NY City: first impressions

DSCF1978Heute habe ich mir Auszeit genommen, um das Dauerbombardement von Eindrücken und Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten, das zu verschriften mir kaum gelingen wird. Während meine Lebensgefährtin, die zu einer Verkaufsausstellung im LOOT, dem Museum für zeitgenössische Schmuckkunst, eingeladen worden ist, ihren Stand hütet, hatte ich meine Streifzüge durch die Megalopolis begonnen. Aber der Reihe nach:

Nach elend langen Flügen in den halboffenen MRT-Kisten diverser Airlines, in denen an Schlaf nicht zu denken ist und man mit eingeschweißtem Junkfood und selbstwählbarem Unterhaltungsprogramm davon abgelenkt werden soll, wie ausgeliefert man in Wirklichkeit ist, sind wir trotz delayed flights noch am selbigen Tag gegen Mitternacht im JFK-Airport von NYK angekommen. Gegen Westen fliegend sind wir zwar nicht wirklich jünger geworden, aber immerhin gleich alt geblieben.
Noch vor der Passportkontrolle, welche die Ankunft noch einmal um eine Stunde verzögert, wird der in die USA Einreisende auf Monitoren damit unterhalten, wie ungemein schädlich Haschischkonsum ist. Männer werden zu testosteronwütigen Bestien, die über die Frauen herfallen, Kinder, deren Mütter sich dem Pot hingegeben haben, starren dich mit glasigen Augen an. Dazwischen werden Destinationen in Europa beworben. Aber daher kommen wir gerade. Endlich dürfen wir Fragen nach dem Grund unseres Aufenthaltes und nach der Höhe unseres Taschengeldes beantworten. Noch ein Gesichtsscan und Fingerprints, ein Smalltalk über Chile, dessen Stempel im Pass den Beamten zu beeindrucken scheint, und wir sind endlich angekommen.
Da wir nicht wissen, dass man sich, um ein Taxi in die Stadt zu nehmen, in eine Schlange einreihen muss, werden wir angewiesen, uns auf dem Weg über das Exit wieder hinten anzustellen. Ein Mann, der eine Abkürzung nehmen will, wird mit „You fucking asshole“ auf Kurs gebracht. Hier scheint ein rüder Ton zu herrschen.


P1110397P1110398P1110405P1110434Am nächsten Morgen – der Körper orientiert sich noch immer an MEZ – bin ich schon vor Sonnenaufgang hellwach.

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Wir sind in Brooklyn bei einer Performancekünstlerin untergebracht, die uns ihr Studio vermietet hat.

 

Ladenschluss- oder Öffnungszeiten scheint es hier nicht zu geben. Was immer man kaufen will, es ist Tag und Nacht im Angebot. Die Leute sind freundlich, helfen gerne, wenn man sich verloren hat, und lieben ein kleines Schwätzchen. Die zweistöckigen und aus rotem Klinker gefertigten Häuserzeilen haben alle einen kleinen Vorgarten, der je nach Jahreszeit und persönlichen Vorlieben der jeweiligen Bewohner so gestaltet ist, wie wir es vielleicht aus den Schrebergartensiedlungen kennen, erinnern an Straßenzüge in Belfast oder London.  Auf einer Wiese rund um eine Weißtanne grasen Plastikrehe in der Nähe eines nachgebauten Ziehbrunnens aus der Pionierzeit. Ein Mann sitzt auf der Straße und liest seelenruhig in einem Buch. Nur durch einen Zaun getrennt, haben Nachbarn den Vorplatz in einen Friedhof von Scheintoten verwandelt und warnen: They are coming for you! Dann wieder an Erntedankfest oder Halloween erinnernde Ensembles, dazwischen Grotten und in der Nacht illuminierte Statuen der Muttergottes, die von knienden Engeln angebetet wird. Natürlich darf die Flagge nirgends fehlen. Hier scheint zu gelten: Ich zeige dir meinen Garten und du weißt oder kannst vermuten, wer ich bin.

