ich sei so gut wie tot gewesen.
Wenig später hörte ich einen Mann zu Umstehenden, die für mich nicht sichtbar waren, sagen: Sehen sie, er hat die Reitgerte noch in der Hand und auch das Pferd grast hier in seiner unmittelbaren Nähe. Die inneren Steigbügelriemen sind hochgezogen und von innen durch die Bügel gesteckt. So, wie man es macht, wenn man von einem Pferd absteigt, weil man es für kurze oder längere Zeit nicht mehr reiten will.
Ich wollte wissen, an wen diese Worte gerichtet waren, aber da war niemand. Von wegen tot. Ich war putzmunter. Lebendiger kann man nicht sein. Plötzlich hörte ich Jahrmarktmusik. Musik von einem Ringelspiel. Ein Clown hatte mich entdeckt und mich mitten hinein in das bunte Treiben gelockt, indem er sich immer wieder vergewisserte, ob ich ihm auch folge. Dann sah ich es. Vor mir ein Ringelspiel. Weiße Pferde mit schönem Sattelzeug kreisten in schaukelnder Bewegung an mir vorbei. Alle waren weiß, bis auf eines. Das war schwarz. Schwarz wie Ebenholz. Der Clown deutete mir, dass ich es reiten solle. Es sei umsonst. Das Ringelspiel gehöre ihm. Ich solle mir keine Gedanken machen.
Und? fragte ich ihn.
Was weiter?
Er hatte zu sprechen aufgehört, so als wäre seine Geschichte hier zu Ende. Er schien wirklich weit weg gewesen zu sein, da er mich plötzlich anstarrte, als wäre ich ihm gerade erschienen.
Du willst wissen, was dann geschehen ist? Du wirst mir nicht glauben: Während sich der Clown auf eines der weißen Pferde geschwungen hat, habe ich verzweifelt versucht, das schwarze Pferd zu besteigen. Es hat mich aber immer wieder abgeworfen. Ich weiß nicht, wie oft ich es versucht habe. Kaum hatte ich es bestiegen, hat es mich wieder abgeworfen. Der Clown hat gelacht. Es war ein wieherndes Lachen, kein menschliches Lachen… Wie soll ich es nur beschreiben. Es war nicht der Clown, der gelacht hat. Es war das Pferd.
Dann bin ich aufgewacht, meine Lippizanerstute stand in der Wiese und rupfte Gras; ich saß auf einer Bank in einem weitläufigen Park; kein Mensch weit und breit. Niemand. Ich sah mich selbst, als wäre es ein Gemälde: Mann auf Bank mit Reitgerte in seinem Schoß. Ein Pferd grast; die Steigbügelriemen sind von innen durch die Bügel gesteckt. Dahinter Berge. Ein schönes Bild. Alles so friedlich. Gäbe es dieses Gemälde, ich würde es kaufen. Sofort.
Sie müssen mir helfen, beschwor er mich. Dann blickte er sich nach allen Seiten um, als würde jemand mithören und Zeuge eines Geständnisses werden wollen; dann flüsterte er: Sie müssen mir versprechen, dass sie es niemandem sagen. Das Lachen verfolgt mich. Ich höre es ununterbrochen. Selbst jetzt, während ich mit ihnen rede.

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