17 Mrz Bosnia-Herzegowina: Lost in transition
Pass auf, dass du nicht erschossen wirst, hat meine Mutter gemeint, als ich mich auf den Weg nach Sarajewo gemacht habe und mich von ihr telefonisch verabschiedete. Gut: Meine Mutter ist 92 und mehr in der Vorvergangenheit daheim als im Jetzt und Hier.Zwischen zwei Weltkriege geboren, wird sie den Auslöser für den ersten noch in guter Erinnerung haben. Möglicherweise aber war sie in der Zeit zuhause, als Heckenschützen und die serbische Armee, das in einem Talkessel liegende Sarajewo in Geiselhaft genommen hatten. Das ist keine 22 Jahre her, aber die Wunden dieses Krieges, der je nach Standpunkt – wie ich hörte – in den Schulen entweder als Bürgerkrieg oder als serbische Agression vermittelt wird, sind noch lange nicht verheilt. Der Taxifahrer jedenfalls, der mich in die Stadt brachte, musste hellauf lachen, als ich ihm von der Warnung meiner alt gewordenen Mutter erzählte, und machte sich einen Spaß daraus, mich augenzwinkernd alle Augenblicke zu fragen, ob ich Schüsse gehört hätte; dann aber – ernst werdend meinte: Deine Mutter hat schon recht. Sie weiß eben, weil sie schon so alt ist, dass wir hier auf dem Balkan auf dünnem Eis tanzen. Es gäbe viele kleine Feuer und noch immer wird fleißig gezündelt, schloss er, um schmunzelnd nachzusetzen: Aber von Sarajewo aus wird sicherlich kein Dritter Weltkrieg ausgehen.
Nicht, um ihm zu widersprechen, aber um aufzuzeigen, dass meine Mutter vielleicht doch ein bisschen recht hatte, mich zu warnen, will ich hier aus einem interessanten Artikel zitieren, den ich im Netz gefunden habe: Auf dem Balkan gibt es viel zu viele Waffen, die meisten in illegalem Besitz. Appelle zur Abgabe und entsprechende Aktionen bewirken wenig oder nichts. Aber Verbrechens- und Unfallstatistiken künden davon, dass und wie die Waffen eingesetzt werden. Das erinnert an jüngere, schreckliche Vergangenheit. In einem Cafe fand ich dieses Verbotsschild für das Tragen von Kleinwaffen.
Bis auf das Zentrum versprüht die Peripherie den ehemaligen Charme des Ostblocks. Doch in den engen Straßen des Bazars kann man ein bisschen den Flair längst vergangener Zeiten in der noch immer multikuturellen Stadt spüren. In den kleinen Cafes sitzen alte Männer mit Fez, der alten orientalischen Kopfbedeckung und rauchen ihre Shisha. Nicht das Straßenbild prägend, aber dafür umso auffallender vollverschleierte Frauen, eine sogar mit Sonnenbrille, obwohl es Nacht ist.
Es ist 6 Jahre her, dass ich auf einer Reise durch die Länder Exjugoslawiens reiste, und auch hier Halt gemacht habe. Ganze Häuserzeilen erinnern schon auf Grund ihrer Architektur an die Zeit der Doppelmonarchie, die 1878 gegen erheblichen Widerstand das vorher unter osmanischer Herrschaft stehende Bosnien-Herzegowina militärisch besetzte. Bis auf wenige neue Gebäude und des sanierten Zentrums mit kleinen Bazaren und Imbissstuben und einer von Katar gespendeten neuen Bibliothek, scheint sich nichts – zumindest für mich an der Oberfläche nicht sichtbar – verändert zu haben.
Noch immer stehen die Ruinen zerschossener Gebäude. Es ist kein Aufbruch spürbar. Für Straßeninstandsetzung oder Gebäudesanierung, geschweige denn für die Modernisierung der öffentlichen Transportmittel scheint jedes Geld zu fehlen. Die Menschen scheinen in einer Art Schockstarre zu verharren. Es herrscht eine für mich eher bedrückende, lähmende Stimmung: Stagnation. “We are lost in transition”, sagt Sladan, der sich seit über 25 Jahren bemüht, sich mit seiner Profession als Journalist mit etlichen Nebenjobs – wie fast alle hier – am Leben zu erhalten. “We are all hoping that live gets better, but all we do, is waiting. Because the factories, that have been before were destroyed during the war, so they aren’t producing anymore; we can only buy and sell. Everything privatised. Kein Wunder, dass die Arbeitslosigkeit bei nahezu 44 Prozent liegt. Eine der höchsten in Europa. Vor allem die Jugend ist ohne Perspektive. Der Braindrain entsprechend groß. Wer kann, wandert aus. Es ist also nicht der Regen, der graue Himmel und die in alle Glieder fahrende Kälte, die meine Wahrnehmung trübt. Das Budget, meint Boris, ein sich für die Bürgerrechte einsetzender Journalist, wird nahezu vollständig für die unsägliche Administration aufgebraucht. Bosnien- Herzegowina ist in zwei Verwaltungseinheiten, 10 Kantone, 95 Gemeinden und einem Distrikt zersplittert und hat das komplizierteste Regierungssystem der Welt. Selbst Einheimische tun sich schwer dabei, es einem zu erklären, auch wenn sie sich große Mühe geben. Ein Beispiel für diese nach dem Daytonabkommen aus dem Jahr 1995 absurde und zur Blockade führende Verwaltungssystem zeigt wohl am besten, was hier zum Himmel stinkt: Nicht nur, dass es drei Präsidenten und drei Stellvertreter, 43 Ministerien mal drei, also für die muslimischen Bosniaken, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben gibt, jedes Dokument wird von 3 bezahlten Dolmetschern vom Bosnischen ins Serbische und Kroatische übersetzt, obwohl sie untereinander mit wenigen Abweichungen in der gleichen Sprache kommunizieren, klagt Boris.
Genug davon. Jetzt habe ich ganz vergessen zu erwähnen, warum ich in Sarajewo bin. Ich wurde im Rahmen eines Erasmus-Programmes vom community Radio Orange 94.0 in Wien eingeladen, in Kollaboration mit StudentInnen aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und solchen, die aus anderen Regionen Exjugoslawiens kommen und in Wien eine journalistische Ausbildung anstreben, kleine Hörstücke zu erarbeiten, die mit dem Bologna Prozess zu tun haben; sie wollen -, um es kurz zu machen -, den Fragen nachgehen, ob die vom Bologna-Prozess eingeforderte studentische Mobilität auch für Studierende aus den Balkanländern möglich ist, wollen private Universitäten mit öffentlichen bezüglich Qualitätsstandards vergleichen, aber auch herausfinden, wie wichtig oder nebensächlich ein Universitätsabschluss ist, um nach der Ausbildung entsprechende Arbeit zu finden. Meine Aufgabe bestand darin, sie bei diesem Prozess der Faktenfindung zu begleiten, mit ihnen ein Jingle zu erarbeiten und sie beim Editieren des aufgenommenen Materials zu unterstützen. Außerdem durfte ich ihnen ein bisschen etwas über die Werkzeuge des Storytellings unter den Bedingungen des zeitsouveränen und nicht mehr linearen Hörens online aus meiner langen Praxis erzählen. Es war ein ungemein spannender Austausch. For the benefit of myself and hopefully for the others too. Ja, alles musste auf Englisch vorgetragen werden, was mich anfänglich ziemlich hemmte, weil die Sprache des Radios eine eigene Terminologie erfordert.
Der hier in Sarajewo entstandene Radiobeitrag wird in Kürze folgen.
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