Im Bregenzerwald

„Grüss Gott“ steht rotgestickt auf ihrer weißen Bluse und zwar genau in Höhe ihres Busens. „Grüss“ auf dem einen und „Gott“ auf dem anderen. Die Bluse muss älter als die letzte Rechtschreibreform sein, denke ich gerade, oder diese ist nur von DeutschlehrerInnen exekutiert worden oder aber – viel wahrscheinlicher – das scharfe ß war für die Stickerin eine zu große Herausforderung, wobei sie der Symmetrie wegen auf Grund der Buchstabenzahl diese Herausforderung ruhig hätte annehmen können. Das alles schießt mir durch den Kopf, als mich Grüss Gott nach meinen Wünschen fragt. Ich bestelle eine Melange. Das kennt man hier nicht. Hätte ich wissen müssen. A Kaffeele?, verbessert sie mich. Ja, ein Kaffeele. Ich bin wieder da, wo ich hergekommen und aufgewachsen bin. Im Ländle. Es isch scho nüm woahr, täte man hier sagen, solang isch des her xi. Und doch: Ich sitze in einem Landgasthaus im Bregenzerwald. Es ist Karsamstag kurz vor Mittag. Die Stube ist voll. Bis auf die Kellnerin nur Männer. Alle fast lautlos dem dort herrschenden Sport hingegeben: Fohrenburger und Jassen wie seit Menschengedenken, zumindest seit mir die Gabe des Denkens zuteil geworden ist. Man hört nur das Mischen, das Hinblättern der Karten auf den Wirtshaustisch und manchmal ein G’stochen, mehr geknurrt als gesprochen. Ich kann in das aufgefächerte Blatt eines Spielers sehen, wie ich es getan habe, als ich noch ein Kind war und meinem Großvater über die Schulter geschaut habe. Bin ich im Ländle, beschleicht mich zuweilen das Gefühl, in Zeitschleifen gefangen zu sein. Es sind noch immer die gleichen Karten mit den ländlichen Motiven aus einer Zeit, in der es noch einen König gegeben hat, Schellen und Blattwerk, Eicheln und Herzen, eine Sau, eine Ziege, Unter und Ober mit gezückten Degen und eine Frau, die auf einer Eichel sitzt: Ein durchaus erotisches Motiv, könnte man meinen. Aber schlecht ist, wer schlecht denkt, hat einmal einer allerdings auf Französisch gesagt.
Die Stimmung im Raum – man hat mich neugierig gemustert und dann vergessen, ein Fremder, der sich hierher verirrt hat und sein Kaffeele trinkt – alles erinnert mich an andere Samstage, wenn Zahltag war, und die Männer ihr sauer verdientes Geld in die Wirtshäuser brachten, um im Spiel zu vergessen und noch etwas dazu zu gewinnen zum spärlichen Lohn oder es in den verrauchten Hinterzimmern mit den niederen Kassettendecken aus Holz, die ihnen auf den Kopf zu fallen drohten, sie aber auch Demut lehrten, zu verlieren, während die Frauen am Herd standen und das zubereitete Essen immer wieder aufwärmten in der nie nachlassenden Hoffnung, dass der Mann heute vielleicht einmal eine Ausnahme macht und früher heimkommt. Ein eigener Schlag seien es, die aus dem Wald kommen. Da muss erst einer aus dem Wald kommen, hat’s in der Schule geheißen, wenn es einem von denen, die die Woche über in den meist kirchlich geführten Internaten der Kleinstadt untergebracht waren, in welcher ich aufgewachsen bin und sich der Festspiele wegen noch heute wie eine Megalopolis aufführt, gelungen ist, eine bessere Note zu bekommen, als es von den Stadtkindern erwartet worden war. Es war auch aus damaliger Sicht eine an Perfidie grenzende Anerkennung solcher Leistungen von seiten unserer Lehrer, geradeso, als wären sie zu solchen auf Grund ihrer bäuerlichen Herkunft gar nicht fähig.Und noch eine Erinnerung kommt hoch, wo ich doch gerade – eingefangen von der im. Wirtshaus herrschenden Stimmung – in eine andere Zeit gebeamt worden bin: In der Volksschule hatte ich einen jungen Lehrer, der es gewagt hat, den Frontalunterricht aufzubrechen und nicht nur das: Er hat uns die Aufsätze im Team schreiben lassen. Grund genug ihn strafversetzt in den hintersten Bregenzerwald zu verbannen. Das muss 1957 gewesen sein. Ja. Es isch scho nüm woah, solang isch des her.

Während ich mein Kaffeele schlürfe, muss ich an den mit Feigenkaffee aufgedünnten Stopfer denken, der mit Butter, Mais und Gries in großen gußeisernen Pfannen bei ständigem und stundenlangem „Stopfen“ von der Bäuerin angerichtet worden ist, an die schweigsamen Männer muss ich denken, die rund um den Tisch saßen und nach Stall rochen, weil sie schon in aller Herrgottsfrühe , wenn es draußen noch dunkel war, bei den Kühen waren; an die schwarz gekleideten Witwen, die ihre schlohweißen Haare zu Zöpfen geflochten rund um den Kopf trugen und in einem fort stickten; an die harten Bretter, auf denen man in der Kirche knien musste; an die Priester, die uns im Betstuhl aufforderten, ihnen unsere sündigen Gedanken zu beichten, um uns mit 40 Vaterunser und ebensovielen Ave Maria zu entlassen. Die Uhr vom Kirchele schlägt eben 12. Das tut sie seit den Türkenkriegen. Unweit von hier habe ich eine kunstvoll nachgebaute Miniaturausgabe eines Dorfkircheles gesehen. Ob man an die Verkleinerungs- und Verniedlichungsform „-le“ noch ein „le“ anhängen kann, um dieser Miniatur auch in der Landessprache gerecht zu werden? Jetzt aber genug des unsinnigen Grübelns und auch genug von Vergangenheit, obwohl sie hier allgegenwärtig ist. Dafür sorgen auch die schindelgedeckten Häuser und Höfe. So verwittert, dass man ihre angegrauten Schindeln bei näherem Hinsehen für die überdimensional vergrößerten und nur unter einem Elektonenmikroskop sichtbaren Schuppen eines Schmetterlinges halten könnte.

Ich will mich nun auf den Weg machen zu einem Schulfreund, denn ich bin zum Essen eingeladen von einem von jenen, die damals aus dem Wald kamen. Er hat mit Manfred Deix die Akademie besucht in Wien, ist dann aber wieder zurück gezogen in seinen Bregenzerwald und hat dort den Hof seiner Eltern übernommen, der von außen noch immer so ausschaut, wie ich ihn seit meiner Jugend in Erinnerung habe. Wir werden uns viel zu erzählen haben, denn es isch scho nüm woahr, solang isch es her xi.

Views: 12

No Comments

Post A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.