Fototransformationen

Immer, wenn ich mir Fotos, Postkarten, Fotoalben und Briefe von Flohmärkten anschaue, frage ich mich, wie es dazu gekommen ist: Gab es keine Erben? Oder hatten sie den historischen oder emotionalen Bezug zu den auf den Fotos Abgebildeten und in den Briefen Adressierten verloren? Könnte es sein, dass sie nach Familienauflösungen auf den Markt gelangt sind, weil die nachfolgende Generation sie als überflüssig betrachtet hat und sie loswerden wollte? Feststeht, dass sie ein Gefühl der Wehmut wecken, weil sie uns mit Verlust konfrontieren und uns an unsre eigene Sterblichkeit erinnern.

Ich kann sie nicht vor dem Vergessen retten, aber es gibt Fotos, die mich ansprechen, die etwas in mir anrühren, die mich verführen, sie neu zu interpretieren, sie mit einer neuen Bedeutung aufzuladen. Für deren Erwerb lass ich mich auf einen Handel ein. Natürlich sollte ich dabei nicht allzu großes Interesse zeigen. Das nämlich treibt den Preis. Beim Betrachten der Fotos will ich aus den Gesichtern und Körperhaltungen die Stimmung herauslesen, in welcher sie entstanden sind, von der Kleidung auf den sozialen Status schließen, vom Arrangement in der Gruppe die familiäre Bindung, die Rangordnung entschlüsseln, sie auf ihre erzählerische Qualität abklopfen, kurz: Die Lebensumstände der abgebildeten Menschen rekonstruieren, um sie – nachdem sie mir ihre Geheimnisse verraten haben -, nach meinen Vorstellungen zu transformieren.

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