Im Tempel der Bahai

Mit meinem Freund Eduardo habe ich heute den Tempel der Bahai besucht, der vor wenigen Jahren am Fuß der Kordilliere, die Chile von Argentinien trennt, aus durchsichtigem Marmor erbaut wurde und gut sichtbar als neue Landmark über der Stadt thront,  Eduardo hätte sich an dieser Stelle lieber ein gigantisches Loch gewünscht, das die kontaminierte Luft, die sich an den sich auftürmenden Bergen aufstaut, nach Argentinien durchbläst.
Der Tempel ist nur mit Auto erreichbar. Dort angekommen, wird man auf halber Höhe der Stiegen, die zum „Haus der Andacht“ hinaufführen, von Mitgliedern der Bahai, von denen es angeblich 6 Millionen auf der Welt gibt, darauf aufmerksam gemacht, wie man sich dem Tempel zu nähern und in ihm zu verhalten hat. Rollstuhlfahrer sind jedenfalls ausgeschlossen. In der Umgebung des Tempels zu rauchen, ist absolut verboten. Außerdem sollte man sich nur mit gedämpfter Stimme unterhalten. Wir fragen einen jungen Mann, der die Aufgabe hat, die Tempelbesucher mit Gebeten des Propheten Baha’ullahs zu versorgen. Da er im Tempel, der wie alle Kathedralen dem Besucher großes Staunen und Demut angesichts der Dimensionen abringen will, nicht sprechen darf, geht er mit uns nach draußen und versucht uns über die ethnischen Grundsätze seiner Religion und Kirche, die weder das eine noch das andere sein will, aufzuklären. Mittlerweile habe nun – nach Fertigstellung dieses Hauses der Andacht in Chile – jeder Kontinent seinen eigenen Tempel. Auch in Deutschland gäbe es einen solchen. Das Geld jedenfalls, das den Bau solcher Gebäude möglich macht, stammt von den Mitgliedern der Bahai, die wie die Katholiken einen Prozentsatz ihres Einkommens an die Gemeinschaft abgeben. Es gibt keine Priester. Es ist auch kein Orden. Baha`ullah, der Begründer, stammt aus Persien und hat die 12 Gebote 1912 von Gott empfangen. Jede Epoche, meint der junge Glaubensmann flüsternd, bringe seinen Propheten hervor. Seine Glaubensgemeinschaft habe sich dem Weltfrieden, der Vorurteilslosigkeit, der Einheit in der Vielfalt verschrieben. Der Glaube der Bahai sei auch kein Erlösungsglaube, der Ungläubige von Gläubigen trenne. Jeder dürfe in den Tempeln der Bahai seinen Gott anbeten, da  alle Religionen den gleichen Ursprung hätten. Er trägt trotz der Hitze  dicke Handschuhe, die er nicht auszieht, als wir uns von ihm verabschieden.
Eine schnelle Recherche ergab allerdings, dass der ethnische Glaubenssatz, der die kulturelle Vielfalt und Vorurteilslosigkeit begrüßt und anstrebt, bei der sexuellen Orientierung wie zB. der Homosexualität an seine Grenzen stößt. Hier der Erfahrungsbericht eines Bahaimitglieds. Obwohl Mann und Frau als gleich angesehen werden, dürfen in  das internationale Haus der Gerechtigkeit  nur Männer gewählt werden.
Eduardo und ich kommen zu dem Schluss, dass es eine Religion oder Sekte wie jede andere sei, mit dem Unterschied, dass sie sich nach außen fortschrittlicher oder globalisierter gibt als die traditionellen Religionen.

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2 Comments
  • Helmut Hostnig
    Posted at 16:23h, 10 April Antworten

    Lieber Manfred
    Danke für deine Ergänzungen meiner Berichte, die mir – wie immer – einen neuen Blick auf das von mir Gesehene erlauben. Liebe Grüße

  • Manfred Voita
    Posted at 16:15h, 10 April Antworten

    Bahai habe ich bisher immer nur in der Fußgängerzone gesehen. Dort demonstrierten oder protestierten sie gegen die Verfolgung ihrer Minderheit im Iran. Das verstehe ich jetzt besser, da sie ja offensichtlich aus dem Iran stammen. Die Öffnung für alle Gläubigen klingt gut, kannten aber schon die alten Griechen, einen Tempel mit der Aufschrift „Dem unbekannten Gott“ will Paulus schon in Athen gesehen haben. Architektonisch ist es mutig, was die Bahai dort gebaut haben. Ob es schön ist, wage ich nicht von hier aus zu beurteilen. Eine Religion, die offen für jeden und alles ist, wird sich nicht behaupten könne, offenbar müssen Religionen sich abgrenzen und das geht immer über Ausschluss.

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