Mochlos

Oregano- und Salbeiduft schwebt über den Hängen, die Luft ist gewürzt vom wildwachsenden Lorbeer und geschwängert vom Salz der Ägäis. Hohe Klippen stürzen über kurze, schwarzsandige Strandabschnitte, an die das Meer heranbrandet, von oben wie ein Abyss, das alte griechische Wort für die bodenlose Tiefe und die weiten Räume des Big Blue.
Eine Frau in Schwarz, Mutter von Mikalis, Litza mit Namen, verwöhnt ihn, den Fremden, mit Essen aus bodenständiger Küche. Ungefragt gibt es immer einen Nachschlag, und es freut sie, wenn beide, ihr Sohn und sein neuer Freund – nach dem ersten Fang – hungrig wie ausgezehrte Steppenwölfe über die zubereiteten Speisen herfallen. Ihr dürfte nicht entgangen sein, dass er ziemlich abgemagert ist und – im Vergleich zu ihrem baumstarken Sohn – sein Körperbau mehr an eine Gelse erinnert. Er fühlt sich geborgen wie schon lange nicht mehr.
Zum Haus gehört noch Vasalis. Er sitzt von morgens bis abends im Schatten der einzigen, aber mächtigen Platane, trinkt Ouzo, knackt mit den wenigen Zähnen, die ihm geblieben sind, Berge von Pistazien, spuckt mit einer fast verächtlichen Gebärde deren Schalen auf den Boden und raucht pausenlos selbstgedrehte Zigaretten. Er sitzt da mit großer Würde, als wartete er auf etwas und hat’s vergessen worauf.

Vasilis stammt aus Kalymnos, der Insel der Schwammtaucher. Er war ein halbes Jahr als Gastarbeiter in Deutschland gewesen und hat in einer Schlachterei gearbeitet. Akkord. Furchtbar war das, sagt er. Der Vater von Mikalis war ein tollkühner Apnoetaucher, der- wie so viele vor ihm – tief unten am Grund des Meeres den Tod gefunden hat. Mikalis ist nicht sehr gesprächig, wenn es um seinen Vater geht. Er spricht nicht viel, verständigt sich mehr mit Zeichensprache, die sein Freund deuten muss, aber immer versteht: Jetzt zum Beispiel zeigt er mit 8 Fingern, wie viele unglaubliche Minuten er mit nur einem Atemzug unter Wasser bleiben und mit einem kiloschweren Stein bis in Tiefen vordringen hat können, wo Licht immer spärlicher wird und die aphotische Zone beginnt.

Er hat sich in der Zwischenzeit vollkommen dem Rhythmus der Inselbewohner angepasst. Es gibt weder Radio, noch Fernseher und auch keine Zeitung. Internet? Auch kein Internet.

Mittlerweile kann er die Tintenschnecken unterscheiden. Sie haben, bis auf den Nautilus, keine schützende Schale mehr und mussten sich daher etwas einfallen lassen. Mikalis meint, dass es nicht nur sehr schwer ist, sie aufzuspüren, da sie sich nicht nur gut tarnen, sondern noch besser verstecken können. Sie bauen sich selbst Höhlen aus Steinen und Muscheln. Wenn er nicht so gut wüsste, wo sie sich am liebsten aufhalten, hätte er keine Chance. Außerdem seien sie pfeilschnell. Manchmal tun sie ihm sogar leid, wenn sie von Mikalis überlistet, auf dem Boden des Bootes landen, längst aber schon nicht mehr, wenn sie nach lecker schmeckenden Zubereitung durch Litsa auf dem Teller liegen.

Was für ein Friede. Das Raunen und Rauschen des Meeres wetteifern Tag und Nacht mit dem unaufhörlichen Gebrüll der Zikaden. Beides steigert sich bei Flut zu einem ohren-betäubendem Crescendo, wenn die Wellen gegen die Felsen branden: ein Soundtrack, der gleichzeitig aufwecken und wachhalten will. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Gleichförmigkeit – weit entfernt von Monotonie – verrinnen die Tage wie im Flug. Er richtet sich nach dem Stand der Sonne, aber er weiß das Datum nicht mehr. Jeder Tag ein Sonntag.
Seine Augen trinken sich voll mit der Farbe Blau, für die es keine Entsprechungen auf Paletten von Malern gibt, und seine Ohren versuchen die feinen Unterschiede wahrzunehmen, wenn der Wind in die Olive greift und seine sichelförmigen Blätter zu zweifarbigen Vexierspiegeln macht, grün und silbrig schimmernd, oder ihn rüttelt, als würde er ihn all seines Schmuckes berauben wollen. Über ihm die Sterne, getauft auf die Namen von Göttern und Helden, der Mond spiegelt eine Brücke über das Meer bis zu seinen Füßen. Die mit Schaumkronen geschmückten Wellen rasen heran, brechen sich mit einem satten Schmatzen und ziehen sich wieder zurück, als würde man feine Kiesel durch ein Sieb schütten. Das alles will er speichern, denn er weiß, wohin er zurückmuss. Wenn ihm wieder einmal alles zu viel werden sollte, will er sich mit geschlossenen Augen auf diesen Flecken einer von Licht, Sonne und gastfreundlichen Menschen gesegneten Insel retten.

Das Leben ist trotz seines fast schon rituellen Tagesablaufs abwechslungsreich. Nie ist das Meer, wie es gestern war: Abgesehen von Ebbe und Flut, die allein schon dem Tag einen Rhythmus geben, kann es eben noch gewütet haben, um wenig später so zu tun, als wäre nichts gewesen. Dann liegt es da wie ein flacher Spiegel, in welchem Sonne oder Mond ein Bad nehmen. Gefischt wird nur für den täglichen Bedarf. Von den Nachbarn bekommt er im Austausch Olivenöl oder Wein. Er lebt in einer anderen, fast archaisch anmutenden Zeit, in welcher die Götter, bis auf ihre Unsterblichkeit, den Menschen nicht viel voraushatten.

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2 Comments
  • Helmut Hostnig
    Posted at 17:17h, 12 Mai Antworten

    Danke, liebe Erny. Ist Auszug aus einem Tagebuch von 1970, als ich zwei Monate auf Kreta war.

  • Erny Menez
    Posted at 04:58h, 11 Mai Antworten

    Lieber Helmut,
    Dein Text bringt mir Vorfreude auf die Bretagne, wo ich in 2 Wochen bin ….und viele dieser Sensationen erleben darf, weit weg vom Weltgeschehen, vereint mit Natur rundherum.
    Danke
    Erny

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