30 Jul Stimmungsbild aus Schwedens Norland
Das Sommerhaus von Lena und Pär auf der kleinen Insel, 60 km nördlich von Umea, und nur mit einem Boot erreichbar, lässt mit dem kleinen Gästehaus, in dem wir untergebracht sind, keine Wünsche offen. Endlich wirklich in der freien Natur. Schon die Fahrt dorthin zeigt uns ein Schweden wie aus einer Bilderbuchillustration von Carl Larsson: Wälder, soweit das Auge reicht, dazwischen ein paar falunrote Holzhäuser, ein Außenanstrich, gewonnen aus den Pigmenten vom Abraum der still gelegten Kupferminen in Falun. Sie sollten einst an die Backsteinbauten wohlhabender Bürger in den größeren Städten erinnern; eine gelungene Komplementärfarbe jedenfalls zu diesem Meer aus Grün. Da und dort ein See, in dem sich die Wolken spiegeln. Und alles in ein Licht getaucht, das kein Filter von Photoshop wiedergeben kann. Wer sich hier niedergelassen hat, muss die Natur, aber auch die Einsamkeit lieben.
Mit dem weichen Moosboden, dem grasgrünen Teppich aus Heidelbeersträuchern, den Tannen und Föhren, die zwischen den Granitfelsen ihre Wurzeln geschlagen haben, könnte die Hütte genauso gut in den Alpen stehen, würde da nicht hier und dort vertrockneter Elchkot zu finden sein, der beweist, dass diese mächtigen Tiere im Winter über das Eis gekommen sein müssen. Leider haben wir keines zu Gesicht bekommen. „Es verschlägt mir immer wieder den Atem“, meint Pär, „wenn so ein ausgewachsener Elch mit seinem schaufelartigen Geweih, das über 20 Kilo wiegen kann, plötzlich in der Lichtung steht, um nach kurzer Witterung wieder im Unterholz zu verschwinden.“
Nachdem Proviant und Wasser verstaut sind, – es gibt sogar einen mit Solarenergie betriebenen Kühlschrank, und auch auf die Übertragung der finalen WM-Spiele muss ich nicht verzichten, wie sich schnell herausstellt – erkunden wir die traumhaft schöne Insel zu Fuß und umrunden sie mit dem Kanu. Stundenlang könnte ich hier sitzen und auf das vom Wald umsäumte Wasser schauen, auf dem sich wie auf einem Theaterprospekt neben unglaublich schönen Lichtspielen in der zwar untergehenden, aber nie wirklich ganz verschwindenden Sonne, dramatische Szenen abspielen.
Eben hat eine Mantelmöwe (im Bild Canada-Gans) der Entenmutter, die mit 6 Küken friedlich ihre Runden dreht, ein Junges geraubt. Tags darauf wird sie sich nach Verlust von noch zwei Küken mit einer anderen Entenmutter zusammen tun, um so besser ihre Brut zu schützen. Jetzt zieht Nebel auf und über dem grauen Schleier, aus dem nur noch die Silhouette der Baumkronen herausragt, ziehen Kraniche, die mythenumrankten Vögel des Glücks für die Griechen der Antike, mit synchronem Flügelschlag und weithin hörbaren Signalrufen einen wasserlöslichen Tuschestrich in das jetzt fahle Blau des Himmels. Dann löst sich der Nebel auf und eingepackt in Schichten von Schweigen und einer fast prähistorisch anmutenden plötzlichen Stille offenbart sich eine märchenhafte, tolkiensche Landschaft, für die es nicht viel Fantasie braucht, um nach Sonnenuntergang und schon zu nachtschlafener Zeit Bilbo Beutlin auf seiner Reise zum Erebor zu vermuten.
Natürlich fällt Arbeit an. Feuer muss vorbereitet werden, um das Geschirr vom Vortag zu spülen, Tische und Stühle sollten neu gestrichen und vor allem Bäume, die von Blitzen getroffen, auf Haus oder Hütte fallen könnten, fachmännisch gefällt werden. Pär, der mit allen nur denkbaren Werkzeugen und Schutzkleidungen ausgerüstet ist, und einmal Waldarbeiter war, zeigt mir, wie ein Baum angeschnitten werden muss, dass er in die richtige Richtung fällt. Mein Beitrag besteht darin, so zu tun, als könnte ich helfen. Am Abend, eine Art Dämmerung, die es nicht bis zur Dunkelheit schafft, das Finale der WM auf einem finnischen Kanal: Germany gegen Argentina. Das Duell zwischen Huigin und Neuer, braucht keine Übersetzung. Für Pär ein klares Foul und Penalty. Der Schiedsrichter sieht es anders, und so wird heute noch in den Foren diskutiert, ob dieses Match nicht auch anders hätte ausgehen können und der Sieg verdient war. Was soll’s. Die WM ist vorüber und die Welt hat andere Sorgen. Auch Schweden. Lena hofft, dass bei den anstehenden Neuwahlen im September, die Sozialdemokraten gewinnen, und die von ihnen eingeleitete Energiewende fortgesetzt sowie der neoliberale Kurs mit spürbarem Sozialabbau gestoppt werden kann.
Ich sitze vor der Hütte, rauche eine letzte Selbstgedrehte vom mit 20€ noch in Stockholm erstandenen Tabak, ein Preis, der mich schon aus Kostengründen zwingen würde aufzuhören, und lausche der Stille, die nur manchmal von heiseren und vokallosen Ruftönen der hier angesiedelten Vögel unterbrochen wird. Erholung pur.
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The Hagenz
Posted at 12:38h, 05 SeptemberSehr schöne Bilder!
Anonymous
Posted at 16:03h, 04 Augustsehr sehr schön und poetisch geschrieben, lieber Helmut! Die Landschaft und Natur dort oben habe ich fast identisch erlebt….liebe grüße klaus