11 Sep Im Felsenwald
Am naechsten Morgen kein Kopfweh mehr, keine Schwindelgefuehle. Rainer und Rosanna erleichtert. Sonst haette Plan B realisiert werden muessen. Ein kurzes Fruehstueck. Leider keine Schafskopfsuppe, eine kraeftige Fleischbruehe, wie ich sie noch von den Busfahrten in Erinnerung habe, damals, als ich so ueberrascht war, dass eine Suppe auch ein Fruehstueck sein kann.
Die Buergermeisterin hat fuer uns den ortskundigen German Onofre Morocco frei gestellt, der Quetschua spricht und Gemeinderatsmitglied ist. Er kennt jeden Winkel, jeden Pfad, die Namen der ausgefallendsten Pflanzen, und hat Rainer schon des oefteren bei seiner Suche nach Felsbildern begleitet. Wie sich herausgestellt hat, funktioniert mein Universaladapter, den ich um 17 € gekauft habe, hier nicht. Wie soll ich jetzt die Batterien nachladen? German zaubert einen Adapter herbei, der nur 2 Soles kostet. Ungefaehr 3 Soles machen einen Dollar.
Es hat gerade mal 0 Grad und ich ziehe mir alles an, was ich an Kleidung mithabe. Wir trinken heissen Quinua: ein Saft, der aus einer hier gedeihenden Getreidesorte gemacht wird, und essen Brot dazu.
Jetzt aber heisst es anschnallen, denn es geht hinaus in die pampaartigen Landschaften des Altiplano und manchmal querfeldein, vorbei an hochauftuermenden Felsen, den Schluchten und Taelern folgend, die der Macusani in die Landschaft gegraben hat. Er entwaessert im Amazonas. Der Nebel, der ueber den Bergen haengt und unsere Sicht ziemlich beeintraechtigt, kommt aus dem tropischem Regenwald, der nur eineinhalb Stunden entfernt ist. Allmaehlich reisst die Sonne den Nebelvorhang auf und es ist alles so klar und scharf, dass es in den Augen wehtut. Immer wieder steige ich aus und baue das Stativ auf, um diese unglaublich imposante Landschaft so aufzunehmen, dass man auch vor einem Monitor sitzend nur staunen kann.
Wir steigen von Hoehle zu Hoehle und Rainer freut sich, wenn er die Felsbilder unbeschaedigt wieder vorfindet. “Einen Monat koennte ich”, sagt er, “in dieser Gegend herumstreifen und haette noch immer nicht genug. Verstehst du jetzt, warum ich auf diese Landschaft und die noch zu entdeckenden Geheimnisse so suechtig geworden bin?”
Mittlerweile hat es zu schneien begonnen. Nein: es ist feinkoerniger Hagel, der alles binnen weniger Minuten grellweiss zudeckt und sich im azurblauen Himmel spiegelt. Fast sieht es aus, als haetten wir die weite Reise umsonst gemacht. So ist der sonst so klar aus Licht und Schatten sich ergebende Eindruck, einen Wald aus Steinen, einen bosque de piedras, vor sich zu haben und sich in einer Maerchenlandschaft zu befinden, nicht zu gewinnen. Aber Rainer macht uns Mut und meint, dass die Sonne schon wieder komme. Was mich aber noch mutloser macht, ist die Aussicht, 200 m einen Hang hinauf klettern zu muessen, um auf 4700 m eine Hoehle zu besichtigen, die mein Bruder nach der Lektuere einschlaegiger Chroniken als erster wieder entdeckt hat, und einzigartige Petroglyphen und Felsbilder aufweisen soll. Da muss ich hinauf. Deswegen bin ich da. Waehrend Rainer und German hinaufwieseln, als waer`s bei uns in den Alpen, muss ich alle 5 Schritte stehen bleiben und nach Luft ringen. Ich hechle und hyperventiliere wie ein Hund. Jetzt ein Stativ aufbauen und Interviews durchfuehren zu wollen, hiesse ueber alle mir gesteckten Grenzen gehen.
Ich quaele mich hinauf, angespornt von den Zurufen meines Bruders, der nicht sagen koennen soll, dass ich schlapp gemacht habe, und moechte – ichweissnichtmehrwieoft -aufgeben. Aber ich schaffe es und nicht nur das: Ich entdecke einen Felsen mit Felsbildern, die mein Bruder uebersehen hat. Die Staette erhaelt den Namen “Helmut qaqa” , was auf Ketschua soviel wie Helmut`s Felsen heisst. Stolz auf mich und froh, es bis zur Hoehle geschafft zu haben, baue ich das Stativ auf, montiere die Kamera und lass einen ersten Blick ueber das Panorama schweifen, das einem schier den letzten Atem raubt. Die Sonne hat aufgeklart und das Weiss weggeputzt. Der Himmel woelbt sich stahlblau ueber die Schluchten und Berge, die ganz weit hinten und doch zum Greifen nah der Allin Capac mit seinem schnee- und eisbedeckten Gipfelplateau kroent.
In der Hoehle selbst, die 1905 von einem Schweden entdeckt worden ist, einzigartige Kamelidendarstellungen, Basreliefs von Menschen auf der Jagd, weiss auf russigem Schwarz oder schwarz auf kreidebleichem Grund gemischt mit Rottoenen. Rainer meint, dass hier in grauer Vorzeit auch Menschen gelebt haben muessen, was von den wenigsten Hoehlen hier angenommen werden duerfe.
