Shut up, I said

Shut up!, I said.

Auch wenn es nur eine Sprechblase gewesen war, die eben mit lauter tief im Rachen gebildeten Rchrrrrrrr’s implodierte, er hatte verstanden. Es war unmissverständlich. Die Uniform mit dem breiten Gürtel, dem Pistolenhalfter und den Schweißflecken unter den Achselhöhlen hätte auch gar keinen Laut von sich geben müssen. Die Berufsbekleidung allein hatte genügt bei ihm Schuldgefühle auszulösen und wer sich schuldig fühlt, benimmt sich auch so, als sei er auf frischer Tat ertappt worden. Dass er etwas Strafwürdiges begangen haben muss, war zwar nicht zwingend, manchmal aber können sogar aus Routinekontrollen Straftaten entstehen, die zu verhindern die Staatsmacht ausgerückt war. Was habe ich getan?, fragte er … , wie kann ich sie davon zu überzeugen, dass ich ein harmloser Tourist bin, der nichts anderes will, als …, mittlerweile war der Blickkontakt mit dem Taser abgerissen, der auf einen Punkt zwischen seinen Augen gerichtet war … , weiter fahren zu dürfen.

Mitten in seiner Rede aber, – I am a tourist coming from Austria – , die immer absurder wurde und Gefahr lief, sich in einem sinnlosen Staccato von Worten und deren mantraartigen Wiederholung in einer Endlosschleife zu verlieren – I am a tourist coming from Austria -, wurde er mit einem „shut up“ kalt gestellt, das sich wie das metallische Klicken beim Entsichern einer Glock 21 anhörte. Er hielt den Atem an. Jetzt ist es um mich geschehen, dachte er. Er schloss die Augen. Er schwieg. Er war bereit. Er hatte es ja zigtausendfach gesehen und kannte den Ablauf, als wäre er selbst dabei gewesen. Jetzt war er dabei. Live. Wie ein Käfer kam er sich vor, der mitten im Flug gegen eine Glastür oder ein Fenster geflogen war und jetzt mit dem Rücken auf dem Beton zum Liegen kam. „Down to the shoulder!“

Jetzt schlug auch noch die Turmuhr. Keinem Regisseur hätte Kitschigeres einfallen können, um die Dramatik der Szene noch zu steigern. Aber es war so. Ich schwör’s dir. Als die 12 Schläge der Turmuhr verklungen waren, vielleicht aber waren es nur die Gongschläge, die eine ausführliche Magazinsendung um die Mittagszeit ankündigten, – jedenfalls hatte er alles, was von dem Zeitpunkt seines unbeabsichtigten Aussteigens aus dem Mietwagen bis weit über seine Festnahme hinaus geschehen war, als ein magisches Knock-out in Erinnerung – , hörte er eine körperlose Stimme über den leeren Platz schreien: Jedermann. Jedermann, der so tut, als wisse er nicht, wie er sich angesichts von Staatsgewalt zu benehmen  hat, beleidigt mich persönlich, und ich kenne Niemand, noboy, do you understand me?, der es wagte, mich zu beleidigen. I said: Down to the shoulder!
Woher aber sollte dieser nobody von Tourist wissen, dass shoulder hier mehrere Bedeutungen hat und nicht Rücken, sondern Pannenstreifen heißt, und man sich im Umgang mit einem Polizisten, der einen orangefarbenen Taser auf ihn gerichtet hält, gefälligst in Bauchlage begibt? Die Stimme fegte nicht über einen leeren Platz. Da muss ihm die Erinnerung einen Streich gespielt haben. Sie kam auch nicht aus dem Radio, wie er zuerst angenommen hatte. Die Stimme saß mit einem angewinkelten Knie in seinem Rücken, schloss ihm die Hände kurz –  und gehörte einem gewissen Herrn Poland, Steve Poland mit Namen, der jetzt in Ausübung seines Amtes seine seit Monaten angestaute Wut auf seine Frau, die ihm davon gelaufen war und auch auf seinen Boss, der sich über sie hergemacht hatte, gegen ihn richtete und an ihm ausließ – a tourist from Austria -. Anders war diese Wut nicht erklärbar, die den möglicherweise schlecht besoldeten Deputy zu einem Pitbull machte, den man aus mir noch immer unerfindlichen Gründen auf mich angesetzt hatte. I said: To the shoulder!, knurrte er:

