Von und über Blech reden

Ein Flaschner Meister und sein Handwerk in der Denkmalpflege

Noch gibt es sie: Dachlandschaften ohne Solarstromanlagen. Wenn der Flaschner Meister Wolfgang Huber bei heiterem Himmel in Turmhöhe seilgesichert über die Dächer und Fassaden hinaus in die Landschaft schaut, dann hinauf zu den von Umwelteinflüssen seit Jahrhunderten resedagrün eingefärbten Kuppeln, Lüftungsgaupen, Turmhelmen oder Laternen, unter deren Gestühl gleich die Glocke schlagen wird, könnte er vor Freude jauchzen.

Er lässt seinen durch Erfahrung geschulten Blick über die Blecheindeckung schweifen, sieht die durch Falze und Nieten von Berufskollegen im Mittelalter kunstvoll gefertigten Verbindungen in den Blechkassetten, „liest“ das zu Rettende und macht eine erste Bestandsaufnahme der Bauschäden. Mit Bewunderung für die von Kupferhammerschmieden und Flaschnern vor Jahrhunderten geleistete Arbeit erkennt er feine Details: Kreuzförmige Abdrücke der Schmiedehammerfinne zum Beispiel, die zu einer Schnecke aufgerollten Rollnieten, Zink- oder Kupferblechflächen, die sich zu Kissen aufgewölbt haben; er weiß, ob sie geschmiedet oder gewalzt wurden; er sieht an der Struktur der Bleche ihre Stärke und Biegbarkeit; an den unterschiedlichen Färbungen der Patina kann er – abhängig von den am Bewitterungsort herrschenden atmosphärischen Bedingungen – feststellen, wo Wind und Wetter, aber auch der Salz- oder Schadstoffgehalt der Luft den Eindeckungen aus Kupfer, Zink und Blei am meisten zugesetzt haben.
Er verschafft sich Gewissheit über die Signatur, die seine Vorgänger hinterlassen haben und sieht sich als Nachfolger einer Zunft, deren handwerkliche Erzeugnisse von Händen herrührt, deren Fertigkeit sie geprägt haben. Ergriffen von der Gegenwart der Vergangenheit lässt er noch einmal seine Blicke schweifen und sieht im Ensemble mit den Turmspitzen und Firstabdeckungen, Dach- und Kehlrinnen lebendige Dachlandschaften, die den Raum rhythmisieren und eine einzigartige Stimmung schaffen. Für ihn, den Flaschner-Meister, sind all die Metallverkleidungen auf Türmen, Kuppeln und Fassaden historischer oder profaner Bauwerke handwerkliche Meisterleistungen, die durch ihre Verarbeitung und Alterung ihre eigene Geschichte erzählen, und ihm, weil er sie zu lesen versteht, die Geheimnisse traditioneller Blecheindeckungen preisgeben. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Noch lange nicht. Aber der erste Schritt ist getan.


Hier oben – dem Himmel nah – weiß er, dass er die richtige Wahl getroffen hat, als er vor vielen Jahren in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters und derer getreten ist, die das Familienunternehmen der Flaschnerei-Huber in Kißlegg, einem Flecken im Württembergischen Allgäu, 1850 gegründet hatten.
Werdegang vom Flaschner-Meister zum Denkmalpfleger für historische Dacheindeckungen
Obwohl Wolfgang Huber schon als Kind auf den Baustellen war und in der Werkstatt seinem Vater zugeschaut hat, war es alles andere als gesichert, ob er das Erbe übernehmen, die lange Tradition der Blechbearbeitung und somit den Familienbetrieb weiterführen wird.

