30 Aug Tetova: Ein Stadtportrait
War ein spannender Workshop, den mit albanischstämmigen Germanistik- StudentInnen an der Uni in Tetovo/Mazedonien zu halten, ich eingeladen worden bin. Das Setting war hochexplosiv: Ich konfrontiert mit StudentInnen, die noch an der Besa festhalten, der Ehre, für die sie noch heute in den Tod gehen würden, gefangen in einem System von Normen, die in unseren Breiten vor hundert Jahren vielleicht Gültigkeit hatten, ahnungslos an alle nur denkbaren Tabus rüttelnd, indem ich zB. das Radiofeature mit einem Muezzin beginnen lasse und mit einer Lied-Überblendung arbeite, bei der sich ein Mädchen über Treulosigkeit und Betrug beklagt, was beim des Albanischen mächtigen Hörer den Verdacht entstehen lässt, dass der Immam gemeint ist. Nicht nur habe ich – der Sprache nicht mächtig – die falsche Stelle ausgesucht, ich habe darüber hinaus das Sakrileg begangen, dem Immam beim Gebet ins Wort zu fallen. Wenn es nicht Entsetzen war, das sich in den Gesichtern gespiegelt hat, als ich ihnen diese Stelle vorgespielt habe, dann war es große Fassungslosigkeit. Den Moderationstexten gingen oft stundenlange Diskussionen voraus, da zuerst einmal geklärt werden musste, was die StudentInnen und ich unter bestimmten Begriffen verstehen.
Gilt zB. die Auseinandersetzung zwischen albanischen UCK-Patrioten und mazedonischen Einheiten im Jahre 2001 als Krieg oder als ein Scharmützel oder Konflikt zwischen gegnerischen Parteien? Wie hoch muss ein Bevölkerungsanteil einer Ethnie sein, um nicht mehr als Minderheit zu gelten, um nur zwei Beispiele anzuführen? Manchmal war ein Konsens möglich, manchmal habe ich mich in Unkenntnis der Gegebenheiten verführen lassen, das für allgemeingültige Wahrheit zu halten, was von anderen aus deren Sicht ganz anders gesehen wird. Trotzdem ist es mir gelungen, nicht nur das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen, sondern sie auch auf die vielen Möglichkeiten der Manipulation aufmerksam zu machen, die Arbeit mit Medien ermöglicht. So ist ein wenngleich sehr subjektiver Radiobeitrag aus der Sicht albanisch-stämmiger StudentInnen entstanden, der an manchen Stellen vielleicht journalistische Sorgfaltspflicht vermissen lässt, der es aber trotzdem wert ist, gehört zu werden.
Ich werde diese Woche und die mehr als gastfreundliche Aufnahme, die ich bei den Jugendlichen gefunden habe, nie vergessen. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle RedakteurInnen und an Fr.Mag.Reitner.
„Nach meiner Ansicht“, schrieb mir ein Freund, „müssen Radiosendungen nicht „objektiv“ und „ausgeglichen“ sein – es sollte nur erkennbar sein, wer da die Botschaft schickt und dass das eben diese Sichtweise ist. Besser zwei oder mehr persönliche Sichtweisen als eine scheinbar objektive. grad bei Themen, die mensch nicht so direkt verfolgt, ist ja die Übersicht nicht leicht zu bewahren und die Botschaft daher schwer zu verorten. also falls du da aus deinen Recherchen was im Kommentar oder in der Einleitung unterbringst, wäre es sicherlich hilfreich.“
Damit niemand unterstellen kann, dass alles, was in der Radiosendung, behauptet wurde, nicht wenigstens im Anhang kritisch hinterfragt wird, hier einige Bedenken und Korrekturen derer, die sich den Beitrag schon angehört haben und die Hintergründe vor Ort kennen:
1) Tetovo hat in etwa 89 952 Einwohner (www.stat.gov.mk), davon 70,32 % Albaner, 23,16% Mazedonier, 2,7% Roma, 2,1% Türken, plus Vlachen, Bosnier… (Die Zahl 200 000 bezieht sich auf die Einwohnerzahl plus der umliegenden Gemeinden!! Das wird aber nicht dazu gesagt.)
2) Der Anteil von Albanern an der mazedonischen Bevölkerung beträgt laut letztem Zensus 2002 und die Volkszählung erfolgte schließlich auch im Beisein internationaler Beobachter (was natürlich nicht heißt, dass alles korrekt abgelaufen ist) an die 25%.
3)Das Ochridabkommen wird im Beitrag überhaupt nicht erklärt, nur dass „es“ nicht umgesetzt wurde. Und das ist einfach falsch!: Es wurde eine umfassende Dezentralisierung der Verwaltung und gleichzeitig eine große Gebietsreform beschlossen, die größere Verwaltungseinheiten geschaffen hat (ursprünglich 186 wurden zu 80 Kommunen zusammengefasst) Einige der Verwaltungseinheiten wie z. B. Struga wurden so mehrheitlich albanisch. Den Gemeinden ist damit ein Selbstbestimmungsrecht zuerkannt worden!! Wie auch Tetovo!!(Magistrat, Schulen, Polizei,…) Ab einem Bevölkerungsanteil von 20% müssen die Behörden zweisprachig geführt werden.
Jedes Kind hat seit dem Ochridabkommmen das Recht, in seiner Muttersprache unterrichtet zu werden. Das war vor dem Abkommen nicht der Fall! Auch unsere Universität wurde im Zuge dessen erst staatlich anerkannt!! (fatale Folge: noch mehr Abschottung auf beiden Seiten, denn für gemischtsprachige Kindergärten und Schulen fehlt auf beiden Seiten der politische Wille) 30% der behördlichen Stellen müssen auf Staatsebene mit Albanern, bzw. Angehörigen anderer Minderheiten besetzt sein.
Natürlich gibt es Mängel und Defizite bei der Umsetzung, aber man kann nicht sagen: Es wurde nicht implementiert. !!!!! Warum feiern es denn die Albaner dann, während es den Mazedoniern ein Dorn im Auge ist????
4)Die Aussage, dass 80% der Mazedonier, aber im Gegensatz dazu nur 20% der Albaner nach dem Studium (oder Schule?)einen Job bekämen, ist wirklich ein Hohn für die vielen jungen arbeitslosen Mazedonier. 52% der Arbeitslosen in Mazedonien sind Jugendliche.
Die Aussage von dem Rapper wurde übrigens falsch übersetzt: Er sagte „Ungerechtigkeit“ im Zusammenhang mit dem Arbeitslosigkeitsproblem, aber es wurde mit „Diskriminierung“ übersetzt. Im Grunde leiden die albanisch-stämmigen Jugendlichen unter den gleichen Problemen wie die mazedonischen.
Die wirtschaftliche Misere wird immer dramatischer, und zwar für alle, doch die Politiker instrumentalisieren und perpetuieren die (historisch begründeten) Ressentiments und spielen immer wieder zu ihren Zwecken die ethnische Karte aus. Es ist ein sehr gefährliches Spiel.
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