helmut hostnig

Eines Tyrannen Traum

Es war einmal ein Herrscher. Er ging als Hassada II in eine nie geschriebene Geschichte ein, war von schlichtem Gemüt und ebenso grausam, wie sein Vater es gewesen war. Nicht grausamer also wie alle die Herrscher vor ihm und sicher nicht weniger als die, die ihm nachfolgen würden.
Hassada II war groß. Er überragte alle seine Untergebenen, die schon dieser körperlichen Größe wegen zu ihm aufschauen mussten. Das Auffallendste an ihm war sein langer Hals, der einen im Vergleich zu seiner Körpergröße kindlich kleinen, dafür aber recht kantigen Kopf trug. Seine Augen konnten dreinschauen wie ein Basset, der nichts anderes getan haben will als das, was seine Natur ihm aufgegeben hat. Sein Volk, aber auch der Teil seines Volkes, der gegen ihn Krieg führte, sprach immer nur von der Giraffe, wenn von ihm die Rede war. Er zeigte sich selten in der Öffentlichkeit. Für seine Allgegenwart aber sorgten überall überlebensgroße Abbildungen, die ihn im Anzug und staatsmännischer Pose zeigten. Selbst Gesichtsblinde konnten ihn, wenn schon nicht am Portrait, das in allen Schulen, Kasernen oder Ämtern hing, an den überdimensionierten Goldrahmen erkennen. Ganz abgesehen von den meterhohen Statuen, die auf beinahe allen Verkehrsinseln und öffentlichen Gebäuden der größeren Städte aufgestellt waren. Um sich in das Gedächtnis aller Menschen und nicht nur in das seines Volkes einzuschreiben, hatte er begonnen, die Grenzen seines Reiches so auszudehnen, wie sie – wie er behaupten ließ – in Atlanten vor hundert Jahren eingetragen gewesen seien. Er ließ Meere umbenennen, sprach von einem Nachbarland im Norden, als sei es gern und bald der 51igste Bundesstaat seiner Föderation, und von dem in Süden, dass er es allein mit Zöllen vernichten werde. Er nahm die ganze Welt in Geiselhaft mit seinen Drohungen. Er ließ Bilder von sich als König aller Herren Länder anfertigen und setzte sich so nicht nur deren Kronen, sondern sogar die Tiara des Papstes auf den Kopf.
Je länger diese Kriege andauerten, umso heftiger wurden seine Träume, wenn ihn nicht Schlaflosigkeit wachhielt, was immer öfter vorkam. Die Tatsache aber, dass er immer den gleichen Traum träumte, ohne sich an ihn erinnern zu können, brachte ihn so auf, dass er schier nicht mehr wusste, an wem er seine Wut auslassen sollte. Er befahl seine Seher zu sich und eröffnete ihnen, dass er demjenigen, der ihm den Traum der letzten oder kommenden Nächte erinnern helfen und auch noch deuten könne, seine Tochter zur Frau geben würde; wenn er es aber nicht vermöchte, noch am selben Tage sein Leben lassen müsse. Diese Vorgangsweise hatte er aus Märchen entlehnt, die seine einzige Lektüre waren.
Niemand hatte zwar seine Tochter je gesehen, aber es hieß, dass sie sehr, sehr schön sein solle und trotz der Tatsache, aus den Lenden dieses blutrünstigen Diktators gezeugt worden zu sein, ein sanftes Wesen habe.
Die Tage verstrichen, aber niemand wollte sich zu solch kühner Tat melden. Die Giraffe wurde von Tag zu Tag paranoider. Die weltweite Pandemie wütete auch in seinem Reich, und er wusste nicht, wie er sich gegen das Virus schützen sollte, außer jeden Kontakt mit Untergebenen zu vermeiden. Er ließ sich einen 10 Meter langen Tisch bauen. Seine Ratgeber und die wenigen Besucher aus den Ländern, die ihm die für seine Kriege notwendigen Waffen lieferten, mussten am anderen Ende des Tisches Platz nehmen. Bedient wurden sie von Robotern. Allen war aufgefallen, dass die Giraffe nicht sehr gesund aussah. Er hatte ein aufgedunsenes Gesicht, aus dem nichts mehr abzulesen war. Weder Wut noch Freude. Weder Trauer noch Anteilnahme. Als würde er eine Maske tragen. Der grollende Unterton in seiner Stimme aber verriet seine Gemütslage. Er hatte nichts mehr unter Kontrolle.