Begonnen hat seine Reise als leidenschaftlicher Denkmalpfleger mit dem Auftrag, die Sanierung des Südturmes der Basilika Weingarten und dann der Hauptkuppel vorzunehmen: Einer Arbeit, die 10 Jahre in Anspruch nahm, – immerhin ist sie mit 650 qm geschmiedeten Blechen die größte weltweit. Bei diesem Einsatz sammelte Wolfgang Huber erste Erfahrungen mit der Instandsetzung historischer Kupfereindeckungen und kann sich seither keine schönere Arbeit als fachgerechte Denkmalpflege vorstellen.
Denkmalpflege ist Teamarbeit.
„Im Idealfall“, meint Wolfgang Huber in einem Interview, das der Autor mit ihm geführt hat, um sich mit seiner Begriffswelt vertraut zu machen, „dokumentiert ein und dasselbe Team den gesamten Prozess ausgehend von der Zustandserhebung über die baubegleitende Erhebung bis hin zur Schlussdokumentation. Mit den Spenglern oder Flaschnern müssen Steinmetze, Tischler, Schmiede, Glaser, aber vor allem Zimmerer und Dachdecker eng zusammenarbeiten und sich untereinander abstimmen. Maurer und Stuckateure sorgen für die richtigen Überstände bei den Tropfkanten, damit kein Schaden am Gebäude entstehen kann. Mr stehen neben angestellten Flaschner-Gesellen und Auszubildenden sowohl mein Bruder, aber noch immer auch mein betagter Vater zur Seite.
Unser Know-how über die unterschiedlichen Arten der Blechbearbeitung trägt dazu bei, dass die historischen Blechverkleidungen den spezifischen Anforderungen weiterhin standhalten. Falzen, Löten und Schweißen sind gängige Techniken, um die Bleche passgenau zu formen und robust zu verbinden und so für eine dauerhafte Dichtheit zu sorgen. Wie oft sehe ich bei der Befundung von historischen Baudenkmälern brachiale Eingriffe in bauzeitliche Substanz durch unsachgemäß ausgeführte Reparaturen. Da werden Reparaturbleche über die entdeckten Schäden aufgenietet oder mit Silikon verklebt, die das Ausdehnungsverhalten der Bleicheindeckung behindern, Falzleisten nicht verlötet, Nagellöcher nicht abgedichtet, was zu Wassereintritt und zu noch größeren Schäden führt.“

Dokumentation von Schadensmängeln.

Durch kartografierte Befundung von Schäden, die als Planungsgrundlage für Sanierung und Kostenfindung bei historischen Gebäuden, Kirchen, Klöstern und anderen sakralen Gebäuden Voraussetzung ist – Auftraggeber sind meistens Diözesen, Bundes- oder Landesdenkmalämter, Pfarrgemeinden oder Gemeinden – hat sich Wolfgang Huber durch seine jahrelange Tätigkeit ein Fachwissen angeeignet, das im deutschsprachigen Raum seines-gleichen sucht.
Im Umkreis von 400 km, wo im Süden Deutschlands und in den Nachbarregionen Österreichs der Barock eine bedeutende kulturelle und architektonische Spur hinterlassen hat, ist seine Expertise gefragt. In Workshops und Vorträgen versucht er, nicht nur Auftraggeber, sondern vor allem BerufskollegInnen für die sorgfältige Instandsetzung historischer Blecheindeckungen zu sensibilisieren.
Die Dächer, Türme, Vierungskuppeln, Laternen und Fassaden historischer und moderner Bauwerke sind Wolfgang Hubers ganze Welt. Dort ist er zuhause wie nirgends sonst. Zu seinen Tätigkeiten gehört neben vielen anderen, genaues Maß zu nehmen, um sicherzustellen, dass das Material auf die richtige Größe und Form geschnitten wird, die Kenntnis von der Oberflächenbehandlung oder – veredelung, um ein vom Auftraggeber oder durch Sehgewohnheiten vorgegebenes Erscheinung-sbild zu erzielen, und eine sorgfältige Ausführung sauberer Verbindungen für die Bleche und Blechkassetten beim Falzen oder Anbringen von Schweißnähten bei den Turm- und Dacheindeckungen der Sakralbauten. Auch die Anfertigung und Montage oder Reparatur von Dachtraufen, Traufbelüftungen, Dachrinnen und Wasserspeiern zur Ableitung des Regenwassers gehört zu seinem Arbeitsgebiet.

Von seiner Leidenschaft für das Blech und seine vielfältigen Erscheinungsformen zeugen auch seine Fotoaufnahmen.

Da können im Auge des Betrachtenden allein durch die Sichtbarmachung von Oberflächenstruktur der Bleche ganze Landschaften in den Blick kommen, sich reseda- bis moosgrüne Bleche zu Meereswellen aufwerfen, die heranbranden und an den Kanten brechen.

