10 Sep Aufbruch nach Macusani-Corani
Am fruehen Morgen holten wir meinen Bruder vom Flughafen ab. Da seine Aufenthaltsgenehmigung kurz vor demAblaufen war, musste er noch in die Stadt. Der Toyota stand wie versprochen vor der Tuer. Ein letztes Foto, fuer das ich mich bemuehte schlanker zu erscheinen als mein Bruder, und es ging los.
Cusco ist mit seinen Vororten zusammen gewachsen und wir brauchen lange, bis wir auf offener – uebrigens gut asfaltierter – Strasse sind, die an unzaehligen archeologischen Staetten und Parks vorbeifuehrt. Da wir noch vor Einbruch der Dunkelheit in Macusani sein wollen, lassen wir sie links liegen. Waere gerne oefter ausgestiegen, um Aufnahmen von der staendig wechselnden Landschaft zu machen, aber das haette uns zu lange aufgehalten. Vielleicht auf dem Rueckweg. Da die Strasse der Bahntrasse folgt, die nach Puno fuehrt und ich vor 30 Jahren mit dem Zug von Cusco nach Puno aufgebrochen war, kam mir die Strecke bekannt vor. Irgendwann aber nach Santa Rosa gings ab von der asfaltierten Strasse (es gibt kein scharfes s) und hinauf nach Nunoa, dem letzten Aussenposten vor Macusani. Dazwischen nichts mehr. Manchmal kleine mit Ichugras bedeckte Huetten aus Lehmziegeln, daneben Koraele fuer die Kameliden.
Auf der ganzen Strecke kommt uns kein Auto mehr entgegen. In weiter Ferne Hirten. Meistens Kinder. Baeuerinnen, die in der andinen Tracht auf den jahrhunderte alten Pfaden gehen, die sich im Ichugras verlieren. Es steht in braungelben Buescheln und ist durch die lange Trockenzeit nicht mehr sehr naehrstoffreich. Trotzdem gilt die Gegend als das Zentrum der genetisch mit den besten Eigenschaften ausgestatteten Lamas und Alpakas.
Die Strasse wird immer enger und schlechter. Tiefe Spurrinnen, Schlagloecher. Ohne Gelaendewagen kein Fortkommen. Vorbei an Schluchten, Wasserfaellen und Terrassenlandschaften, die bis zum Gipfel der Berge hinaufreichen. Hunde, die aus dem Nichts heranstuerzen und frenetisch bellend den Pickup verfolgen. Kamelidenherden, die wir im Schritttempo als eine kleine weissschaeumende Flutwelle teilen und in einer dichten Wolke aus rotem Sand, schwarzem Auspuff und einem Spritzregen von Kieseln zurueck lassen.
Keine Wegmarkierung, auch wenn sich die Strassen teilen. Niemand, den man fragen koennte. Man muss die Wege hier kennen, um am Zielort anzukommen.
Mein Bruder will uns Mauka LLakta zeigen, eine praeinkaische Stadt oberhalb einer mittlerweile fast ausgetrockneten Lagune. Die Waende der Haeuser stehen noch und auch die Chullpas, Begraebnisstaetten der dort ansaessigen Familien: Kleine, runde Tuermchen. Eine archaeologische Sehenswuerdigkeit, die touristisch noch nicht erschlossen ist. Hier nehmen wir windgeschuetzt unsere Jause ein.
Endlich in der Ferne die Lichter von Macusani. Fuer 350 km waren wir ueber 8 Stunden unterwegs.
Ich bin ziemlich erschoepft und die Hoehe macht mir zu schaffen. In einer einfachen Herberge neben dem Buergermeisteramt untergebracht, begeben wir uns zur Buergermeisterin, Nancy Rossel Angles, die uns sehr herzlich empfaengt und zum Abendessen einlaedt. Nachher soll ich das Interview mit ihr durchfuehren. Jeder Schritt eine Herausforderung. Ich bekomme kaum Luft und werde kreidebleich. Rainer und Rosanna tauschen Blicke. Sie machen sich Sorgen um mich. Hoffentlich nicht die gefuerchtete Sorroche. Ich taumle aus dem Lokal in die schneidend frische Luft. Das Interview noch und dann nichts wie ins Bett.
