Auf der Mittergutniggalm

icon_media_audioWer heizen  müssen will mitten im Sommer, wenn in der Stadt die Hitze des Tages sich in den Wänden speichert und dir auch in der Nacht schier den Atem raubt, dem sei ein Almaufenthalt auf 1700 m Seehöhe empfohlen. Am Talende von Innervillgraten in Osttirol liegt die von Lärchenwäldern und blühenden Futterwiesen eingesäumte Mittergutnigghütte, einen Steinwurf entfernt von P1000325der Alfenalm, den der Regisseur Joe Baier wegen der landschaftlichen Schönheit und der im Original erhaltenen Gebäude als Drehort für das Filmdrama “Schwabenkinder” genutzt hat. Von hier aus können grenzüberschreitende Wanderungen über die Jöcher und Grate in die Hochregion der das Tal mit seinen Rippen und Rinnen wie eine Muschel einschließenden Berge unternommen werden; Es braucht gute Schuhe, Trittfestigkeit und eine an Masochismus grenzende Veranlagung, um die schon zu Napoleons Zeiten steilen Schmuggelpfade hinauf auf die Jöcher und hinüber ins “Welschland” zu meistern.

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Mittergutnigghütte

Wer sich zum überaus kargen Leben, von dem wir heute kaum mehr eine Vorstellung haben, ein Zubrot verdienen wollte (getun aus Neet – aus Not getan), “schwerzte” über die confines de stato Vieh gegen weißes Salz, Tabak und Zucker gegen Polenta und Reis, Rindshaut gegen Halbschuhe, was im Rotwelsch der Gaunersprache so viel heißt, wie etwas in der Nacht tun (Schwarzhandel). Nicht erst zu Napoleons Zeiten (1809 bis 1814), in welchen sich das Tal plötzlich im Dreiländereck befand, herrschte bittere Not: Hafer, Gerste und Flachs konnte den Bedarf kaum decken, auch mit Viehwirtschaft ist es heute noch schwer als Kleinbauer zu überleben. Was früher der Zehent oder Natural- und dann der Pachtzins der Schwaighöfe war, der an die Grundherrschaft (Kirche und Adel) entrichtet werden musste, war später und bis zum Anschluss Österreichs 1938 an das nationalsozialistische Deutschland die Verschuldung der Gehöfte beim Staat und den Banken. Schon aus diesem Grund, erzählen Maria und Josef Bachmann, die ich über das Bergbauernleben ausgefragt habe, waren die Bauern glühende Nazianhänger, weil Hitler die Höfe von den Hypotheken befreit hat.
Wer die manchmal über 45 Grad steilen Bergwiesen gesehen hat, auf denen Frauen und Männer in der sengenden Hitze das Heu wenden, muss ihnen Respekt zollen. Maria Bachmann trägt heute noch eine Gretlfrisur: zwei Zöpfe, die um den Kopf geschlungen früher dazu dienten, die Riedl (9 Litermilchkannen) von der Alm ins Tal zu tragen. Da durfte kein Tropfen verloren gehen. Milch war kostbar. Käse über das Euter von Rind, Schaf und Ziege sicherte das Überleben. Käse und Brot war die Mahlzeit auf dem Feld; Suppen und Mehlspeisen wurden mit Käse und Zieger zubereitet. Fleisch gab es lediglich zu besonderen Anlässen.
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Urlaub? Beide lachen. Urlaub gibt es keinen für uns Kleinbauern. Es gibt immer was zu tun. Das können wir uns nicht leisten. Wir haben nicht viel Welt gesehen. Wetter und Jahreszeit: das sind unsre Arbeitgeber.
Boll ma koan Raam hot
konn ma nit rührn
wenn ma kan knecht hot
bleibt oam koa Diarn