Nicht umsonst gibt es den Begriff der Blechwelligkeit, die bei Oberflächenspannungen auftritt und meist von unsachgemäßen Fertigungspraktiken erzählen oder durch Materialmüdigkeit entstehen. Wolfgang Huber sieht diese Bleche in allen Jahreszeiten: Er sieht sie, wenn der Schnee die Bleche unter ihrer Last begräbt oder wie weißes Pulver beschichtet, Eiszapfen an den Kanten hängen, die im Tauwetter abtropfen, sich das Blech durch die Sonneneinstrahlung so erhitzt, dass es einem die Haut schält, falls man mit ihm in Berührung kommt. Der Flaschner Meister Wolfgang Huber weiß, dass seine Vorfahren ohne Maschinen und Bauchemie auskamen und bewundert die von Hand geschmiedeten Tafelbleche, die heute noch immer ihre Funktion erfüllen. Er sieht sie tagein tagaus und kann und wird sich an den Blechen nicht sattsehen. Das steht für ihn fest.
Fragen zur Denkmalpflege
Wie wichtig ist die Wiedererkennung nach einer Renovierung? Wo bleibt die Authentizität, wenn z.B. die gesäuberten Fenster mehr Licht durchlassen, nachdem die Mauern in den Innenräumen der Notre Dame vom Ruß des Feuers und dem Dreck der Jahrhunderte befreit werden?
Ist es notwendig, 2000 Eichen zu fällen, um das Dachgestühl nach Originalplänen wieder nachzubauen? Darf Glas und Stahl verwendet werden? Wie wichtig sind die grünen Kuppeln des Stiftes Melk, um in der Region zu bleiben? Alles Fragen, die diskutiert werden müssen. Alles Fragen, die sich auch Wolfgang Huber stellt, wenn er einen neuen Auftrag übernimmt.

Wie entsteht Patina? Niemand ist berufener, diese Frage zu beantworten, wird er doch auch in Österreich zu Tagungen im Weiterbildungszentrum der Denkmalpflege der Kartause Mauerbach in NÖ eingeladen, um dort sein Wissen um die in Altbauten verwendeten Materialien und ihrer Verarbeitung für die authentische Erhaltung der Denkmale weiterzugeben.
Wolfgang Huber zur Entstehung von Patina:
Um die elektrochemische Patinierung von Blechen zu erzielen, die wegen fehlender Oxydierung durch Umweltschadstoffe wie z.B. Schwefeldioxid nicht mehr stattfindet, wird mit Natriumhydrogenkarbid nachgeholfen und eine Schutzschicht auf der Metalloberfläche angebracht und nach der Trocknung versiegelt: – ein Verfahren, das viel Übung verlangt, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen und unsere Sehgewohnheiten zu bedienen: Ein Kupferdach, das nicht grün ist, kann nicht alt sein. Es ist wie mit einem antiquarisch erstandenen Buch: Je vergilbter die Seiten, umso älter und bedeutsamer, d.h. wertvoller muss es sein.“
Er weiß, dass Kompromisse gefunden werden müssen. Jeder Auftrag eine Herausforderung. Jeder Auftrag aber auch eine neue Erfahrung, die er nicht missen will und in Summe jeden Aufwand rechtfertigen, wenn es um den Erhalt von jahrhundertealtem Kulturgut geht.
„In allen diesen Berufen sollten bei Pflege und Erhaltung der Kupferdächer die Handwerker mit historischen Handwerkstechniken vertraut sein und um die Wertigkeit der historischen Bleche wissen, die vom Mittelalter bis zum Biedermeier von Kupfer- und/oder Hammerschmieden im Schmiedeverfahren hergestellt wurden.

