„Was aber sollen wir bei diesem wolkenverhangenen, windkalten Regenwetter heute schon sehen“, frage ich mich, als die ersten Seen tuerkisblau und eingerahmt von schneegekroenten, aber von Wolkenschleiern verhangenen Berggipfel auftauchen. Ich will fotografieren, aber der Speicher ist voll. Wie das? Ich habe ihn doch gestern erst entladen? Dann erinnere ich mich. Die tarjeta de memoria muss noch im Kartenleser stecken, den ich mir in Castro hab kaufen muessen, weil ich Hals ueber Kopf und unausgeschlafen von Valdivia aufgebrochen war. Dann eben muss ich mit der Videokamera aufnehmen und – wenn ich wieder in Wien bin – aus den bewegten Bildern Fotos machen. Keine wirklich befriedigende Loesung. Ich fluche still vor mich hin, als mir eine Touristin aus Sueddeutschland aus der Patsche hilft und mir ihre Memorycard anbietet. Die Fotosafari ist gerettet. Eigentlich schlimm, dass alles, was ich sehe, reproduzierbar sein muss und mir die Augen als Bildspeicher fuer die Erinnerung nicht mehr genuegen. Soweit ist es gekommen, dass ich erst da war, wenn ich es mit einem Foto beweisen kann. Aber wir befinden uns im digitalen Zeitalter, und was ich eben mache, ist auch nichts anderes als ein handgeschriebenes Tagebuch durch neue Technologien in Wwwtauglichkeit zu uebersetzen.
Die Landschaft ist trotz der Wetterverhaeltnisse atemberaubend schoen und tatsaechlich so einzigartig mit ihrer andinen Tundra und ihrer Flora und Fauna, dass ich mir das on und off erspare und mit Videokamera und Fotoapparat standby bleibe.
Endlich sehe ich die Calafate in natura. Es ist ein wildwachsendes, strauchartiges Gewaechs mit gelben Blueten, das sich mit dem Hartgrasgruen und dem der Flechten und Moose mischt, die sich auch als Parasiten von den verkrueppelten Baeumen bewirten lassen.
Atemberaubend schoen auch die Mata Barrosa, eine rot-orange bluehende Pflanze, die pilzartig auf dem Tundraboden waechst.
Wir koennen leider die Torres del Paine, nadelfoermig in den Himmel gewachsene Granitfelsen, die dem Park den Namen geben, nicht sehen.
Dafuer werden wir aber von einem Regenbogen ueberrascht, der ueber einem sturmumtosten Wasserfall seine Bruecke schlaegt. Der Wind ist so stark, dass ich mich an den Felsen festhalten muss.
Der Pehue – in der Sprache der mittlerweile ausgestorbenen indigenen Bevoelkerung „der versteckte See“ ist diesmal nicht tuerkisfarben sondern blauer als der regenverhangene Himmel. Wenn die Berge fuer laengere Zeit in den Wolken bleiben, kommen die Pumas herunter ins Tal.
Pumas sehen wir zwar keinen, dafuer aber Guanacos, rehartige Tiere mit anmutigen Bewegungen, einen humuelo (Hirsch), der sich auch vom Blitzlichtgewitter nicht beeindrucken laesst, sondern wie ausgestopft im Unterholz steht. Auch einem Fuchs kann ich mich naehern, ohne dass er flieht, und ueber dem See kreisen drei Kondore mit weit ausgebreiteten Schwingen.
Mit einem Besuch in der Hoehle „Moledon“ beenden wir die Tour. Die Decke ist am Eingang 20 m hoch. Sie ist 70 Meter breit und geht 200 Meter in den Berg hinein. Ein Schwede namens Nordenskoeld hat sie erforscht und die guterhaltenen Ueberreste eines laengst ausgestorbenen Tieres mit scharfen Krallen, einem langen Schwanz und baerenartigem Aussehen aus dem Plaestozoikum gefunden. Eine Nachbildung desselben verunstaltet den Eingang.
Trotzdem lass ich mich mit dem ueberlebensgrossen Disneymelodon fotografieren.
Jetzt haette ich dir beinahe den Glacier Grey vorenthalten, dessen Zunge man nur mit einem Schiff erreicht. Hier aber am gleichgenannten See (Lagos Grey) wurden einzelne Bloecke in Ufernaehe gespuelt. Durch den Klimawandel ist er wie alle anderen auch schon ziemlich geschmolzen. Die Eisberge haben von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet immer andere Formationen und – abhaengig vom Licht der Sonne – leuchten sie fast phosphorizierend in Blautoenen, fuer die es keine Farbe gibt.
Morgen zurueck nach Punta Arenas. Hoffentlich finde ich eine Lancha, die mich ueber den Magellan nach Porvenir bringt. Nach Ushuaia werde ich es wohl kaum mehr schaffen.
Kristina
Posted at 16:20h, 24 OktoberLieber Helmut,
wie schön, zu reisen, wenn man – so wie ich – bewegungsunfähig ist! Für uns sind deine Fotos ein großes Glück, steck dir noch mehrere Karten ein!!!
Liebe Grüße
Kristina