Copacabana

Ich habe mich im vierten Stock des El Mirador einquartiert. Ich weiss nicht mehr, wie ich die Stiegen hoch gekommen bin, aber das Zimmer mit seinem Blick auf den See haelt, was der Name verspricht. Zudem ist es fuer 70 Bolivianos, was einem Gegenwert von etwa 10 Dollar entspricht, aeusserst preisguenstig. Ich suche ein Internetcafe, checke meine Mails und beantworte sie. Mein Freund Paul ist einer von den wenigen, die ueber meinen Blog Kontakt mit mir aufnehmen. Ich weiss nicht, woran es liegt. Jedenfalls macht er mir Mut an ihm weiter zu werken, obwohl es sehr zeitaufwendig ist. Seinetwegen wage ich es ein letztes Mal auf den Kalvarienberg, dem Hausberg von Copacabana, hinaufzusteigen.

Vor 30 Jahren habe ich ihn erklommen. Damals hat mir der Aufstieg wohl keine solchen Muehen bereitet. Wie soll mir das gelingen, wenn ich kaum die Treppen hinauf in mein Zimmer schaffe ohne lange Pausen zwischen den Stoecken einlegen zu muessen. Ich nehme die Herausforderung an, nicht nur, weil ich weiss, welch grandioser Blick ueber den See mich auf dem Gipfel erwartet, sondern vor allem, weil ich nicht zulassen kann, dass mich mein alter ego von vor 30 Jahren auslachen will. Beinahe haette ich auf halber Strecke aufgegeben. Mit rasenden Kopfschmerzen und hyperventilierend wie die Hunde, die mich begleitend sich um einen Knochen streiten, kaempfe ich mich auf den Gipfel. Ich erinnere mich, dass ihn damals noch Menschen auf den Knieen rutschend erstiegen haben. Ich schaffs kaum auf zwei Beinen, die alle drei Schritte unter mir wegzusacken drohen.

Endlich angekommen werde ich von einem Schamanen begruesst, der es sich gegen ein Trinkgeld de voluntad nicht nehmen lassen will, mich, die Kamera und das Geld in meiner Tasche mit Chichabier zu segnen.

Natuerlich war das, was ich zu spenden bereit war, zu wenig. Da ich vier seiner Kollegen mitgefilmt habe, sollten auch sie mit Bier versorgt werden. Um 2o Bolivianos leichter will ich nicht den gleichen Weg zurueck nehmen, sondern den Stein suchen, auf dem ich vor 30 Jahren Platz genommen habe, um den See auf mich einwirken zu lassen.
Ich finde ihn oder glaube, ihn gefunden zu haben, mach ein Foto von mir, um es mit dem damals Aufgenommenen vergleichen zu koennen, wenn ich wieder zuhause bin, und nimm den Pfad, der nach unten zum Ufer fuehrt in der Hoffnung, dass es einen Weg gibt, der mich auf die andere Seite der Felsen bringt, hinter denen ich den Hafen von Copacabana vermute. Hinunter gehts ja, aber hinauf schaffe ich es sicher nicht mehr. Ich weiss, ich bin ziemlich sorglos und sollte das auf Grund meiner Angeschlagenheit nicht sein, aber es waere nicht ich, wenn ich es nicht wenigstens versuchte.

Ich habe Glueck. In einer kleinen Bucht unterhalb der Felsen befindet sich noch ein Wallfahrtsort, der sicherlich nicht oft von „cara,s“, wie die Einheimischen die Bleichgesichter abwertend nennen, aufgesucht wird. Nach einer kleinen Rast bietet mir ein Bootsbesitzer an, mich hinter die Felsen in den Hafen von Copacabana zu bringen. 

Mittlerweile ist es Abend geworden. Ich lerne eine Englaenderin kennen, die fuer Amnesty International arbeitet, und geniesse plaudernd und Mate de coca trinkend den Sonnenuntergang ueber dem Titicacasee.
Den Trip auf die Isla del Sol erspare ich mir auch diesmal. Mein Bruder erwartet mich morgen in La Paz.  Er hat nur wenig Zeit, da er bald wieder in sein Projektgebiet aufbrechen muss.

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1 Comment
  • Paul
    Posted at 09:34h, 24 September Antworten

    Lieber Helmut, wie gesagt bin ich sicher nicht der Einzige, der Deinen Reisebericht liest, nur halt der Einzige der was schreibt (He Berger! Laß mal was von dir hören!). Die Höhe scheint Dir wirklich zu schaffen zu machen, aber jetzt geht`s eh bergab… Oder ist La Paz auch wieder so eine hochandine Stadt? Egal – Du bist auf dem Weg ins frühlingshafte Chile auf Meereshöhe. Du wirst einen Sauerstoff-Schock kriegen!
    !Hasta la pròxima vez!

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