Für Wolfgang Huber legen sie von Fertigkeiten Zeugnis ab, die nicht verloren gehen dürfen. Deshalb bereitet ihm der fehlende Nachwuchs große Sorge: „Spengler oder Flaschner sind mittlerweile aussterbende Berufe. Zimmerer und Dachdecker haben in weiten Teilen Deutschlands das Berufsbild des Flaschner-Handwerks übernommen. Einerseits können durch die Integration von Fertigkeiten Arbeitsprozesse möglicherweise effizienter gestaltet, vielleicht durch Vielseitigkeit eine breitere Palette von Bau- und Renovierungsarbeiten abgedeckt werden, andererseits könnten“ – so gibt Wolfgang Huber zu bedenken – „nicht nur die spezifischen Fertigkeiten und Kenntnisse des Flaschners und damit ein Teil der Handwerksgeschichte und -kultur verloren gehen, sondern“ – darin sieht der Flaschner Meister die größte Gefahr – „die Qualität z. B. von Denkmalpflege leiden, wenn Handwerker und Handwerkerinnen nicht entsprechend geschult und ausgebildet werden.“
Die Aus- und Fortbildung endet nicht nach der Lehre. Wer weiß das besser als er, der täglich als auf Denkmalschutz spezialisierter Flaschner mit neuen Herausforderungen konfrontiert ist. Die gewonnenen Erfahrungen weiterzugeben, das Handwerk historischer Blechbearbeitung nicht aussterben zu lassen, ist ihm daher ein großes Anliegen. Handwerk hat goldenen Boden, hat es lange geheißen. Wie aber kommt es dann zu diesem eklatanten Fachkräftemangel auch in den Bauberufen? Wer wird einmal sein Erbe antreten? Auch das treibt ihn um.
Beispiele für Denkmalpflege historischer Baudenkmäler
Es ist hier nicht Platz für die Aufzählung aller denkmalpflegenden Projekte, welche die Flaschnerei Huber in den letzten Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt hat. An drei Beispielen aber soll ausgeführt werden, worin die besonderen Herausforderungen bestanden, gegen welche Widerstände die Realisierung erkämpft wurde, aber auch, worin der Reiz der im Auftrag ausgeführten Arbeit bestanden hat.
Beispiel 1: Katharinenkirche in Reutlingen

Für die Sanierung der im gotischen Baustil 1890 errichteten Katharinenkirche in Reutlingen mit 120 qm bauzeitlicher Rauteneindeckung aus Zinkblech – übrigens einzigartig in Süddeutschland – gewann Wolfgang Huber den hochdotierten Preis in der Kategorie Metall, für den das Publikum im Internet votieren konnte.
„Bei dieser Arbeit bestand die Herausforderung nicht nur darin, das Gebäude so einzurüsten, dass die Zinkblecheindeckung gefahrenfrei durchgeführt werden konnte und die Druckpunkte auf die verlegten Rauten so gering wie möglich gehalten wurden, sondern vor allem in der zeitaufwendigen Restaurierung oder Neuanfertigung der Lüftungsgaupen.“

Beispiel 2: Rathaus Rothenburg ob der Tauber

Das Rathaus der Stadt Rothenburg ob der Tauber ist mit seiner das Erscheinungsbild des Marktplatzes prägenden Fassade ein Baujuwel aus der Zeit der Renaissance, das durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört, aber gleich nach dem Krieg wieder aufgebaut worden war.
Die Aufgabe und Herausforderung bestand darin, das Dach des Treppenturmes, dessen Holztragewerk durch Schädlingsbefall unbrauchbar geworden war, anhand von historischem Bildmaterial zu rekonstruieren und neben Blechen aus der Nachkriegszeit mit solchen aus Zweitverwertung, welche noch im Schmiede- und Walzverfahren hergestellt worden waren und eine natürliche Patina besaßen, wieder neu einzudecken. Das neue Turmdach mit der bis ins kleinste Detail geplanten und handwerklich mit größter Sorgfalt ausgeführten Deckung – der zeitliche Aufwand betrug ca. 1500 Stunden – hat sich so wieder harmonisch in die Dachlandschaft Rothenburgs eingefügt.

Beispiel 3: Gedenkkapelle Altötting

Die als Oktagon ausgeführte Kapelle mit Langhaus, die 877 das erste Mal Erwähnung fand und seit 1489 bis heute eines der meistbesuchten Wallfahrtsziele in Europa ist, hatte 2020 durch einen Sturm erheblichen Schaden genommen. Bei der 1780 mit geschmiedeten Kupferblechen und somit historischer Blecheindeckung versehene Gnadenkapelle hatten sich die Haften der eingefalzten und mit geschmiedeten Nägeln befestigten Blechlaschen von der Schalung gelöst. Da die aus Kupfer geschmiedeten Bleche über die Jahrzehnte ihre Duktilität (Formbarkeit) verlieren und es nicht möglich war, die Falze schadensfrei in der gesamten Länge zu öffnen, um von außen die Haften zu setzen, wurden Schlitze in die Schalung eingefräst, um auf diese Weise wieder einen Verband von 1100 Haften in den Längs- und Querfalzen herzustellen. Dabei mussten die Bleche auf 700 Grad erhitzt werden, da die neu einzusetzenden Teile sonst nicht hochgebogen und aufgefaltet werden können. Durch Löt- und Falzarbeit wurden die Anschlüsse zwischen den einzelnen Blechkassetten, die eine ähnliche Patina wie die Bestandsdeckung aufwiesen, wieder hergestellt.“
Das Verlegen geschieht am Bau. Das Ver- und Bearbeiten oder Neuanfertigen von Blechbeschlägen geschieht in der Werkstatt.

