Tbilisi reloaded

Wer ein Land zwei Mal bereist, kann den Blick für das schärfen, was ihm/ihr bei seiner ersten Reise nicht so augenfällig war. Das Fremde scheint plötzlich vertraut. So, wie es uns geht, wenn wir einen Menschen besser kennenlernen, nachdem wir mit ihm ins Gespräch gekommen sind, mit ihm ein paar Stunden oder Tage verbracht haben oder anfängliche Verliebtheit und Romantisierung zwar nicht in Ernüchterung umschlägt, aber wir uns trotz der entdeckten Ecken und Kanten weiter auf ihn einlassen. Die Beziehung, die wir zu Menschen herstellen, lassen sich auch auf jedes Land übertragen, das wir auf Reisen erkunden.Weil wir von unserem letzten Aufenthalt in Georgien so begeistert waren, wollten wir es noch einmal besuchen. Diesmal im Herbst und ein Jahr später.

Was sich in der Zeit zwischen Sommer 2018 und Herbst 2019 in Georgien getan hat?

Das Land hat nach umstrittenen Wahlen eine Präsidentin, die in Frankreich geboren und aufgewachsen ist. Die Menschen, die wir befragt haben, meinen. sie sei nur ins Amt gebracht worden, um nach außen hin zu signalisieren, dass Georgien ein liberales und weltoffenes Land ist. Feigenblattpolitik also. Die Hoffnung jedenfalls, dass sie sich wenigstens für Frauenrechte in der vom erzkonservativen Patriarchat der Orthodoxen Kirche dominierten Gesellschaft einsetzen würde, hat sich schnell zerschlagen. Nach wie vor wird Georgien aus dem Hin­ter­grund und ohne poli­ti­sches Mandat von einem milliardenschweren Oligarchen, dem „Mann vom Berg“, wie er wegen seines prot­zi­gen Glas­pa­las­tes hoch über der Alt­stadt von Tbi­lisi genannt wird, regiert. Ohne Iwa­nischvili, der – vom Patriarchat der orthodoxen Kirche unterstützt – die Fäden zieht, ginge gar nichts.

Davit, der uns schon bei unserer letzten Reise aufgrund seiner guten Englischkenntnisse neben Recherchen im Internet als Quelle von Information und als Seismograf für die Stimmung im Lande gedient hat, meint, dass die verfehlte Wirtschaftspolitik, die sich auch in der hohen Arbeitslosigkeit von effektiven 50% niederschlägt, und das fehlende Vertrauen in die Regierungspartei „Georgischer Traum“ für Verhältnisse sorgen, die jederzeit kippen könnten, wie es im Sommer der Fall gewesen sei.
Eingeladen von der orthodoxen Kirche Georgiens, die übrigens das Privileg der Steuerfreiheit genießt, hat ein russischer Politiker den Sitz des Parlamentspräsidenten eingenommen und die interparlamentarische Sitzung auf Russisch geführt. Das ist ein No Go und ein ziemlicher Affront und wollte von der Opposition, die schnurstracks zu Protesten (120 Verletzte) aufrief, so nicht hingenommen werden.

Die Antwort Moskau`s oder Putin`s ließ nicht lange auf sich warten und zeigte wieder einmal, wie verwundbar dieser Streifen Land ist zwischen dem Schwarzem und Kaspischem Meer. Neben einem Handelsboykott für georgische Waren wurde der Flugverkehr eingestellt und die russischen Landsleute aufgefordert, das Land umgehend zu verlassen. Die Stornierungen von gebuchten Reisen haben ein Loch in die Finanzen von Hotel- und Guesthousebetreibern gerissen. Für über 8 Millionen Russen nämlich ist Georgien ein jährlich angesagtes Reiseziel, das schon Puschkin zu würdigen und schätzen wusste. Für den Tourismus eine nicht zu vernachlässigende Größe.

Die Georgier selbst sehen es ja als ein Land, das ihnen Gott geschenkt hat, obwohl er es als Paradies für sich selbst beanspruchen wollte. Der Legende nach war er von den dort lebenden Menschen so angetan, weil sie aus purer Lebenslust und Laune Siesta hielten und die Aufteilung der Länder unter den Völkern verschlafen hatten. Ob es für die großteils arme und von Subsistenz-wirtschaft lebende Bevölkerung heute ein Märchenland ist und in den letzten hundert Jahren mit seiner von Gewalt, Terror und Willkür geprägten Geschichte war, wage ich zu bezweifeln.

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1 Comment
  • Rainer Hostnig
    Posted at 04:05h, 20 Oktober Antworten

    So lerne ich etwas über Georgien kennen. Vielleicht schaffe ich oder schaffen wir es ja auch einmal in diese Gegend,

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