09 Feb O Pasatiempo in Betanzos
Betanzos liegt im Mündungsgebiet zwischen zwei schlauchartigen Flussmündungen, den galicischen Rias, in denen sich Süßwasser mit dem Meerwasser des Atlantik mischt, und hat einen schönen Stadtkern, der wie der Park “O Pasatiempo”, an aus Venezuela, Kuba oder Peru zurückgekehrte reiche Wohltäter erinnert. Landwirtschaft, Fischfang und Muschelzucht als traditionelle Wirtschaftszweige können trotz des Pilgertourismus den zyklischen Brain-out Galiciens nicht verhindern. Bis zu 3 Millionen Menschen sollen im 19. Jahrhundert das Land verlassen haben. In der jüngsten Krise hat Galicien 30.000 Arbeitsplätze verloren. Galicien gehört zu den ärmeren Regionen Spaniens. Die Arbeitslosigkeit und mit ihr einhergehende Abwanderung vor allem nach Lateinamerika, wo größere Kolonien von galicischen Auswanderern leben, ist prozentual höher als im Rest Spaniens. Es gibt viele Obdachlose, die trotz der beißenden Kälte nicht mehr untergebracht werden können, wie ein galicischer Nachrichtensender vermeldet.
Da es wie aus Gießkannen regnet, flüchten wir in eine der zahlreichen Tavernen, in denen zum aromatischen Weißwein der über den Jakobsweg aus Frankreich stammende Ziegenkäse serviert wird, und hoffen, dass der Regen bald nachlässt, um den im Reiseführer als traumhaft schönen Ort der Phantasie gerühmten enzyklopädischen Park aufzusuchen. Der Regen hat tatsächlich aufgehört und wird – als hätten wir einen Deal mit dem galicischem Wettergott ausgemacht – erst wieder einsetzen, nachdem wir “O Pasatiempo” verlassen.
Ein älterer Herr, den ich nach dem Weg frage, erzählt mir, dass er in diesen Anlagen seine zukünftige Frau das erste Mal geküsst habe, und mit ihr noch immer verheiratet sei. Er wünscht uns einen angenehmen Aufenthalt im Park und setzt – vergnügt lachend – seinen Spaziergang fort.
Der Garten, der 1893 angelegt worden war und einmal aus Labyrinthen, Kanälen, Aussichtsplätzen, Brunnen und 256 Statuen von Päpsten, römischen Kaisern und einem Zoo bestand, hat den alten Glanz eingebüßt. Dass er in den 80iger Jahren restauriert worden sein soll, straft den vor Ort vorgenommenen Augenschein Lügen. Was Ende des 19. Jahrhunderts unter Volksbildung verstanden wurde, lässt heute ob so viel Skurillität schmunzeln. Trotz oder vielleicht gerade der philantropischen Bemühungen wegen, die Parkbesucher auf Reisen in fremde Länder mitzunehmen, hat das Gelände etwas einnehmend Kindliches, Verspieltes. Möglicherweise entfaltet er seine Pracht erst in den kältefreien Monaten, wenn die Kamelien, auf deren Route wir uns befinden, zur vollen Blüte reifen, und der mediterrane Wildwuchs noch mehr vom Park Besitz nimmt.
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