Werkstatt und Schauräume
Schon der Außenbereich der Werkstatt in Kißlegg verrät den Besuchenden, dass hier ein von alter Handwerkskunst begeisterter Bewohner seine Zelte aufgeschlagen hat. Auf dem Gelände um das Gebäude herum sind historische Fundstücke dieser dreidimensionalen Handwerkskunst aufgestellt: Ein Friedhof aus kunstvoll geschmiedeten Grabkreuzen, Beschlägen, Giebelschmuck, Turmhelmen, Wasserspeiern, Laternen und Lüftergaupen. Zeugen einer „vergeblichen Nostalgie, den aktuellen Kulturformen zu entrinnen“, wie Jean Baudrillard in „Das System der Dinge“ vermutet? (1)

Nein: Auch wenn es stimmt, dass „die Vorliebe für alles Alte, Antike, Authentische, Handwerkliche mit der Leidenschaft des Sammlers verglichen werden kann, den die Nostalgie für Ursprüngliches“ (2) umtreibt, Wolfgang Huber ist nicht nur versessen auf Authentisches. Er versteht es, eine Brücke zwischen Tradition und Moderne zu schlagen. Das beweist schon die Außenhaut des Gebäudes, in welchem seine Werkstatt und die Schauräume untergebracht sind. Sie besteht aus schuppenartig übereinander geschichteten Schindeln aus vorbewittertem Titanzink und Messing, das in der Sonne golden aufblitzt und neugierig macht auf das, was sich zwischen seinen Wänden tut, die früher einmal die eines Stalles waren.

Noch einmal Baudrillard: „Der Mensch wird in der funktionellen Umwelt nicht heimisch, er braucht ein Zeichen, einen Splitter vom echten Kreuz, der die Kirche heiligt, einen Talisman, ein Stück unbedingter Echtheit aus dem Innersten der Realität des Lebens, um eine Rechtfertigung zu haben. Die Reliquie bietet die Möglichkeit, die Seele des Verstorbenen in ein Objekt einzuschließen. Ohne Schrein gibt es keine Reliquie. Die Kraft strömt von der Reliquie in den Schrein, der aus Gold sein muss, um den authentischen Wert zu bekräftigen, was seine symbolische Wirkung verdoppelt …“ (3)

Betreten wir also diesen Schrein aus Titanzink und Messing und suchen die „Splitter vom echten Kreuz“. Die Neugier wird belohnt. Wenn schon niemand vermuten würde, dass genau hier einmal eine Stallscheune gestanden hat, dann noch weniger eine museal anmutende Werkstatt, die mit der historischen Sammlung an blechverarbeitenden Werkzeugen – Treibhämmer, Schlagvorrichtungen, Zangen, Lehren, Zirkel und Kreisscheren in jeder Form und Größe – nicht nur die Entwicklung aufzeigt, die dieses Handwerk genommen hat, sondern gleichzeitig vollumfänglich in Betrieb ist. Hier in diesem Raum, wo auf den Werkstatttischen bauzeitliche Blecheindeckungen darauf warten, wieder ertüchtigt zu werden, wie das in der Sprache der Flaschner heißt, trifft Vergangenheit auf Zukunft.

Ein Stockwerk höher gelangt man in beeindruckende Schauräume; Wolfgang Huber ist nämlich nicht nur Flaschner mit Leib und Seele, sondern auch leidenschaftlicher Sammler und Förderer zeitgenössischer Werke bildender Kunst aus der Region, die er in diesen Räumen eigenhändig kuratiert und ausstellt.

Was sind seine Beweggründe? Was, – außer der regionalen Verortung –, sind die Kriterien, nach welchen er die KünstlerInnen auswählt? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:
„Ein Hauptkriterium bei meinen Ausstellungen, wie auch bei meiner Arbeit, ist die Qualität. Ich bin kein Galerist. Ich verdiene mit dem Verkauf von Kunst kein Geld, verfolge also mit meinen Ausstellungen nicht das Ziel, möglichst viel zu verkaufen. Ich sehe Kunstwerke nicht als Kapitalanlage mit möglicher Wertsteigerung. Eine solche Einstellung ist mir fremd, ja sogar zuwider.
Immer interessiert mich der Mensch, der hinter seiner Kunst steht und was ihn zu seinem Geschaffenen bewegt.
Ich organisiere Ausstellungen, um mit einer breiteren Öffentlichkeit das von mir Ausgewählte zu teilen. Die Ausstellungen sind nicht uneigennützig. Ich kuratiere nur Ausstellungen, die für mich spannend sind; Ausstellungen, in denen ich mir die Kunstwerke in meinem Schauraum zeige und mit dem Gezeigten in Dialog treten kann. Ich schaffe mir in meinem Schauraum eine Welt, die mir Kraft für den Alltag gibt.“