Nicht einmal an meine Träume erinnere ich mich, klagte er laut, wobei er ruhelos im Saal auf und ab ging und den langen Tisch umkreiste.  Wenn die Nacht kam, befahl er einem seiner Diener ihn sofort aufzuwecken, wenn sein Schlaf unruhig sein würde und den Traum sofort niederzuschreiben, aus dem er aufgewacht war. Aber immer war es dasselbe. Gerade noch wusste er, wovon er geträumt hatte, aber schon im Aufrichten aus den schweren Kissen war der letzte Traumfetzen verflogen. Das ärgerte ihn so, dass jeden Morgen ein anderer Diener seinen Zorn darüber zu spüren bekam und je nach Laune entweder ausgepeitscht oder dem arabischen Roulette ausgeliefert wurde. Zum Schluss wagte es niemand mehr ihn aufzuwecken, was in den Augen des Herrschers als besondere Feigheit galt.
Natürlich wollte sich lange niemand melden, bis eines Tages ein junger Mann aus seiner Leibgarde vor den Herrscher trat und sagte: Ich will es wagen.
Die Giraffe musterte den jungen Mann, rieb seine nassen Handflächen gegeneinander und fragte: Bist du dir deiner Sache so sicher, dass du Kopf und Kragen riskierst? Wenn ja, dann nur zu, aber bevor du meinen Traum deutest, musst du zuerst herausfinden, was das für ein Traum ist, aus dem ich jeden Morgen aufwache, ohne mich an ihn, nicht einmal dunkel, zu erinnern. Was also, glaubst du, habe ich geträumt?
Mein Gebieter, antwortete der tollkühne Mann, wenn ich dir deinen Traum in Erinnerung rufe, wirst du mich trotzdem töten wollen, denn es ist kein schöner Traum, den du auch heute Nacht wieder träumen wirst.
Heraus damit! fauchte ihn der Herrscher an. Meine Geduld hat Grenzen. Sag mir, was ich geträumt habe, denn der Traum scheint mir der Schlüssel zu sein für Erfolg oder Misserfolg meines Unternehmens, mein Reich in den alten Grenzen wieder herzustellen. Also noch einmal, sagte er drohend: Entweder du erzählst und deutest mir den Traum, an den ich mich nicht erinnern kann oder ich lasse dich auf der Stelle der Todesstrafe zuführen, die du selbst gewählt hast.
Der Mann, dessen Name leider nicht überliefert ist, obwohl er es mehr als Hassada II verdient hätte, wusste, dass er sich nun um Kopf und Kragen reden würde, weil niemand, nicht einmal und schon gar nicht ein Herrscher, so dumm sein kann, anzunehmen, ein anderer wüsste, was er geträumt habe.
Ich bin schon sehr neugierig, was das für ein Traum sein wird, den du erfinden wirst müssen, im Glauben, dein Leben zu retten.
Er hätte jetzt an dieser Stelle, einen beliebigen Traum erfinden oder ihm die Geschichte von Krösus erzählen können, der am Vorabend der alles entscheidenden Schlacht vom Orakel in Delphi wissen wollte, wie sie ausgehen würde. Das Orakel hielt sich bedeckt. Der Hohepriester ließ ihm ausrichten, dass er ein großes Reich zerstören würde, wenn er den Halys überschreite. Dass es sein Reich sein würde, hatte er ihm nicht gesagt.
Jetzt sag schon! Sag mir die ungeschminkte Wahrheit. Alle schmeicheln sie mir. In Wirklichkeit wünschen sie mir den Tod. Verräter sind sie. Ich werde sie ausspucken, wie eine Fliege werde ich sie ausspucken, die mir in den Mund geflogen ist.
Du träumst, sagt der Jüngling beherzt, dass jubelndes Volk auf beiden Seite der großen Straße steht, die vom Palast wegführt. Du willst winken und kannst nicht.
Warum jubelt das Volk, fragt der Herrscher?
Das kann ich dir nicht sagen, antwortet der Jüngling. Du weißt nur, dass es kein guter Traum ist. Du ahnst es, aber willst es nicht wissen.
Daraufhin ließ ihn Hassada II in den Kerker werfen. Am nächsten Morgen sollte er hingerichtet werden.
Am nächsten Morgen aber feierte der Jüngling sein ihm noch einmal geschenktes Leben, nachdem der Herrscher von einem Albtraum geplagt, in welchem er seiner eigenen Beerdigung beiwohnte, einem plötzlichen Herzkrampf erlegen war.
Als man seinen Sarg durch die Straßen trug, jubelte das Volk. Es ging das Gerücht, dass ein Traumdeuter ihm das Ende bereitet habe.

Views: 20

2 Comments
  • Ruth Thurnher
    Posted at 11:09h, 16 Juni Antworten

    Spannende Aufarbeitung der Story: Traum, Märchen, Wirklichkeit alles ist in der Geschichte drinnen. Bei der Charaktere denkt man sofort an Trump, Putin oder an andere Diktatoren dieser Welt. Auf so ein schlaues Ende muss man zuerst kommen! Hut ab!

Post A Comment

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..