Ein Vormittag in Copacabana

Beinahe haette ich das Wichtigste versaeumt. In einem Internetcafe entdecke ich einen in Deutsch abgefassten Reisebericht, der mich auf die Basilika im barocken Kolonialstil aufmerksam macht. Nachdem ich den cerro calvario schon bestiegen habe und mir noch der Vormittag bleibt, um mich umzusehen, besuche ich natuerlich auch die Kirche, die allein schon wegen der indigenen Muttergottes ein beliebter Wallfahrtsort ist.

Die Basilika ist tatsaechlich sehenswert und erinnert mich mit ihrem grosszuegigen Vorhof an die Moscheen des arabischen Guertels von Marroko bis Damaskus. Sie muss gut beschuetzt sein, da der Altar bis zur Decke hinauf von Gold nur so leuchtet. Von meinem Bruder weiss ich, dass es nur noch ganz wenige Kirchen aus der Kolonialzeit gibt, die nicht laengst schon von einer international arbeitenden Mafia ausgeraubt worden waere.
 Das Portal ist aus massivem Holz und zeigt geschnitzte Tableaus, die etwas ueber die Geschichte Copacabanas erzaehlen. Tupac Yupanki war es, der die Aymara besiegt hat, obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen bis zum Beginn der Conquista angedauert haben.
Vor der Basilika herrscht reges Treiben. Zwischen den Marktstaenden und den mit Blumen geschmueckten Autos wieseln Schamanen mit Weihwasserwedeln umher, um die fahrbaren Untersaetze fuer die mit ihnen geplanten Reisen zu segnen.
Auch Hochzeiten loesen sich im halbstuendigen Rhythmus ab. Ich setze mich auf eine Steinbank und staune.

Heute muss Sonntag sein. Auch am See unten ist einiges los. Gelbe Tretboote mit verspielten Entenkarrosserien. Strandwuzzler. Ein fahrender Saenger spielt Yesterday auf der Quenafloete. Es gibt keine Yuka, es gibt keine Kartoffeln, es gibt nur Pommes frittes. Sind es die Touristen, die nach all dem verlangen oder glauben die Einheimischen, dass wir uns auch in der Fremde wie zuhause fuehlen wollen? Wieviel Identitaet wird ueberall fuer diesen Irrtum aufgegeben.  
Ein kleiner Bub fuehrt ein geschmuecktes Lama an der Leine. Ich lasse mich – um mich fuer euch zu verorten – mit ihm abbilden, kauf mir zur Draufgabe noch ein Miniaturschilfboot als Souvenir, obwohl ich nicht weiss, wo in aller Welt es in der an Nippes ueberbordenden Wohnung in Wien oder vorerst in meinem Rucksack Platz finden soll, und verabschiede mich mit dieser draengenden Frage von Copacabana.

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