P1000355Nach diesem historischen Diskurs wieder zurück auf den Weg zum Pfannhorn, das auf 2600 m Seehöhe liegt. Eine Rast erlaubt Atemholen und macht einen schweißfreien Blick auf die Schönheit der Alpennatur möglich. Immer wieder bereue ich es, das reiche Wissen meiner Mutter über die Alpenflora, die Blumen und Kräuter und ihre Anwendung als Heilmittel nicht angezapft zu haben, als ich noch ein Kind und mit ihr in den Wäldern und Bergen des Bregenzerwaldes unterwegs war. Ich bin froh, wenigstens ein paar mit Namen zu kennen: Noch befinden wir uns auf Baumhöhe. Die Lärchen sind heute noch wertvolles Bauholz. Zirben, die es hier auch geben soll und bis zu 1000 Jahre alt werden, können wir keine entdecken. Das Harz dieser Nadelhölzer wurde nicht nur zur Seifengewinnung, zum Abdichten von Fässern, sondern wie auch die Arnika, von denen die Bergwiesen voll sind, als Venetianisches Terpentin und Heilmittel verwendet. Die Harznutzung durch Anbohren der Rinde schadete allerdings den sogenannten Amtswäldern sosehr, dass sie und das Schüsseldrehen aus Zirbenholz per Erlass schon 1532 verboten waren. Übrigens verfüge ich über dieses Wissen erst, nachdem wir uns – angeregt von der Umgebung und unserem Wunsch, mehr über diese Region und seine Geschichte zu erfahren – das Buch von Anton Draxl “Über die Jöcher” gekauft hatten. Noch immer – oder immer wieder, wenn wir Pause machen und das, je höher wir steigen, immer öfter – bestaunen wir die Vielfalt der Flora. In das Gelb von Arnika, Ringelblumen, Huflattich und Sonnenröschen mischt sich das Weiß von Wollgarbe, Maßliebchen und Schierling, das Violett von Klee und Alpendistel, das Blau von Eisenhut und Glockenblume: ein bunter, würziger Teppich von Heilpflanzen aus Gottes Apotheke.
P1000390Nach und nach wird das Grün von buntscheckigem Gestein abgelöst, auf dem Flechten ihr Dasein fristen; diese einzigartigen Zwitterwesen aus Alge und Pilz, die wie das Satelittenbild gelbschwarzer Landschaften aussehen. Murmeltiere haben hier ihre tiefen Behausungen gegraben. Über uns zieht eine Dohle ihre Kreise, nach Beute Ausschau haltend. In einer Senke weiden Kühe, und ich frage mich, wie sie den Weg hier herauf geschafft haben, und wie das gewesen sein muss, das Vieh bei Nacht über diese steilen Pfade zu treiben.
Einmal oben angekommen wird man für all die unternommene Mühe mit einem P1000471Panorama entschädigt, das einem kurz den Atem verschlägt. Hier scheiden sich die Wasser zur Adria und über Drau und Donau ins Schwarze Meer. Es tropft und gluckst, rieselt und sprudelt und rauscht in der von der letzten Eiszeit geschliffenen Bergwelt: Schauplatz der grausamen Gebirgskämpfe im 1. Weltkrieg, von denen heute noch die Wehranlagen Zeugnis ablegen; über den Kamm des Bonner Höhenweges flogen die Bomberstaffeln der Alliierten, hat uns Markus berichtet, der mit seinen Eltern und 4 Geschwistern die Sommermonate noch als Kind auf der Alm zugebracht hat. Heute Alpenidylle pur für uns Touristen. Damals und heute aber noch immer seit “unfürdenklicher Zeit” ein Ringen mit der Natur für die Einheimischen, den Alpenromanen, die hier oder auf der anderen Seite Wurzeln geschlagen haben. “Beide durch die Dürftigkeit der Täler zum Handel genötigt. legen sie die nämliche Geschliffenheit des Benehmens, die nämliche Beweglichkeit der wohlredenden Zunge, den nämlichen Hinterhalt (zurückhalten) des Gedankens, aber die gleiche Ehrlichkeit, Genügsamkeit und Arbeitsamkeit an den Tag.” (zitiert aus Beda Weber: Das Land Tirol. – Das Handbuch für Reisende, 3.Band 1838) An die kantige Sprache, die sich anhört, als würde der Sprechende eine Kartoffel kauen, und in der Lautstärke tut, als wäre der Zuhörer schwerhörig, muss man sich erst gewöhnen. Die Osttiroler aber sind nach unserer Erfahrung ein freundlicher Menschenschlag. Dass sie auch anders sein können, zeigt das Alpendrama um den Wilderer Pius Walder, dessen Grabinschrift sich wie eine Mordanklage liest; hier der Text: “Am 8.12. 1982 von zwei Jägern aus der Nachbarschaft kaltblütig und gezielt erschossen und vom 8.Schuss tödlich in den Hinterkopf getroffen!” Seine Brüder haben ewige Rache geschworen. Bombendrohungen, Beleidigungen, ein abgewatschter Pfarrer, Auftritte im ORF halten die Geschichte am Köcheln.

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Wer die ganze Geschichte aus der Sicht eines Einheimischen wissen will und auch, wie das Leben hier früher war, der möge sich das Interview anhören, das ich mit den Besitzern der Almhütte, mit Sohn und Eltern geführt habe.

P1000407Das Grab fanden wir auf dem Friedhof von Kalkstein, dem letzten Dorf im Tal nach Innervillgraten, das mit einer schönen Wallfahrtskirche aufwarten kann. Auf einer Inschrift erfahren wir außerdem, dass Kalkstein 1634 von der aus Messina eingeschleppten Pest fast ausgestorben war. 1951 ging eine 11 m hohe Lawine über das Dorf und riss die Mühle mit. Die Pfarrei ziert auf P1000406der Rückseite das heraldische Symbol des Ständestaates; der Doppeladler ohne Sichel und Hammer, die Adlerköpfe nimbiert, um die christlich-katholische Orientierung des Ständestaates zu dokumentieren. P1000417
Von 1934 bis 1938 war das Kruckenkreuz Staatswappen und Symbol der Vaterländischen Front, die mit der Niederschlagung des Schutzbundes in den Februarkämpfen 1934 den Anschluss an das Naziregime vorzubereiten geholfen hat. Das allerdings wird auch durch beigefügte Erklärung für das Anbringen dieses Symboles mit keinem Wort erwähnt.

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