P1110538_renamed_4165P1110540_renamed_23464P1110537_renamed_20743P1110419Es ist Sonntag. Auf dem Weg zu den Brooklyn Hights geraten wir in ein Straßenfest. Kilometerweit ein einziger Flohmarkt. Dazwischen wird gegrillt, gebraten, Teig in Pizzaöfen geschaufelt: Nichts für feine Nasen. Streetbands geigen auf: Gesungen und gesprochen wird in allen Sprachen. Vornehmlich spanisch. Drei Damen mit T-Shirts, auf denen große Herzen aufgedruckt sind, lassen sich gerne von mir fotografieren. Von ihnen erfahren wir, dass hier alles „very Brooklyn sei, not like Manhattan. Gemeint ist: Weniger bourgeoise, bodenständiger. Eine Rivalität wie zwischen Favoriten und Innere Stadt, vermute ich mal, um es für mich zu übersetzen.
P1110441P1110454DSCF1987Wenige Blocks weiter und wir stehen am Ufer des East River mit dem atemberaubenden Blick auf die Skyline von Manhattan: Gotham City. In der Ferne Liberty Island mit der Freiheitsstatue, Hubschrauber, die auf der Höhe von 20 Stockwerken knatternd vorbeifliegen, um plötzlich in die Schluchten zwischen den himmelstürmenden Bauten von Babylon mit seinen 8 Millionen Einwohnern einzubiegen. In hundert Filmen Kulisse für Tellerwäschermärchen, Epen und Blutorgien, die im Mafiamilieu spielen, und nicht erst seit der Insolvenz der Lehman Brothers und wenig später 9/11 ein Ort, wo Geschichte geschrieben und für die ganze Welt entscheidend mitgeprägt worden ist.
DSCF2049Während nach dem Shutdown hier in US, um beim aktuellen Zeitgeschehen zu bleiben, hunderttausende Staatsbedienstete in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt wurden und sich in der Bevölkerung enorme Wut auf die Republikaner aufstaut, haben die Österreicher bei den Wahlen so abgestimmt, dass eine Neuauflage einer Regierung von Schwarz-Blau möglich scheint. Aus der Ferne ist gut polemisieren: Ich interpretiere den Wählerwillen dahingehend, dass die Gerichte weiterhin mit auch in Zukunft noch aufzudeckenden Korruptionsfällen beschäftigt bleiben sollen.
P1110479P1110484P1110489P1110495Auf der Brooklyn Bridge, Bauwerk eines Türinger Architekten, das 1870 als die damals längste Hängebrücke der Welt das erste Mal überschritten worden ist und den Meeresarm zwischen Brooklyn und Manhattan verbindet, wird eben für Healthcare demonstriert. Ganze Schulklassen mit LehrerInnen – jede durch andersfarbige T-shirts unterscheidbar – sind auf der Brücke unterwegs. Wir brauchen fast eine Stunde, die „Sehnsuchtsbrücke“ zu überqueren, die in das Herz von Manhattan führend den Traum von einem besseren Leben symbolisiert.
DSCF1994DSCF1995DSCF2001Wir streifen durch die Straßenschluchten und finden – nach einem Aufenthalt in einem Starbucks Coffee store (Pappbecher- und Plastikkultur ) – zum Ground Zero Memorial. Nicht noch einmal in einer Schlange anstehen. Es ist für einen Tag im September heißer als erwartet und wir sind schon Stunden unterwegs. Genug für heute. Hinunter zu einer Subway, die uns zurück bringt in die Carroll Street nach Brooklyn. Morgen ist auch noch ein Tag. Alles ist ohnehin nicht zu schaffen. P1110528P1110524P1110474Da kommt uns die Verwaltungskrise entgegen. Vieles bleibt geschlossen, weil die Staatsbediensteten keinen Lohn mehr erhalten. Lieber eine Staatskrise herbeiführen, als Obama’s healthcare auf den Weg zu bringen. Bei der Bevölkerung dürfte das aber nicht gut ankommen und könnte für die Republikaner nach hinten los gehen.

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