Welche Künstler also waren es, die Wolfgang Huber so spannend fand, mit ihren Werken Ausstellungen zu organisieren? Ihre Werke jedenfalls zeugen nicht nur vom Kunstverständnis des Flaschner Meisters, sondern vor allem auch von seiner Verbundenheit mit seiner Heimat und ihren kunstsinnigen Menschen.

Ausgestellt wurden der für seine Betonkunst als Zeichner und Bildhauer in Ravensburg geborene Friedemann Grieshaber, der Münchner Maler Heiko Herrmann, der in Salzburg geborene und später im Allgäu wohnhafte Maler Herwig Schubert, mittlerweile ebenso verstorben wie der Maler Raimund Wäschle.

Neben Malern und Bildhauern war es die renommierte Schmuckkünstlerin Susanne Hammer, die eine lange Freundschaft mit Wolfgang Huber verbindet und sich von den historischen Blechen zu einer kleinen Werkreihe von Hals und Körper schmückenden Ketten verführen hat lassen und diese mit ausgewählten Schmuckarbeiten aus drei Jahrzehnten im Schauraum präsentiert hat.
Werkstatt und Obergeschoss werden aber auch für kulturelle Events, Seminare oder Kollegentreffs genutzt, um junge Menschen für das Handwerk des Flaschners zu begeistern.

Auf Wolfgang Huber trifft zu, was Konfuzius für Glück hielt: „Wenn du das tust, was du liebst, wirst du nie wieder in deinem Leben arbeiten müssen.“

Literaturhinweise:
Jean Baudrillard: Das System der Dinge; Uber unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegen-ständen, S.97; 2  S.98; 3  S.103; Campus Verlag, Frankfurt/ New York, Band 1039, 1991

Linksammlung zu Wolfgang Huber, seiner Werkstatt, seinen Ausstellungen und seinem Flaschnereibetrieb
Fotos:

https://www.klempnerhandwerk.de/kirche-vorne-20062013
https://www.youtube.com/watch?v=iOniZFw2y_w
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Flaschnerei_Huber_Historische_Werkstatt_28.jpg
https://artaurea.de/2021/schmuckkunst-und-flaschnerhandwerk/
https://masc-gmbh.de/2021/03/17/baumetall-xxl-treff-kisslegg/
https://hostnig.at/2021/11/instandsetzung-historische-kupferdaecher/ https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Flaschnerei_Huber_(Ki%C3%9Flegg)
https://picryl.com/topics/flaschnerei+huber+kisslegg
https://garystockbridge617.getarchive.net/media/flaschnerei-huber-historische-werkstatt-03-d394d0
https://picryl.com/media/flaschnerei-huber-beispiele-05-304363
Ausstellungen:
https://kormoranflug.wordpress.com/2022/05/30/ausstellung-in-kislegg/
https://www.schwaebische.de/regional/allgaeu/kisslegg/kisslegg-zeigt-ausstellung-unterwegs-894633
https://www.isny.de/kultur-kunst/kultur-erleben/kunst/ausstellung-malerei-zeichnung.html
https://ravensburger-kunstverein.de/raimund-waeschle-auf-der-gegenseite-des-himmels/
https://www.artworks.art/artists_de/raimund_waeschle.html
https://www.pressreader.com/
https://www.beton.org/news/aus-der-branche/details/figuren-und-skulpturen-von-friedemann-grieshaber/
https://schmuckmagazin.de/events/termine/ausstellung-susanne-hammer-schmuck-aus-drei-jahrzehnten/

Audiobeitrag:
https://hostnig.at/2021/11/instandsetzung-historische-kupferdaecher/

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2 Comments
  • Elisabeth Hrine
    Posted at 10:56h, 03 November Antworten

    Interessanter Artikel!

  • Rainer
    Posted at 18:42h, 26 Oktober Antworten

    Toller Beitrag!!

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