In der Gegenwart meines Bruders ziemlich gehemmt. Mein Spanisch ist so gut wie weg. Ich stammle mehr als ich spreche. Gut, dass ich die Fragen auf Zetteln vorbereitet habe. Die Buergermeisterin sehr souveraen. Der Raum ist voll und alles lauscht andaechtig ihren Worten und meinen gestammelten Fragen. Ich packe die Kamera ein und baue das Stativ ab und hechle hinaus auf die Strasse. Es ist Nacht geworden, aber der ganze Himmel uebersaet mit Sternen zum Greifen nah. Ich sehe es und nehme es wahr, kann es aber nicht auf mich einwirken lassen, weil ich nur noch ins Bett will. Aus dem Schlafen wird zuerst allerdings nichts. Von der Strasse dringt ein Hoellenlaerm ins Zimmer. Andine Musik von verschiedenen Verkaufsstaenden, die sich gegenseitig Konkurrenz in der Lautstaerke machen.
Kurzatmig. Wenn das so bleibt, muss ich morgen wohl passen. Wie soll ich meinen Bruder in den “bosque de piedras” begleiten und mich von ihm zu den Felsbildern fuehren lassen, wenn ich sogar im Liegen kaum Luft kriege?
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c. matkowits
Posted at 14:24h, 21 Oktobertoller bericht!
das ist sicher eine einprägsame reise, die man nie wieder vergisst. schreib ein buch!
hoffe du bist stolz auf deine frau, die dich so lange missen muss.
wäre nichts für mich.
alles gute für dich!
helmut
Posted at 20:06h, 15 SeptemberLieber Christian
Schoen, von dir zu lesen. Erhole mich gerade von den Strapazen der Reise. Noch nicht wirklich an die Hoehenstufe angepasst und Jetlag auch noch kaum ueberwunden, vertreibe ich mir die Zeit, den Blog aktuell zu halten. Eine quaelend langsame Prozedur. Was Bolivien angeht, verfolge ich natuerlich mit grosser Aufmerksamkeit, was dort passiert, auch, weil ich in wenigen Tagen in La Paz sein will.
Nach Durchsicht spanischsprachiger Pressemitteilungen, hat morales den US-Botschafter zur persona non grata erklaert. Es wird angenommen, dass bezahlte Banden in Santa Cruz ihr Unwesen treiben (immerhin 16 Tote), den Flughafen besetzt halten und vorhaben ueber das unsinnige, weil von niemand ratifiziert, Autonomiebestreben die Zentralregierung zu destabilisieren und zur Anwendung von Gewalt zu provozieren. Da aber bis jetzt noch jeder Praesident gehen musste, nachdem er das Militaer zu Hilfe gerufen und es bei Konfrontationen Tote gegeben hatte, haelt sich Morales noch zurueck. Die wogen seien mittlerweile geglaettet, da immerhin ein Dialog zustande kam.
In wenigen Tagen geht es weiter nach Puno, wo ich bergbaukritische Vertreter von NGO¨s interviewen will.
Begleite mich weiter. Freu mich ueber jede Zeile.
Machs gut und sei umarmt
Helmut
chb
Posted at 18:06h, 15 Septemberes ist interessant deinen weg zu verfolgen und beruhigend auch immer wieder was von dir zu lesen. in den nachrichten kamen heute medlungen, dass sich die konflikte in bolivien zuspitzen. die “reichen” provinzen scheinen unterstützt durch die usa nun offensiv gegen umverteilungspläne anzutreten.
vielleicht kannst du da was vor ort mitteilen.
lg
chb