20 Sep Marseille: une reve urbain
Mit dem TGV einen kurzen Abstecher nach Grenoble gemacht, um dort meine Freunde zu besuchen, die ich 1991 kennen gelernt habe. Damals habe ich ein ganzes Jahr in dieser Stadt verbracht und quasi auf der Straße Französisch gelernt. Das reicht auch heute noch, mich verständlich zu machen, was mich immer wieder überrascht. Es gibt Freundschaften, denen die Zeit nichts anhaben kann; die – einmal geschlossen – ein Leben lang währen, auch wenn man sich mitunter Jahre nicht sieht. Es ist nicht die stehengebliebene Zeit, an die man anknüpft. Ein kurzes Update über Veränderungen, die stattgefunden haben, keine aber so schwerwiegend, dass sie ein Fortschreiben der Freundschaft verunmöglichen würde. Es sind meine Freunde, bei denen ich das Wunder der Dauer im Wandel gefunden habe.
Marseille erwartet mich mit strahlend blauem Himmel und dem gewöhnungsbedürftigen Mistral. Der Wind hat eine solche Kraft, dass er – wo er freie Bahn hat – große Müllcontainer umwerfen kann. Er bläst kalt und geht unter die Haut. Keine Stadt für passionierte Hutträger.
Noch lange habe ich nicht alles gesehen, was an Sehenswürdigem die Stadt zu bieten hat. Der Parc Langchamp zB., eine der wenigen Grünanlagen, ist ein touristisches Muss. Den auf dem Plateau errichteten Wasserspeicher, der seit 1847 die Stadt mit dem Hochquellwasser aus der Durance versorgt, ziert ein monumentaler Brunnen flankiert von einer Säulenesplanade und zwei Museen.
Im Museum der schönen Künste ließ ich es mir nicht entgehen, die Werke der Impressionisten und im mediterranen Raum groß gewordenen Maler wie Renoir, Van Gogh, Gaugain, Monet etc. anzusehen. Auf zwei Etagen eine Themenausstellung: ausschließlich Gemälde, die kleinformatig oder großflächig Meer und Küstenstriche der Province ins Bild bringen, manchmal sogar Menschen, d.h. badende Frauen, nackt, als hätte der Maler sie bei ihrem Stelldichein belauscht oder mit seinen Blicken ausgezogen und das auf 5 x 3 m im pointilistischen Stil. Quel travaill.
Nicht umsonst ist Marseille Kulturhauptstadt 2013. Es laden weitere 14 Museen zu Besuchen ein, aber ich entdecke die Stadt und ihre geschichtlichen Spuren lieber open air. Das renovierte Fort St. Jean zB. Immer wieder verblüfft mich, wie alte und neue Architektur so gut verschmelzen können, eine Fassade aus Kupfer sich mit dem Gemäuer der alten Festung verträgt, die unter dem Sonnenkönig erbaut worden ist und deren Kanonen im gegenüberliegenden Fort St. Nicolas sowohl aufs Meer als auch auf die rebellische Stadt gerichtet waren. Vom Fort aus führt eine schmale Brücke aus einer neuartigen Betonmischung, welche die Gesetze der Statik außer Kraft zu setzen scheint, hinüber zum MuCem, das für mich beeindruckendste Bauwerk der Euromed.
Im 19. Jhdt. war Marseille mit seinen 108 Seifenfabriken die mediterrane Seifenmetropole. Heute sind es noch fünf und die Seife mittlerweile regionales Kulturgut. Immer wieder entdecke ich auf meinen Streifzügen Abbildungen von Fernandel, der wie Yves Montand und Zinedine Zidane – genannt Sizou – ein Sohn der Stadt war.
Der vieux port mit seinem Meer aus Segelmasten, die sich wie Schilf im Wind wiegen, ist ein Platz, der alle Sinne anspricht. Das Getröte der auslaufenden Kreuzfahrtschiffe und Fähren, die Fischhändler, die vielen Restaurants, das bunte Völkergemisch, die Skulpturen von Dali, das dem Mistral geschuldete klare Licht an einem der 300 garantierten Sonnentage mit diesem Himmel, der das Meer spiegelt oder umgekehrt, die engen Gassen mit den vielen Stufen im schon von den Griechen besiedelten Panier, die mit alten Zeitungen beklebten Wände, die über Schnurzüge ausgehängte Wäsche, der Geruch aus den exotischen Küchen; ich bleibe dabei: Marseille ist eine Stadt zum Verlieben.
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