Nach dem Abstieg wartet eine Indiofrau auf uns. Sie will Kokablaetter. Sie ist 97 Jahre alt, hat blaugefrorene Zehen und vom Kokakauen einen gruenfarbenen Mund ohne Zaehne. German redet auf sie ein, waehrend ich sie aufnehme. Die Hoffnung auf Kokablaetter scheint sie sehr gespraechig zu machen. Leider habe ich den Sack mit Blaettern, den mir meine Schwaegerin noch in Cusco gekauft hat, im Zimmer zurueck gelassen. Da wettert sie und ist kaum zu troesten und hoert erst auf zu schimpfen, nachdem German ihr einen Nylonsack mit Brot gibt.
Auf dem Rueckweg fahren wir an einer Schule vorbei. Ein Lehrer und Abteilungsunterricht wie bei uns in den entlegenen Alpentaelern. Die meisten ueber eine Stunde zu Fuss in die Schule unterwegs. Wie man bei dieser Kaelte dem Unterricht folgen kann, bleibt mir ein Raetsel. Die Maedchen sind schuechtern, die Buben aufgeweckt. Alle neugierig. Eine seltene Abwechslung. Auf die Frage, was sie nach der Schule gerne machen wuerden, antwortet der Lehrer: “Sie wollen alle Buergermeister werden.” Im Auto suche ich meine Digitalkamera und kann sie nicht finden. Ich suche und suche – beobachtet von den Kindern, die wie Trauben an den Fenstern haengen – und will schon vorschlagen, dass wir zurueckfahren, als mir der Lehrer die Kamera aushaendigt. Noch einmal gut gegangen. Eigentlich wollte er Dollars von uns, wie mir Rosanna verriet, nachdem wir losgefahren waren.
Auch in Isivilla, einem kleinen Bergbaudorf im Coranidistrikt, besuchen wir eine Schule. Mein Bruder bittet den dort unterrichtenden Lehrer uns die Fundstuecke zu zeigen, die uns eine Vorstellung von dem geben koennen, wie, wovon und womit die Menschen, welche uns die Felsbilder hinterliessen, in grauer Vorzeit gelebt haben.
Jetzt wurde es langsam dunkel und wir machten uns auf den Nachhauseweg nach Macusani. German hat mir versprochen, dass er die Vertreter der “rondas campesinas” vor die Kamera bringen will. Ausserdem habe ich noch vor, bei Solex Resources vorbeizuschauen. Was mir noch an wichtigem Bild-und Tondokumenten fehlt, sind Aufnahmen von den Schaechten, den Bohrmaschinen und Drainagen und Bergbauarbeitern. Vielleicht kann ich vor Ort besser zeigen, worum es beim Urantagbau geht.
Niemand schien sich allerdings an mich erinnern zu wollen, obwohl die Ingenieure doch via Mail auf mein Kommen vorbereitet haetten sein muessen. Ich soll Morgen um 8 Uhr wieder vorbei kommen. Bis dahin haetten sie mit Leon Arnaldo, dem Chef, den ich in Lima interviewt hatte, Kontakt aufgenommen.
Das Interview mit den Vertretern der rondas campesinas gestaltet sich schwieriger als erwartet. Wir sitzen gerade bei der Suppe, als German mich bittet zu kommen, da sie nun alle da seien. Im Zimmer der Herberge war an eine Aufnahme schon wegen des Hoellenlaerms nicht zu denken. Als ich dann aber vorschlug, die Interviews im Rathaus durchzufuehren, wollten sie sich unbedingt umziehen gehen und in ihren traditionellen Trachten erscheinen. Das taten sie denn auch und sassen aufgereiht wie auf einer Schulbank erwartungsvoll mir gegenueber. Leider hab ich kein Foto gemacht, weil ich mit dem Aufbau des Stativs und der Montage der Mikrophone so in Anspruch genommen war. Es war ihnen ein grosses Anliegen, uns von ihren Sorgen und Aengsten zu berichten. Nie noch haette ein Urantagbau in Peru stattgefunden und sie wuessten die Gefahren nicht einzuschaetzen. Dazu kommt, dass sie auf ihre eigenen Leute kaum mehr Einfluss nehmen koennten, da die Bergbaufirmen einen gegen den anderen ausspiele und mit Geld und dem Versprechen auf gewinntraechtige Arbeit fuer sich gewinne. Die einzige Hoffnung, die sie haetten, sei, dass man nicht nur landesweit, sondern vielleicht auch international etwas ueber die grossartige Landschaft, die Felsbilder und den Felsenwald erfahre, der fuer sie mit dem Weideland zur Existenzgrundlage gehoere, die durch den Urantagbau gefaehrdet sei.
Was fuer ein Tag. Ich werde noch lange brauchen, um all die Eindruecke auch wirklich zu verarbeiten. Morgen geht es zurueck nach Cusco. , weil mein Bruder wieder nach La Paz muss. Aus Bolivien hoeren wir nichts Gutes. 16 Tote bei Auseinandersetzungen in Pando, einer der abtruennigen Provinzen in der Media Luna. Noch gab Morales nicht Befehl militaerisch einzugreifen und den Ausnahmezustand zu verhaengen. Aber alles scheint auf Messers Schneide.
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