Banat: Eine Zeitreise

Vorbei an der Festung Szümeg zum Plattensee, über Budapest und Szeged Richtung Rumänien. Wir wollen nach Arad. Dort wohnt ein Ehepaar, das meinen ungarisch-stämmigen Schulfreund eingeladen hat. Das erste Mal werde ich mit der ungarischen Tiefebene den Osten Ungarns und den eng mit der Habsburgmonarchie verknüpften Banat kennen lernen, eine geschichtsträchtige Gegend: Mongolen, Türken und die Habsburger hinterließen hier ihre Spuren. Wir nehmen eine der radial von Budapest über Szeged in den Osten der Pannonischen Tiefebene wegführende Autobahn. Von dort über die rumänische Grenze, an der man eine Vignette für 2 Wochen ersteht, sonst aber nicht kontrolliert wird. Wir sind in Transsilvanien.
„Kennst du den?“, fragt T. „Achtung! Achtung! Wir überfliegen eben Rumänien. Halten sie ihre Uhren fest!  Oder – noch besser – den: Treffen sich Ceausescu, Cruschtschow und der ungarische Präsident, um ein für alle Mal die Frage zu klären, wer sich im Banat früher  seßhaft gemacht hat und wem aus diesem Grunde dieser Teil der Erde zugesprochen werden sollte:  Den Ungarn oder den Rumänen. Der Vertreter Ungarns holt aus und schildert, wie die Hunnen aus den zentralasiatischen Steppen mit ihren erschöpften Pferden an einen  Teich im heutigen Banat gekommen sind, um sich auszurasten.  Am nächsten Morgen sind die Pferde verschwunden gewesen, führt er aus. Da fällt ihm Ceausescu ins Wort und sagt: Wir waren das nicht!“
Noch heute schwelt dieser Konflikt und Ungarn unter Orban träumt von den Gebieten, die es verloren hat.
An einem Bahnübergang ein Wärterhäuschen wie aus einem Bilderbuch des vergangenen Jahrhunderts. Ein Mann sitzt davor und schmaucht ein Pfeifchen. Dann, als der Zug vorbeigedonnert ist, kurbelt er mit der Hand die Schranken wieder hoch.
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Wir sind in Arad, Die Kreisstadt spielte eine große Rolle im Unabhängigkeitskampf der Ungarn von 1849. Von hier aus verkündete Kossuth seine berühmte Proklamation, die noch heute auf den Litfaßsäulen abgebildet ist. Die Hinrichtung von 13 aufständischen Generälen ist nicht vergessen. An einem Denkmal in der Nähe des Zentrums mit den neoklassizistischen Gebäuden und Häusern mit Jugendstilfassaden liegen frische Kränze. Neben dem 100 km entfernten Temesvar war Arad auch 1989 ein Zentrum der Erhebung gegen Ceaușescu mit vielen Toten. Wir sind in einer Pension untergebracht. 25€ für ein Einzelzimmer. Der Besitzer heißt uns mit Selbstgebranntem aus einer 500ml CocaColaflasche willkommen. Wir lernen Dorina und Zsigmond (ungarisch für Sigismund) kennen.  Er war Bauingenieur und ist in Pension, sie ist praktizierende Ärztin, will aber nach Deutschland. „Sie haben uns unsere Jugend gestohlen. 30 Jahre unter der Diktatur von Ceausescu. 2 Millionen Ungarn wurden von der Grenze ins Landesinnere deportiert. Auch die Donauschwaben, die seit Jahrhunderten  auf der anderen Seite des Marosch angesiedelt waren, wurden zwangsumgesiedelt oder haben das Land verlassen. Auch jetzt kein Aufschwung in Sicht. Korruption und Misswirtschaft lässt auch diese Generation nicht hoffen.“ Sie will weg. Noch einmal neu beginnen. Mit 57.  Sie hat Angst und weiß nicht, ob sie das Wenige, was sie sich geschaffen haben, aufgeben soll.

Ihr Mann führt uns zwei Tage lang herum und zeigt uns die Gegend. Wir besuchen den Wallfahrtsort Maria Radna mit seiner wunderschönen Barockkirche, die leider vom Zerfall bedroht ist. Wir sehen die gegen die Mongolen errichteten Steinburgen, fahren vorbei an den im Bau befindlichen oder schon bewohnten „Palästen“ der Roma, die sich mit ihren Türmchen und Alkoven von den Häusern mit burgenländischem Straßendorfcharakter deutlich abheben.  Zsigmond hat nichts übrig für sie: „Alles durch Streifzüge in Europa erstohlen, ergaunert, erbettelt. Aber sie sind großzügige Arbeitgeber.“ Er klingt verbittert. „Ein Uniprofessor bekommt eine Pension von knapp 300 € bei Lebenshaltungskosten wie überall sonst in der EU.“ Wir machen Rast in Lipova, einem vergessenen Dorf an der Murosch mit Kopfsteinpflaster und alter Bausubstanz aus der Zeit der Türken und Habsburger. Weiter zu einem rumänisch-orthodoxen Kloster mit einem wunderschönen Rosengarten. Aus unsichtbaren Lautsprechern der Gesang eines Mönches. Sehr stimmungsvoll. Eine ganze Busladung voll mit Gläubigen, die psalmodierend an einer Ikone vorbeiziehen und sie küssen.
Am nächsten Tag besuchen wir Temeswar: Eine Stadt, die mich mit ihrem Charme aus der Kaiserzeit überrascht. Reich mit Art Deco verzierte, aber bröckelnde Hausfassaden, Schönbrunnergelb, viel Jugendstil, viele Barockkirchen, weit ausladende Plätze, verkehrsberuhigte Zonen, schöne Brücken, die über den regulierten Flussverlauf der Bega 300 km bis zur Donau führt. Nicht umsonst wurde Temeswar einmal das Kleine Wien genannt. Hier fuhr die erste Straßenbahn und Temeswar war mit Paris die erste Stadt mit Nachtbeleuchtung. Straßennamen erinnern an Eugen von Savoyen und Nikolaus Lenau, ein Sohn der Stadt. Vor einer Barockkirche restaurieren zwei aus der Steiermark von der Diözese angeforderte Tischler eine Seitentüre des Eingangsportals und beklagen sich über die unsachgemäße Behandlung der Schnitzereien durch rumänische Handwerker.
Bis 1944 gab es noch eine deutsche und ungarische Mehrheit und einen sehr hohen serbischen Bevölkerungsanteil. Durch die Aussiedelungspolitik in den 70iger Jahren und das Zuzugsverbot aus dem Umland erfolgte eine Umschichtung der ethnischen Bevölkerungsgruppen. Heute stellen die aus dem Osten und Süden Rumäniens zugewanderten Rumänen den größten Anteil. Zsigmond (Sigismund) jedenfalls freut sich über die Möglichkeit seine Muttersprache sprechen zu können und bedauert es sehr, dass die Vielfalt an Ethnien, die hier seit Jahrhunderten friedlich zusammen gelebt haben, verloren gegangen ist.  Mitten im Zentrum finden wir eine Gedenkstätte für die 1989 über 120 vom Geheimdienst Securitate  Ermordeten. „Bis heute gab es keine Aufarbeitung. Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen“, meint Zsigmond bitter. Auch hier frische Kränze.

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