Da ich die einzige menschliche Seele weit und breit war und dazu noch männlich, konnte nur ich gemeint sein: Ein Jedermann oder Niemand. Nobody. In Steve Poland’s Augen beides. Ein Hominide. Nicht aus seinem Stamm. Einer von auswärts, ein europäischstämmiger Ausländer also und somit verdächtig. Als Urenkel von Einwanderern aus Übersee, aus dem auch seine noch immer lebendige Beute jetzt stammte, hätte sein Migrationshintergrund ihn zwar milder stimmen müssen, aber das Gegenteil war der Fall: Wo kämen wir da hin, wenn jeder Dahergelaufene ziellos durchs Land streift, seine ökologischen Fußabdrücke hinterlässt und glaubt, dass ihm ein roter Teppich ausgerollt wird, nur weil er durch mein County reist? Nicht mit mir.
Der Tourist versteht kein Spanglish, aber immerhin so viel, dass es um ihn geht, obwohl Steve Poland jeden Versuch einer zivilisierteren Konversation mit einem gebellten „shut-up“ schon im Keim erstickt. Endlich hat der dämliche Gringo kapiert, dass es seine froschähnliche Gangart war, die des Streife fahrenden Polizisten ohnehin schon kochende Wut der 10 Meilen wegen, die er hinter ihm hat herfahren müssen, vollends zum Überschnappen gebracht hat. Während er auf den Handschellen sitzt, die sich tief in die Gelenke schneiden, führt er ihm vor, wie schwierig die Ausübung seines Dienstes ist. Er muss die vielen Apparate im Auge behalten, die ihm der Staat zur Verfügung gestellt hat, den aussichtslosen Kampf gegen das Böse zu führen. Der an einem Saugnapf an der Autodecke montierte und teleskopartig schwenkbare Laptop hat die Daten des Touristen schon ausgespuckt. Steve Poland also weiß, wie er heißt, dieser Schwerverbrecher, der sich der Tarnung eines österreichischen Touristen bedienen will; Helmut Österreich heißt er. So steht’s im Pass. Und er weiß auch, wann er geboren wurde. Welcher Nationalität er angehört, weiß er allerdings nicht, denn Österreich kennt man hier nicht einmal unter seinem internationalen Namen. Was er auch nicht weiß, ihn aber auch nicht im leisesten zu bekümmern scheint, ist, dass man in Austria, dem Land, das in seinen Breiten mit Kängurus und Didgeridu spielenden Ureinwohnern in Zusammenhang gebracht wird, Englisch noch nicht als Amtssprache anerkannt ist.

Während das Autoradio mich mit Countrysongs beruhigen will, nimmt Steve Poland von der state departement police meine Habseligkeiten auseinander. Darunter ein Aufnahmegerät, ein H4 Zoom, das nicht nur konzentrierte Aufmerksamkeit, sondern höchste Alarmbereitschaft auszulösen scheint, da er es wie eine heiße Kartoffel in der Hand hält und dann in den Wagen wirft, als hätte er auf eine heiße Herdplatte getippt. Das Inventar – eine Kamera, ein Aufnahmegerät, ein Reiseführer – alles offen auf dem Beifahrersitz liegend –  hätte eigentlich alle seine Bedenken zerstreuen müssen, aber – und hier gilt keine Unschuldsvermutung – ich bin ein drugdealer und das sind trickreiche Burschen – und einer, der auf dem highway 77 mit einem Leihwagen einem anderen Leihwagen folgt, kann nur ein drugdealer sein: Das ist doch klar. Die haben sich abgesprochen. „How does it feel, if nothing feels real“ spielt jetzt das Autoradio, fast so, als wüsste ein Moderator eines regionalen Kanals um meine derzeitige Gefühlslage.

Der Policeofficer hat das recherchiert und weiß, dass das Auto ein Leihwagen ist, nein war, denn er wird jetzt vor meinen ungläubigen Augen vom Abschleppdienst Huckepack genommen und weggeführt. Das ist ein Traum. Das träume ich alles nur. Ich kenne den Film, weiß aber nicht mehr, wie er hieß: „Screwed up in Texas?“ Könnte sein. Wer aber hat die Hauptrolle gespielt? Lass mich nachdenken. Nein, nein, nein: Das bin doch nicht ich, der da in diesem Polizeiauto sitzt und jetzt gerne wenigstens sich den Schweiß aus der Stirn wischen würde oder eine Marlborough anzünden, wären da nicht die Handschellen, die solche Verrichtungen nicht zulassen.

Jetzt fährt er mit eingeschaltetem Rotlicht und Sirene los. Was haben sie mit mir vor, frage ich ihn nach längerem Schweigen. „I’ll put you in jail. That’s what’s gonna happen with you.” Endlich eine klare Ansage. Kein shut up! Fast schon menschlich finde ich das. Warum aber mit Sirene?, frage ich. Ein kurzer vernichtender Blick, wie er einem Schwerverbrecher gebührt,  und wieder: „Shut up, I said.“  Wir werden nicht warm miteinander. Nein: Ganz und gar nicht. Und das ist kein Film. Nein: Ganz und gar nicht. Das ist Texas aus dem Bilderbuch, und Steve Poland ein Redneck, wie ihn Wikipädia definiert. Ihm wird nämlich „großartiges Fehlen von Feinsinnigkeit“ attestiert.

Nachtrag:

Wenige Monate später sitze ich mit dem Haubenkoch, unter dessen Namen ich im Countygefängnis von Refugio eingesessen bin, und dem österreichischen Generalkonsul, der mich über die Anwaltskanzlei aus den Fängen der DPS befreit hat, im Restaurant des MAC in Wien. Der Konsul, der meine Geschichte seinen Freunden erzählt hatte, bekam von diesen die Antwort: What the hell he is complaining. He is still alive, isn’t? Erst da ist mir klar geworden, dass ich ausgesprochenes Glück gehabt hatte.

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2 Comments
  • Gerhard
    Posted at 21:26h, 08 Mai Antworten

    Ja, erst in der Beschreibung wird wird fassbar, was wie im Traum erlebt wurde. Da werden sicher noch ein paar Fortsetzungen erscheinen.
    Gruß von

    gerhard

  • Ingrid
    Posted at 11:36h, 20 April Antworten

    Lieber Helmut,

    dein report hat mich atemlos gemacht – unbelievable.
    Gut, dass du wieder bei uns bist.

    Liebe Grüße
    Ingrid

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